Süddeutsche Zeitung

Ausgetrunken:Benebelte Studien

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Schlechte Nachricht nicht nur für Schluckspechte: Dass Alkohol in Maßen gesund sei, ist offenbar ein Mythos.

Werner Bartens

Liebhabern eines guten Glases Rotwein wird diese Nachricht nicht schmecken: Rod Jackson und seine Mitarbeiter von der Universität Auckland in Neuseeland sagen, dass Alkohol - anders als immer wieder vermutet - keinen schützenden Einfluss auf Herz und Gefäße hat.

In der Ausgabe des Fachmagazins Lancet beschreiben die Mediziner, warum Spirituosen auch in geringen bis mittleren Mengen nicht gesundheitsfördernd sind (Bd.366, S.1911, 2005). "Die Botschaft ist klar", sagt Jackson: "In keiner Dosis ist der Nutzen des Alkohols größer als der Schaden."

Die Hypothese von den herzschmeichelnden Eigenschaften des Alkohols hat sich seit 1979 verbreitet. Damals erschien - ebenfalls im Lancet - ein Fachartikel, der die lebensverlängernden Eigenschaften des Alkohols zu belegen schien.

"Es gibt einen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und weniger Herzinfarkten", schrieben die Autoren seinerzeit. "Die schützende Substanz wird bald isoliert werden."

Geschmeidige Gefäße

Es folgten hunderte Artikel von Wissenschaftlern, die auffällig oft in der Region um Bordeaux, im Chianti oder unweit des Napa-Valley forschten und die segensreichen Wirkungen verschiedener Alkoholika beschrieben.

Nicht nur Rotwein, sondern auch Weißwein, Bier und sogar Schnaps hielten angeblich die Gefäße geschmeidig. Beiträge in Fachmagazinen wurden mit "Cheers!" betitelt, und die Mediziner waren froh, endlich auch mal positive Nachrichten für den Alltag verkünden zu können.

Als Standardempfehlung galt, dass Männer von zwei Halben Bier, zwei Vierteln Rotwein oder einem Drink am Tag profitieren konnten. Für Frauen lag die Dosis etwas geringer.

Die neuseeländischen Gesundheitswissenschaftler weisen nun auf den Pferdefuß der Untersuchungen hin. In den meisten Studien gingen die beteiligten Forscher offenbar von einer positiven Wirkungen des Alkohols aus - und vernachlässigten wissenschaftliche Standards.

So seien beim Vergleich des Gesundheitszustands von gemäßigten Trinkern und Abstinenzlern oft fälschlicherweise auch ehemalige Trinker zu den Abstinenzlern gezählt worden. Dass viele von ihnen das Trinken aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatten und mittlerweile über etliche Krankheiten klagten, erwähnten die Forscher nicht.

Dabei sprechen die neuseeländischen Mediziner an, dass sich Alkohol sehr wohl günstig auf die Gefäße auswirken könne. Allerdings nur in extremen Mengen - Autopsien von Alkoholikern würden oft erstaunlich unbescholtene Adern zeigen. Die Schäden an anderen Stellen des Körpers infolge solcher Alkoholdosen sind aber überwältigend.

Mediziner aus Atlanta hatten jüngst im American Journal of Preventive Medicine auf weitere Fehlerquellen in Alkoholstudien hingewiesen (Bd.28, S.369, 2005). Demnach sind 27 von 30 Risikofaktoren für Herz und Kreislauf bei Abstinenzlern ausgeprägter als bei gemäßigten Trinkern.

Jackson vergleicht die verzerrte Haltung zur Wirkung von Alkohol mit der Hormonbehandlung von Frauen in den Wechseljahren. In beiden Fällen wollten Ärzte wie Laien jahrzehntelang an die günstigen Auswirkungen glauben.

In beiden Fällen gab es Hinweise aus fragwürdigen Laborversuchen und Studien, dass die Vermutung stimmte. Doch offenbar kann auch der Blick nüchterner Mediziner getrübt sein. "Für Alkohol gibt es keinen harmlosen Bereich", sagt Jackson.

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Quelle:
SZ vom 2.12.2005
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