Es stimmt etwas nicht im Universum. Der Weltraum, der seit dem Urknall ungezügelt auseinanderstrebt, sollte eigentlich langsam zur Ruhe kommen - eingebremst von der gegenseitigen Anziehungskraft seiner Galaxien. Doch stattdessen fliegt uns das Universum noch immer um die Ohren, schneller und schneller. Dunkle Energie nennen Astronomen das dahinter vermutete Phänomen, das sie seit 20 Jahren zu ergründen versuchen. Bislang erfolglos. Nun soll ein deutscher Röntgensatellit endlich Licht ins Dunkel der Dunklen Energie bringen.
Erosita heißt der 800 Kilogramm schwere Hightech-Brocken mit den Abmessungen eines Kleinwagens. Seit 2007 ist er am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching nördlich von München entwickelt worden und steht nun seit einigen Monaten im kasachischen Baikonur. Klappt alles wie geplant, dann wird das Teleskop von dort aus am Freitag, 21. Juni, mit einer russischen Proton-Rakete ins All starten - und mit ihm große Erwartungen: "Wir werden die Dunkle Energie zwar nicht dingfest machen können", sagt Max-Planck-Projektleiter Peter Predehl, "aber wir werden aus unseren Messwerten hoffentlich Rückschlüsse ziehen können, um was es sich dabei handelt."
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Die Dunkle Energie, jenes theoretische Konstrukt, das 70 Prozent der Energie und Materie im Universum ausmachen soll, entzieht sich der direkten Beobachtung. Lediglich ihre Effekte sind sichtbar - in Form einer beschleunigten Expansion des Universums und all seiner Bestandteile. Soll Erosita also beobachten, wie schnell sich einzelne Galaxien voneinander entfernen? "Um Gottes Willen, nein", sagt Predehl. "In der Astronomie sind die Zeitskalen so lang, dass wir so gut wie nie die Chance haben, zeitliche Veränderungen außerhalb unseres Sonnensystems zu beobachten."
Den Astronomen hilft stattdessen ein anderer Effekt: Das Licht einer Galaxie, die zum Beispiel zwei Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist, braucht zwei Milliarden Jahre, bis es uns erreicht - und damit doppelt so lange, wie das Licht einer anderen Galaxie, deren Distanz nur eine Milliarde Lichtjahre entspricht. Forscher erspähen die erste Galaxie also so, wie sie vor zwei Milliarden Jahren aussah, die nähere Galaxie erscheint hingegen wie vor einer Milliarde Jahren. "Je tiefer wir ins Weltall hinausschauen, desto weiter sehen wir so in der Zeit zurück", sagt Predehl. Mit all diesen Aufnahmen sollte es möglich sein, den zeitlichen Ablauf der kosmischen Ausdehnung zu rekonstruieren und Rückschlüsse auf den Einfluss der Dunklen Energie zu ziehen.
Das soll Erosita versuchen - mithilfe sogenannter Galaxienhaufen, Ansammlungen von 1000 oder mehr Milchstraßen. Derartige Haufen gehören zu den schwersten Gebilden im Universum. Gelingt es, ihre Masse, Entfernung und Anzahl zu bestimmen, können Astronomen daraus die Dichte des Universums ableiten, und das - weil sie unterschiedlich tief ins All blicken - zu verschiedenen Zeiten. Die Galaxienhaufen machen es den Forschern zudem einfach: Sie sind eingebettet in ein heißes Gas, ein Plasma, das Temperaturen bis zu 100 Millionen Grad erreichen kann. "Es ist so heiß, dass wir es im Röntgenlicht sehen. Dadurch können wir die Galaxienhaufen direkt ausmachen", sagt Predehl. Vier Jahre lang wollen die Astronomen 100 000 Galaxienhaufen systematisch vermessen.
Jedes der Teleskope an Bord besteht aus 54 goldbeschichteten Spiegelschalen
Röntgenlicht hat aber einen Nachteil: Die Strahlung ist so durchdringend, dass sie mit klassischen Spiegeln und Linsen weder eingesammelt noch fokussiert werden kann. Erst, wenn die Strahlen in einem extrem flachen Winkel von weniger als einem Grad auf eine spiegelnde Oberfläche treffen, werden sie reflektiert. Röntgenspiegel müssen daher sehr lang und parabelförmig geschwungen sein, um das streifend einfallende Licht entlang der Oberfläche zu seinem Ziel zu leiten. Sieben solcher Teleskope sind bei Erosita an Bord; jedes setzt sich aus 54 goldbeschichteten Spiegelschalen zusammen, die - wie eine Matroschka - ineinander geschichtet sind. Nur so kommt ausreichend Spiegelfläche zusammen, um genug Röntgenlicht einzufangen.
Ursprünglich sollte eine verkleinerte Version jener Teleskope zum Einsatz kommen, die auf dem europäischen Röntgensatelliten XMM-Newton unterwegs sind. Je weiter die Spiegel schrumpften, desto stärker fielen allerdings kleine, unvermeidliche Fehler bei der Herstellung der optischen Systeme ins Gewicht. "Die Spiegel waren viel, viel, viel zu schlecht", sagt Predehl. Gemeinsam mit einer italienischen Firma konnten die Spiegel schließlich in der gewünschten Qualität hergestellt werden. All das hat Zeit gekostet: Als das DLR und die russische Raumfahrtagentur Roskosmos vor zwölf Jahren den Vertrag über eine gemeinsame Röntgenmission unterschrieben, war von einem Starttermin im Jahr 2011 die Rede. Nun soll es am 21. Juni, um 14.17 Uhr deutscher Zeit, endlich losgehen. Bei Projektleiter Predehl macht sich eine leichte Unruhe breit. "Es ist ein Riesenziel", sagt der Astrophysiker, "und es wird spannend."