Klimawandel:"Zu schön, um wahr zu sein"
Lesezeit: 3 Min.
Von Marlene Weiß
Es ist selten, dass Studien in wissenschaftlichen Fachzeitschriften sofort breit öffentlich diskutiert werden. Eine Arbeit aber, die vergangene Woche in Science erschien, machte Schlagzeilen und produzierte viele Reaktionen in sozialen Medien. Die Autoren um Jean-François Bastin und Thomas Crowther von der ETH Zürich hatten vorgeschlagen, den Klimawandel mit massiver Aufforstung zu mildern: Von dem bis heute in der Atmosphäre abgeladenen CO₂ ließen sich rund zwei Drittel wieder einfangen, wenn man nur genug Bäume pflanzen würde.
Das klingt gut, doch die Studie stieß schnell auf Kritik - und die wird immer lauter. Dabei geht es weniger um die Daten, die die Forscher gesammelt haben, als um ihre Interpretation und Darstellung, unter anderem in der einleitenden Zusammenfassung, dem Abstract. "Ich bin enttäuscht, dass Science einen Abstract zu einem - ansonsten guten - Artikel erlaubt hat, der sagt, dass Bäume pflanzen 'bislang unsere effektivste Klimalösung' ist", schrieb Pep Canadell, der Leiter des Global Carbon Projects, auf Twitter. "Das ist sachlich falsch und eine Ablenkung."
Das französisch-schweizerisch-italienische Autorenteam der Science-Studie hatte untersucht, welcher Teil der Erde für Bewaldung infrage käme. Dafür erstellten sie anhand von Satellitenbildern ein Modell der "natürlichen" Waldfläche in geschützten, unbewohnten Regionen, und erweiterten es mithilfe von maschinellem Lernen auf den ganzen Planeten. Abzüglich der Fläche, die heute etwa für Siedlungen oder Landwirtschaft genutzt wird, bleibt das Potenzial für Aufforstung.
Bis hierher gibt es durchaus Lob für die Studie: Die Methoden sind nach Ansicht von Experten gut und modern, die Analyse neu und relevant, Aufforstung ist nach einhelliger Meinung ein wichtiger Ansatz im Kampf gegen den Klimawandel mit vielen positiven Nebeneffekten. So können Bäume in manchen Regionen quasi ihr eigenes Klima machen, sodass die Temperatur sinkt und der Niederschlag steigt, ganz unabhängig vom CO₂-Effekt. Hinzu kommen Vorteile für die Artenvielfalt - wobei man bedenken sollte, dass viele der heute waldfreien Landschaften durchaus ihre eigenen Arten haben, die durch Aufforstung ihren Lebensraum verlieren würden.
Aber bei der Einordnung wird es hakelig. Die Autoren kamen auf die enorme Fläche von rund 900 Millionen Hektar, fast die Fläche der USA. Würde man diese Fläche mit Bäumen bepflanzen, würden diese beim Wachstum CO₂ aus der Luft aufnehmen. 205 Gigatonnen Kohlenstoff zusätzlich könne man so speichern - bei rund 300 Gigatonnen Kohlenstoff, die seit der Industrialisierung zusätzlich in die Atmosphäre gelangt sind. Dieser Vergleich unterstellt, zwei Drittel der bisherigen CO₂-Last ließen sich einfach per Bebaumung zurückholen. Das lässt sich aber kaum halten. Das hat mehrere Gründe. Der erste ist rein rechnerisch: Wenn eine Tonne Kohlenstoff in Form von CO₂ emittiert wird, verbleibt nur rund die Hälfte davon in der Atmosphäre; der Rest wird in einem sich stetig neu justierenden Gleichgewicht von der Erde eingelagert, vor allem in den Ozeanen.
"Tja, das Gleiche gilt, wenn man der Atmosphäre eine Tonne Kohlenstoff entzieht; die natürlichen CO₂-Senken geben eine halbe Tonne wieder ab", schreibt Pep Canadell in einer Reaktion auf die Studie auf Twitter. Der Prozess läuft sozusagen rückwärts ab - um eine Tonne Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu holen, müsste man daher zwei Tonnen einlagern, weil zuvor auch rund zwei Tonnen emittiert wurden. Das Rückholpotenzial verringert sich schon dadurch auf die Hälfte, allerhöchstens 100 Gigatonnen, selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein solches globales Megaprojekt trotz aller politischen, wirtschaftlichen, technischen und sozialen Schwierigkeiten gelingen sollte.
Kann Aufforstung vielleicht doch eine Lösung sein? "Ja, in meinem Hinterhof!"
Andere Forscher bestätigen diese Rechnung, etwa Myles Allen, Geowissenschaftler an der University of Oxford: "Wenn man Rückholpotenziale mit der atmosphärischen Last vergleicht, übertreibt man ihre Größe um ungefähr den Faktor zwei", sagt er - eben weil man die Reaktion von Ozeanen und Landflächen außer Acht lasse.
Hinzu kommt zweitens ein grundsätzliches Missverständnis, für welches die Autoren der Studie allerdings wenig können: CO₂, das in Bäumen gespeichert ist, ist keineswegs für immer unschädlich gemacht. Überall dort, wo Wälder abbrennen oder vernichtet werden sollten, würden sie all das gespeicherte CO₂ wieder abgeben, dann wäre die Aufforstungsaktion nur ein Zeitgewinn.
Kann also Aufforstung eine Lösung sein? "Ja, in meinem Hinterhof!", sagt Martin Lukac von der University of Reading. "Ich liebe Bäume, das tun wir alle. Aber Bäume pflanzen, um zwei Drittel der gesamten bisherigen anthropogenen Kohlenstofflast aufzusaugen, klingt zu schön, um wahr zu sein. Wahrscheinlich ist es das auch." Bislang, gibt er zu bedenken, hätten Menschen nur auf drei Weisen in großem Stil Wälder vergrößert: Durch schrumpfende Bevölkerung in Russland, durch steigende Produktivität industrieller Landwirtschaft im Westen, und durch direkten Befehl einer autoritären Regierung in China. "Keine dieser Aktivitäten sieht im globalen Maßstab annähernd machbar oder nachhaltig aus", sagt Lukac.
Und selbstverständlich würde auch eine globale Neu-Bewaldung, selbst wenn sie gelingen sollte, nichts daran ändern, dass die Emissionen schnell auf null fallen müssen. Sonst stünde man bald wieder an der gleichen Stelle wie heute. "Die 200 Gigatonnen Kohlenstoff, welche die Studie nennt, entsprechen weniger als 20 Jahren heutiger Emissionen", sagt Myles Allen. "Ja, heroische Aufforstung kann helfen, aber es ist an der Zeit, damit aufzuhören, so zu tun, als gäbe es eine 'natürliche Lösung' für die weitere Nutzung fossiler Brennstoffe. Die gibt es nicht. Tut mir leid."