In den Wochen vor der so wichtigen Klimakonferenz in Paris war ich häufig in Deutschland unterwegs. Immer wieder habe ich dabei zwei Einwände gegen den geplanten neuen Klimaschutzvertrag gehört. Der Vertrag wird das Zwei-Grad-Ziel nicht erreichen, und die Verhandlungen machen ohnehin keinen Unterschied mehr, weil die nationalen Klimaschutzpläne schon festgezurrt sind. Und: Wenn die Klimaschutzpläne das Zwei-Grad-Ziel nicht erreichen werden, warum sollte dann Deutschland seinen vollen Beitrag leisten.
Es ist kein Geheimnis, dass ich eine Verfechterin des geplanten Vertrags bin. Aber ja, in einem Punkt haben die Kritiker recht: Wer vom Pariser Vertrag erwartet, dass er die entscheidende, globale Antwort auf den Umgang mit dem Klimawandel liefert, der kann nur enttäuscht werden. Was so jedoch übersehen wird, ist die Dynamik, die durch den Paris-Prozess ausgelöst worden ist und schon jetzt erste Erfolge vorzuweisen hat. Noch vor etwa einem Jahr steuerte die Welt auf eine Erwärmung deutlich jenseits der 4 Grad Celsius zu, und es gab so gut wie keine konkreten Pläne, daran etwas zu ändern.
Seitdem ist viel passiert. Erstens: Mehr als 160 Länder haben schon vor Beginn der Pariser Konferenz nationale Klimaschutzpläne vorgelegt. Das mag aus deutscher oder europäischer Sicht banal klingen, Klimaschutzpläne sind hier fast schon Routine. Aber ohne den Paris-Prozess hätte es die gemeinsame Klimaschutzerklärung Chinas und der USA nicht gegeben, der beiden größten Emittenten. Auch viele andere Länder haben sich jetzt das erste Mal systematisch die Frage gestellt, welchen Beitrag sie zum globalen Klimaschutz leisten können.
Diesmal sollen die Länder selber angeben, wie viel Emissionen sie einsparen wollen
Daraus folgt zweitens, dass die Regierungen weitgehend pragmatische Klimaschutzpläne vorgelegt haben; sie spiegeln wider, welche Emissionseinsparungen sie sich tatsächlich zutrauen. Ist so viel Pragmatismus gut oder schlecht? Bei den Kritikern schwingt vielleicht noch etwas wehmütige Erinnerung an das Kyoto-Protokoll mit: In Kyoto haben sich die Regierungen zuerst darauf geeinigt, wie viel Emissionen global reduziert werden müssen, und diese dann auf die teilnehmenden Länder verteilt. Nun, Paris ist nicht Kyoto, und das ist gut so. Denn zur Kyoto-Wahrheit gehört auch, dass sich die meisten Regierungen wenig bis keine Gedanken gemacht hatten, wie sie ihre Zusagen umsetzen werden.
Drittens machen die Klimaschutzpläne sehr wohl einen Unterschied. Sie bringen uns schon heute auf eine Erwärmung zwischen nur noch 2,7 bis 3,5 Grad. Eine jüngst veröffentlichte Studie von 16 internationalen Forschungsinstituten zeigt, dass in den sechs größten Volkswirtschaften der Welt mit ihren Klimaschutzplänen die Erneuerbaren bis 2030 zur dominanten Elektrizitätsquelle werden, und die CO₂-Intensität der Stromproduktion im gleichen Zeitraum um 40 Prozent sinkt.
Aber noch einmal: All das würde nicht ausreichen, wenn der Pariser Gipfel lediglich eine Gelegenheit wäre, bei der sich die Staats- und Regierungschefs gegenseitig zu ihren Klimaschutzplänen gratulieren. Das ist aber nicht der Fall. Paris muss die gerade beschriebene Dynamik aufnehmen und verstärken. Ein wichtiges Element, auf das sich die Länder noch einigen müssen, ist ein Langfristziel für die Emissionsminderung. Eine mögliche Formulierung dafür wäre die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts, eine Wirtschaft ohne Kohle, Öl und Gas. Das ist weit mehr als Symbolpolitik: Das Langfristziel könnte schon in den kommenden Jahren bei Investitionsentscheidungen den entscheidenden Unterschied machen, und uns so bis zu fünf Gigatonnen zusätzliche Emissionsreduktion bringen.
Das zweite zentrale Element für den Pariser Vertrag ist ein Mechanismus, mit dem die Ambition der Klimaschutzpläne alle fünf Jahre überprüft und nach oben korrigiert wird. Die Chancen dafür stehen nach einer Zusage Chinas vor wenigen Wochen gut. Hinter dem Mechanismus steckt nicht die Hoffnung, dass den Regierungen das Klimathema alle paar Jahre ein bisschen mehr ans Herz wächst; sondern die Einsicht, dass die wirtschaftliche Entwicklung zu dynamisch ist, um sie adäquat in langfristigen Klimaschutzplänen zu berücksichtigen. Mit dem Ambitionsmechanismus können die Regierungen ihre Pläne an diese Dynamik anpassen und diese so weiter befeuern. Ganz konkret kann der Mechanismus schon im Jahr 2020 dabei helfen, die Lücke zur Zwei-Grad-Welt ein Stück weit zu schließen - das wäre in vielen Fällen weniger kostspielig als die Ambitionen später, dann aber auch radikaler anpassen zu müssen.
Was in Paris passiert, ist also alles andere als irrelevant. Aber welche Rolle spielt Deutschland dabei, und - auch das ist natürlich eine berechtigte Frage - wie profitiert es davon? Angela Merkel hat schon jetzt einen ganz entscheidenden Beitrag dafür geleistet, das Langfristziel in der politischen Debatte zu verankern. Erfolgreich beendet ist diese Mission aber erst, wenn auch der Paris-Vertrag ein Langfristziel enthält. Die deutsche Regierung sollte mit anderen progressiven Kräften zusammenarbeiten, um die verbleibenden Zweifler davon zu überzeugen.
Die Energiewende hat Vorbildcharakter
Dabei kann die Bundesregierung vor allem auf eins setzten: die wirtschaftliche Stärke Deutschlands. Welchen überzeugenderen Anreiz für ambitionierte Klimaschutzziele könnte es geben, als eine der größten Volkswirtschaften dabei zu beobachten, wie sie zielstrebig ihre Energieversorgung und zunehmend auch ihre industrielle Basis umbaut - und dabei immer noch wettbewerbsfähiger wird?
Durch den Paris-Prozess machen sich zahlreiche Staaten jetzt auf den Weg, ihre eigene Energiewende-Geschichte zu schreiben. Damit wächst auch der Kuchen, der in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu verteilen ist. Indiens Ankündigung, bis 2020 zusätzliche Anlagen für 175 Gigawatt an erneuerbaren Energien zu bauen, ist dafür nur das jüngste und eindrucksvollste Beispiel. Wer sich vergegenwärtigt, welche Technologien und Lösungen deutsche Unternehmen schon heute für das Energiesystem der Zukunft entwickeln, der bekommt auch eine Ahnung davon, welche Exportchancen hier im Entstehen sind.
Deutschland kann die internationale Energiewende-Dynamik am besten befeuern, wenn es sich selbst ein möglichst großes Stück vom wachsenden Kuchen abschneidet. Für viele Länder spielen wirtschaftliche Interessen beim Ausbau der Erneuerbaren eine mindestens ebenso große Rolle wie Klimaschutzziele. Der Rest der Welt fragt in erster Linie nicht nach der Moral der deutschen Energiewende, sondern nach ihrem wirtschaftlichen Erfolg.