Ausflug ins All:Nur keine falsche Drehung

Am Donnerstag wird der deutsche Astronaut Thomas Reiter die Internationale Raumstation "ISS" für mehrere Stunden verlassen. Ein Spaziergang wird das nicht. Wissenschaftler der ESA und des DLR begleiten den Außenbordeinsatz mit einem Blog.

Christopher Schrader

Wer sich daheim auf das große Ereignis am Donnerstag vorbereiten will, sollte schon mal in den Keller gehen und in der Werkstatt folgendes bereitlegen: den Akkuschrauber mit geeigneten Aufsätzen zum Befestigen diverser Schrauben, verschiedene Halteseile, einen Brustgurt mit Karabinerhaken, um sich am Einsatzort abzusichern, und einen Müllsack.

Ferner einen weißen Overall mit Kapuze und eine verspiegelte Sonnenbrille. Mit dieser Ausrüstung lässt sich der deutsche Weltraumspaziergang beim Blick auf die Übertragung im Internet prima nachspielen.

Die European Space Agency und das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt bieten einen Online-Blog mit den aktuellsten Informationen zum Außenbordeinsatz von Thomas Reiter. Die Autoren werden zusammen mit dem ESA-Astronauten Reinhold Ewald die aktuellsten Bilder, Kommentare und Hintergrundinformationen zum Ablauf des Einsatzes bereitstellen. Den Blog gibt es auf HIER auf Deutsch und auf HIER auf Englisch.

Kaum anders hat sich Thomas Reiter in den vergangenen Tagen auf seinen Ausflug ins All vorbereitet - nur halt in der Schwerelosigkeit. Der Astronaut der Europäischen Weltraumagentur Esa ist zurzeit für sechs Monate Crewmitglied der Internationalen Raumstation ISS.

Er hat seine Werkzeuge an die Luftschleuse gebracht, den Raumanzug getestet, die Ersatzteile geprüft, die er beim Außeneinsatz montieren soll. Allerdings dürften weder sein Akkuschrauber noch sein Anzug für 19,99 Euro im Baumarkt erworben worden sein.

Eva nennt die Raumfahrt-Szene, was Reiter am Donnerstag von 15.55 Uhr bis 22.15 Uhr deutscher Zeit vorhat: Extra-vehicular Activity, eine Betätigung außerhalb des Fahrzeugs. W

er das schon erlebt oder zumindest dafür trainiert hat, erzählt voller Ehrfurcht davon. "Man ist da draußen ganz allein", sagt Jean-Francois Clervoy.

Der französische Esa-Astronaut hatte sich 1997 darauf vorbereitet, bei einem Besuch des Shuttles an der russischen Station Mir auszusteigen, falls Probleme mit dem Andockmechanismus aufgetreten wären.

"Immer mit der Station verbunden sein"

"Der Blick ist fantastisch - so viel kann man nirgends sonst sehen. Und der Raumanzug ist ein eigenes kleines Raumschiff. Es sorgt für Wärme und Sauerstoff, es hat Licht und Kameras." Aber keinen eigenen Antrieb. Darum sagt Clervoy: "Die erste Regel ist: Immer mit der Station verbunden sein."

Thomas Reiter kennt diese Regel, er ist zweimal draußen im All gewesen, als er 1995/96 ein halbes Jahr auf der russischen Raumstation Mir verbracht hat. Aber er wird der erste Esa-Astronaut sein, der jemals aus der ISS steigt.

Der Planung zufolge wird der 48-Jährige die Luftschleuse zusammen mit dem Amerikaner Jeff Williams verlassen. Damit die beiden Astronauten auf Fernsehbildern zweifelsfrei zu unterscheiden sind, tragen sie unterschiedliche Raumanzüge: Der von Reiter ist ganz weiß, Williams" hat rote Streifen.

Beide sind vor allem zu Wartungsarbeiten eingeteilt. Zunächst sollen sie ein Messgerät austauschen, das die elektrische Aufladung der Station überwacht.

Dann müssen einige Radiatoren erneuert werden, mit denen die ISS überschüssige Wärme ins All abstrahlt.

Hinzu kommt der Test an einer Infrarot-Kamera, die die Außenhülle auf unkontrollierte Wärmeverluste überwacht.

Und schließlich gibt es auch etwas Forschung - Reiter und Williams montieren zwei geöffnete Koffer an der Station, in denen Materialproben der ungefilterten kosmischen Strahlung widerstehen müssen.

45 Minuten für das Anziehen des Raumanzugs

Zu den fast sechseinhalb Stunden außerhalb des Raumschiffs kommt noch die unmittelbare Vorbereitungszeit. So dauert es allein etwa 45 Minuten, den Raumanzug anzuziehen. Dabei hilft den beiden Spaziergängern der russische Kommandant der ISS, Pawel Winogradow.

Dann müssen die Astronauten Sauerstoff "voratmen": Die Luft in der Station besteht aus Sauerstoff und Stickstoff, gemischt etwa wie auf der Erde. Im Raumanzug aber atmen die Männer reinen Sauerstoff mit ungefähr 70 Prozent weniger Druck, daran muss sich der Körper erst gewöhnen.

"Das ist wie bei Tauchern, die stets auf dem Boden des Meeres leben", sagt Clervoy. "Auf ihre Besuche an der Oberfläche, wo viel weniger Druck herrscht, müssen sie sich vorbereiten."

Das Programm draußen ist dicht verplant, außerdem müssen sich Reiter und Williams auf jeden Handgriff konzentrieren.

Denn die Schwerelosigkeit im Weltall macht eines von Newtons physikalischen Gesetzen besonders deutlich spürbar: actio est reactio - wer mit dem Akkuschrauber eine Schraube ins Gewinde dreht, den dreht es selbst andersherum, wenn er sich nicht gut festhält.

Wer etwas in ein Loch in der Außenhülle steckt, der schiebt sich selbst gleichzeitig von der Station weg.

Dabei hilft die Leine, mit der sich die Astronauten an der Station sichern. Jean-Francois Clervoy vergleicht sie mit einer Perlenkette, die steif wird, wenn man ihre Schnur spannt. "Die Astronauten drehen einen Knopf und ihr Haltegurt hält sie an der Stelle fest, wo sie gerade schweben."

Dann aber müssen Reiter und Williams noch mit den Tücken ihres Raumanzuges fertig werden. "Fast bei jeder Bewegung muss man gegen ihn kämpfen", berichten amerikanische Astronauten auf Nasa-Webseiten.

Der Druck in den Ärmeln macht zum Beispiel das Anwinkeln des Ellbogens zum Kraftakt. "Im Training muss man lernen, sich den Anzug zum Freund zu machen, und seine Bewegungen an die Freiheiten anpassen, die er lässt", sagt Clervoy.

Auch Thomas Reiter hat das monatelang geübt. So werden ihm vielleicht dann und wann am Donnerstag ein paar Sekunden bleiben, um auf die Erde zu blicken und ins schwarze All, in dem die Sterne leuchten. Ein kleiner Mensch in den Weiten des Weltraums. Das genau ist das Gefühl, um das ihn die Zuschauer mit ihren Baumarkt-Akkuschraubern hier unten beneiden werden.

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