Psychologie:Ich bin so gut

Psychologie: Jetzt bitte recht authentisch: Das Selbstbild vieler Menschen ist positiv verzerrt, sagt eine Studie.

Jetzt bitte recht authentisch: Das Selbstbild vieler Menschen ist positiv verzerrt, sagt eine Studie.

(Foto: Pavel Mikheyev/Reuters)

Wann fühlen sich Menschen "authentisch"? Eine Studie zeigt: Nur dann, wenn sie ihre guten Seiten ausstellen und ihre schlechten verbergen können.

Von Sebastian Herrmann

Sei einfach ganz du selbst. Dieser Satz aus dem Phrasenschwein der Hölle zählt zu den Ratschlägen, deren wörtliche Umsetzung vermieden werden sollte. Im Strauß der Charaktermerkmale jedes Menschen stecken nun einmal nicht nur anmutige Blumen, die duften und dem Auge schmeicheln. Unter die schönen Blüten mischen sich auch stachlige Gewächse, krumme Gräser und giftige Kräuter. Zum Beispiel in einem Vorstellungsgespräch ist es vermutlich keine brillante Idee, wirklich ganz man selbst zu sein und auch diese weniger beifallswürdigen Bestandteile des Charakterstraußes vorzuführen. Spannend wäre es zwar schon, also für unbeteiligte Beobachter, wenn ein Bewerber vollkommen unverstellt in so einen Termin ginge und unbekümmert seine launischen, aufbrausenden, besserwisserischen, introvertierten oder sonstigen anstrengenden Seiten auslebte. Aber eine Zusage darf er danach eher nicht erwarten.

In der Sache steckt ein weiterer Haken: Wer seine weniger lieblichen Persönlichkeitsmerkmale zur Aufführung bringt, findet anschließend meist, er sei nicht er selbst gewesen. Als authentisch empfinden sich Menschen nämlich nur dann, wenn sie ihre besten Seiten präsentieren und ihre Schwächen kaschieren können. Als wahres Selbst gilt das ideale Selbst und nicht jenes, das tatsächlich in Einklang mit den persönlichen Werten, Einstellungen und charakterlichen Eigenheiten steht. Das berichten Psychologen um Corey Guenther in einer aktuellen Studie. Authentizität habe wenig mit Selbsteinsicht und viel mit Selbsterhöhung zu tun, schreiben die Forscher im Fachjournal Personality and Social Psychology Bulletin.

Was einem als das wahre Selbst gilt, ist in Wirklichkeit ein Wunschbild

Die meisten Menschen halten sich für gute, rationale Wesen, die moralisch handeln. Der eigene Charakter wird auf Basis persönlicher Sternstunden bewertet, der der anderen auf Grundlage von deren Verfehlungen. Das Selbstbild der meisten Menschen ist also positiv verzerrt: Was einem als das wahre Selbst gilt, ist in Wirklichkeit ein Wunschbild, das strahlt und funkelt, als sei es von einem Instagram-Filter aufpoliert worden.

In den Versuchen der Psychologen um Guenther empfanden sich die Probanden dann als besonders authentisch, wenn sie Gelegenheit hatten, sich aufzuplustern und in gutes Licht zu rücken. Ein Hang zum Narzissmus kann dabei das Gefühl verstärken, man sei ganz man selbst und trete echt, wahr und authentisch auf. Aus anderen Studien sind ähnliche Ergebnisse bekannt. So löst vor allem sozial erwünschtes Verhalten das Gefühl aus, authentisch zu handeln. Das wahre Selbst scheint sich in Situationen zu offenbaren, in denen man freundlich, extrovertiert, gewissenhaft, emotional stabil und offenherzig auftritt. Ob das nun eine Ausnahme ist oder nicht, spielt für die Selbsteinschätzung keine Rolle. Offenbar also empfinden sich sogar Selbstdarsteller tatsächlich als authentische Personen, die im Einklang mit ihrem Wesenskern handeln.

Die Sache mit dem wahren Selbst ist paradox: Um sich authentisch zu fühlen, müssen sich Menschen verstellen und ihr echtes Ich in Teilen verbergen - vor allen anderen und besonders vor sich selbst.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusHilfe für die Seele, Teil 1
:Wie finde ich einen Therapeuten?

Psychische Probleme sind weit verbreitet, Hilfsangebote aber sind knapp und wenig übersichtlich. Welche Wege können Betroffene gehen?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: