Süddeutsche Zeitung

Außergewöhnliche Geschwister:Die Zwillings-Sensation

In den USA sind Zwillinge zur Welt gekommen, die weder eineiig noch zweieiig sind. Die beiden so genannten Chimären sind das Ergebnis eines extrem ungewöhnlichen Vorgangs.

Markus C. Schulte von Drach

In den USA sind semi-identische Zwillinge zur Welt gekommen. Die Geschwister sind offenbar das Ergebnis eines extrem ungewöhnlichen und bislang noch nie beobachteten Vorgangs:

Zuerst mussten zwei Spermien eine Eizelle befruchten - ein Ereignis, das in etwa einem von hundert Fällen vorkommt, und meist zu einem nicht lebensfähigen Embryo führt.

Anschließend teilte sich die Eizelle auf, wobei Erbgut beider Spermien auf beide daraus entstehenden Embryos aufgeteilt wurde.

Es handelt sich demnach um sogenannte Chimären - Mischwesen, die das Erbgut von zwei Geschwistern besitzen.

Bei Menschen kennt man dieses seltene Phänomen zum Beispiel als Folge der Verschmelzung von zweieiigen Zwillingen in einem frühen Entwicklungsstadium im Mutterleib. Verschiedene Teile des Körpers enthalten dann unterschiedliche DNS.

Auf die jetzt beschriebenen Zwillingen waren die Mediziner aufmerksam geworden, weil eines der Kinder ein sogenannter Hermaphrodit ist - ein Mensch mit sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechtsmerkmalen. Das zweite Kind dagegen ist ein Junge.

Durch Gentests stellten die Wissenschaftler fest, dass beide sowohl Zellen mit zwei X-Chromosomen als auch mit X- und Y-Chromosomen besitzen, wobei das Verhältnis der Zellen zueinander in beiden Kindern von Gewebe zu Gewebe unterschiedlich ist, berichten die Forscher im Fachmagazin Human Genetics.

Offenbar, so vermuten die Fachleuten, war eine Eizelle sowohl mit einer Spermie mit X-Chromosom verschmolzen - was zu einem Mädchen geführt hätte - und einer zweiten mit Y-Chromosom - woraus ein Junge geworden wäre. Die solchermaßen doppelt befruchtete Eizelle teilte sich auf in solche Zellen mit XX-Chromosomensatz als auch mit XY-Chromosomensatz. Aus dieser Chimäre entwickelten sich zwei Embryos wie es sonst bei eineigen Zwillingen der Fall ist.

"Ihre Ähnlichkeit liegt irgendwo zwischen identischen und zweieiigen Zwillingen", erklärte Vivienne Souter vom Banner Good Samaritan Medical Center in Phoenix im Fachmagazin Nature, die den Fall untersucht hat. "Man fragt sich, ob die aktuelle Klassifikation von Zwillingen nicht eine Vereinfachung ist."

"Es ist wichtig, zu begreifen, dass so etwas vorkommen kann", stellte Charles Boklage von Eastern Carolina University in Greenville fest. "Aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass wir jemals wieder einen solchen Fall sehen werden."

Dass es dazu kommen kann, hatte Michael Golubovsky University of California in Berkeley bereits vor vier Jahren vermutet, berichtet Nature. Der jetzt bekannt gewordene Fall bestätigt seine Theorie.

"Es gibt eine große Zahl unklarer Situationen in der Genetik von Zwillingen und ihrer Entstehung", so Golubovsky. "Wir sollten unsere Augen offen halten für weitere ungewöhnliche Szenarios."

Die Zwillinge, die inzwischen bereits zu Kleinkindern herangewachsen sind, wurden auf natürliche Weise gezeugt und geboren. Bis auf die geschlechtliche Besonderheit des einen Kindes zeigen sie keine Auffälligkeiten.

Ob der Hermaphroditismus des einen Zwillings korrigiert wurde, ist nicht bekannt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.606902
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.