"Es ist, als ob sich eine große, graue Staubdecke über dein Leben zieht. Nichts ist mehr, wie es war - die Farben, die Töne, alles ist anders."
So beschreibt ein Vater seinen schon mehrere Jahre währenden Zustand. Seit sich seine Frau von ihm getrennt hat, ist der Kontakt zu beiden Kindern komplett abgebrochen.
Als "immerzu blutende Wunde" schildert ein anderer Vater, der seine Kinder ebenfalls nicht mehr sieht, seine Lage. Eine Mutter spricht gar von ihrer "verlorenen Lebenszeit, die ist einfach weg, mit nichts, mit Dasitzen und Grübeln".
Im Jahr 2005 wurden in Deutschland mehr als 200.000 Ehen geschieden, 2006 waren es etwa 190.000. Etwa 150.000 minderjährige Kinder sind von diesen Trennungen betroffen. Welche Folgen das für Kinder und Eltern haben kann, ist bisher kaum untersucht worden.
Besonders wenig berücksichtigt wurde von der Forschung, wie sich kompletter Kontaktentzug auf die Eltern und Kinder auswirkt, die sich nicht mehr sehen. Die Psychologin Esther Katona von der Universität Freiburg hat nun in einer umfangreichen Arbeit analysiert, wie es den Vätern und Müttern geht, die von ihren Kindern getrennt sind.
Die Psychologin hat die Angaben von 288 von ihren Kindern getrennten Elternteilen ausgewertet, fast 88 Prozent davon Männer. Da das Thema wenig erforscht ist, entwickelte Katona mit anderen Psychologen einen Erhebungsbogen, der 207 zumeist offen gestellte Fragen umfasste. Nachdem sie im Internet auf ihre Erhebung hingewiesen hatte, rechnete Katona mit einem bescheidenen Rücklauf. "Ich dachte, da meldet sich keiner - nach einer Woche waren 170 Mails da."
Schlafprobleme, Rückenschmerzen, Depressionen
Vom Ausmaß der gesundheitlichen, psychischen und sozialen Beeinträchtigungen der Elternteile war Katona überrascht. Ihre Lebensqualität bezeichneten 64 Prozent der Teilnehmer als mittelmäßig oder schlecht, unzufrieden mit ihrer seelischen Verfassung waren 53 Prozent.
Ihre körperliche Befindlichkeit sahen 45 Prozent der Befragten als "stark beeinträchtigt" an, mehr als zwei Drittel waren chronisch müde, hatten Schlafprobleme, sowie Nacken- oder Rückenschmerzen. 67 Prozent hatten klinisch auffällige depressive Symptome.
"Aus der Arbeit mit Eltern und Kindern weiß man, dass alle Beteiligten unter konflikthaften Trennungen stark leiden, besonders die Kinder und die gemiedenen Eltern", sagt Ursula Kodjoe, Psychologin aus Emmendingen. "Die Folgen sind jedoch noch massiver als ich dachte." Kodjoe kritisiert, dass bisher viel zu wenig über Trennungsfolgen geforscht wurde: "Hier ist echte Pionierarbeit geleistet worden, denn wie es Eltern ohne Kontakt zu ihren Kindern ging, schien lange kaum jemanden zu interessieren."
Neben den gesundheitlichen Folgen hatte der Kontaktabbruch auch erhebliche Auswirkungen auf das Sozialleben der Eltern. "Meine Klingel ist abgestellt", sagte ein Vater. Ein anderer beschrieb sein Privatleben so: "Meine Freizeitgestaltung besteht darin, um mein Kind zu kämpfen." Eine Mutter begründete ihren sozialen Rückzug damit, dass sie kaum auf Fremde zugehe, "weil man dann befürchtet, als Frau und Mutter gefragt zu werden: Wo sind deine Kinder?"
"Schlimmer als der Tod eines Kindes"
Manche der von ihren Söhnen und Töchtern getrennten Eltern erleben den Kontaktabbruch "schlimmer als den Tod eines Kindes". "Die Vorstellung, ich könnte meinem Kind über den Weg laufen und es nicht erkennen, ist unerträglich", sagt ein Vater, der seinen Sohn seit Jahren nicht mehr gesehen hat.
80 Prozent der Teilnehmer an der Untersuchung hatten ihre Kinder seit mindestens einem Jahr nicht mehr getroffen, bei 20 Prozent lag der letzte Kontakt sogar schon länger als sieben Jahre zurück. "Für Außenstehende ist das oft nicht zu begreifen", sagt Katona. "Schließlich hatten zwei Drittel der Eltern das gemeinsame Sorgerecht"
Katona weiß, dass womöglich besonders die Eltern an der Untersuchung teilgenommen haben, deren Leidensdruck hoch ist. "Allerdings reagieren viele von ihren Kindern getrennte Eltern mit sozialem Rückzug, Antriebslosigkeit und anderen depressiven Symptomen", sagt Katona. "Deshalb fürchte ich, dass diejenigen, die am stärksten leiden, gar nicht erfasst sind - sie wollen die schmerzhafte Konfrontation vermeiden."
Dass zwischen Eltern und Kindern oftmals über Jahre kein Kontakt mehr besteht, liegt auch daran, dass sich viele Kinder einseitig mit dem Elternteil solidarisieren, bei dem sie leben - und die von ihnen getrennten Väter oder Mütter verunglimpfen. Eltern werden kompromisslos eingeteilt in den guten, geliebten Part - meist die Mutter - und den bösen, gehassten, der meist der Vater ist.
"Wird der Umgang vereitelt, verschwinden die Väter aus dem Leben der Kinder nach Trennung oder Scheidung", sagt Astrid Camps, Kinder- und Jugendpsychiaterin aus Eitorf in der Nähe von Bonn. "Das kann man nicht mit den Folgen einer normalen Trennung vergleichen." Camps hat Geschwister erlebt, die nach einigem Zureden bereit waren, den Vater zu sehen. "Die waren sich einig und haben angedroht: Okay, aber dann machen wir ihn fertig, wie damals, als er heulend aus dem Café gerannt ist", sagt Camps.
Mein Vater, der Feind
Der Psychiater Richard Gardner von der Columbia University in New York hat 1985 für die Schwierigkeiten nach besonders konfliktträchtigen Trennungen den Begriff "Parental Alienation Syndrom" (PAS = elterliches Entfremdungssyndrom) geprägt. Je stärker der Paarkonflikt, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der alleinlebende Elternteil Anfeindungen ausgesetzt ist - unterstützt von Manipulationen des ausgrenzenden Elternteils.
Nicht nur für die ausgegrenzten Eltern, auch für die Kinder hat die Entfremdung negative Folgen. "Das Kind erlebt einen großen Verlust, dessen Ausmaß man im Verlust eines Elternteils, der Großeltern und all der Freunde und Verwandten dieses Elternteils sehen muss", sagt Glenn Cartwright von der McGill University in Montreal. "Das Kind kann diesen Verlust jedoch nicht sehen und ihn erst recht nicht betrauern."
Astrid Camps hat beobachtet, dass "PAS-Kinder" häufig unter Antriebsschwäche, Freudlosigkeit und sozialem Rückzug leiden. "Im schwersten Fall kann ein Kind gar nicht mehr auf den gemiedenen Elternteil zugehen und schreit nur noch", sagt Camps. "Natürlich gibt es auch Kinder, die da gut durchkommen, viele sind dem Druck aber nicht gewachsen."