Hirndoping und künstliche Gliedmaßen:Besser Denken unter Strom?

Dabei wirken Magnetfelder oder schwache Stromstöße mit Gleichstrom auf verschiedene Hirnregionen. Damit lässt sich offenbar Müdigkeit unterdrücken und die Aufmerksamkeit erhöhen. Forscher um Friedhelm Hummel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf konnten zeigen, dass ältere Menschen unter transkranieller Gleichstromstimulation leichter Fingerübungen erlernten - junge Menschen dagegen nicht.

Das Militär prüft zum Beispiel, ob die Technologie die Wahrnehmungsfähigkeit der Soldaten unter simulierten Gefechtsbedingungen in einem virtuellen Nahost-Szenario erhöht. In Form von Headsets sind "Denkkappen", die so arbeiten, bereits auf dem Markt. Allerdings ist die Technologie umstritten. Niemand wisse, so Torgersen, wann und warum sie manchmal funktioniere.

Hirndoping und künstliche Gliedmaßen: Screenshot: Werbung für eine ThinkingCap auf der Seite des Unternehmens foc.us

Screenshot: Werbung für eine ThinkingCap auf der Seite des Unternehmens foc.us

(Foto: foc.us)

Berhard Sehm und Patrick Ragert vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig warnen insbesondere vor dem Einsatz bei Soldaten und Sicherheitskräften, die unter der "Stimulierung" andere Menschen gefährden könnten. Außerdem kann die Technik offenbar auch das moralische Verhalten der Träger beeinflussen. So hielten Versuchspersonen es eher für akzeptabel, dass Personen vor einer Gefahr nicht gewarnt werden, wenn ganz bestimmte Hirnregionen einem Magnetfeld ausgesetzt waren.

Die Probleme bei der Entwicklung der Neuro-Enhancer hängen unter anderem damit zusammen, dass sich das gesunde Gehirn in einem Teilbereich vielleicht optimieren lässt, aber andere Funktionen dadurch beeinträchtigt werden. "Das Naturprinzip der Homöostase (Gleichgewicht) lässt sicher erwarten, dass längerfristiges Neuroenhancement Gegenregulationen induziert", sagt etwa Jürgen Fritze von der Universität Frankfurt am Main im DAK Gesundheitsreport 2015. Mit anderen Worten: Das Gehirn stellt sich auf bestimmte Substanzen ein. Dann aber wird die Wirkung nachlassen und es droht eine Abhängigkeit.

Auch Leon Kass, Moralphilosoph und damals Vorsitzender des Bio-Ethikrates des US-Präsidenten, wies bereits 2004 darauf hin, "der menschliche Körper und Geist, hochkomplex und fein balanciert als Folge einer äonenlangen, graduellen und anspruchsvollen Evolution, wird durch alle schlecht überlegten Versuche der "Verbesserung" gefährdet.

Über Prothesen und Gedächtnis-Chips zum Super-Soldaten

Neben den Methoden, die auf die Hirnchemie und -physik abzielen, gibt es aber noch ein anderes Feld, auf dem die Entwicklung deutlich erkennbar voranschreitet. Der Einsatz von Geräten, die in den Körper implantiert oder über Nerven und das Gehirn gesteuert werden: Cochlea-Implantate lassen Taube schon seit Jahren wieder hören. Manche Blinde können mit Silizium-Chips im Auge, die Reize über den Sehnerv ins Gehirn schicken, wieder genug sehen, um sich räumlich zu orientieren.

An Universitäten, Rehabilitationszentren und in Laboren des US-Verteidigungsministeriums arbeiten Wissenschaftler an Roboterarmen und -beinen mit Gedankensteuerung. Inzwischen gelingt es Wissenschaftlern wie Thomas Stieglitz von der Universität Freiburg sogar, Amputierten über eine Prothese sensorischen Input zurückzuschicken. Die Patienten lernen also, mit einem künstlichen Glied etwas zu "fühlen".

Gelähmte senden bereits über Brain-Computer-Interfaces E-Mails. Blinde bekommen über Elektroden im Auge Informationen von einer Kamera - und können hell und dunkel wieder unterscheiden. Forscher fliegen mit ihren Gedanken Flugzeuge im Simulator, lassen über Hirnstrommessungen (EEG) den Schwanz einer Ratte zucken oder nutzten die Hand eines anderen Menschen, um auf eine Taste zu tippen. Ein junger Mann ohne Kontrolle über seine Beine steuert ein Exo-Skelett mit seinem Gehirn und eröffnet mit einem Tritt gegen einen Ball die WM 2014. Selbst zwei Gehirne wurden auf eine Weise miteinander verbunden, dass sich ihre Besitzer über große Distanz einfache Signale zusenden konnten.

Fühlende Prothese

Fühlende Prothese des Projects "LifeHand 2", an dem Forscher der Uni Freiburg beteiligt sind

(Foto: Photographer: Patrizia Tocci; lifehand2project)

Der Hirnforscher Christian Elger von der Universität Bonn erwartet, dass die Menschen in einigen Jahrzehnten auch Computerprogramme mit ihren Gedanken bedienen werden, indem sie ganz bestimmte Hirnregionen aktivieren. "Ich werde dann Kraft meiner Gedanken zum Beispiel mein Haus aufschließen können", sagte Elger kürzlich dem Magazin Bild der Wissenschaft.

Wer Hugh Herr begegnet, bekommt schon jetzt einen Eindruck von dem, was die Zukunft bringen wird - und muss unweigerlich an die Augmentierungen aus "Deus Ex" denken. Der Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Technology hat 1982 bei einem Unfall in den Bergen beide Beine unterhalb der Oberschenkel verloren. Mit seinen "bionischen" Prothesen geht er nicht nur, er rennt und steigt sogar wieder auf Berge. Die künstlichen Unterschenkel eines Oscar Pistorius sind nichts dagegen.

Für verschiedene Bedingungen hat Herr unterschiedliche Prothesen entwickelt. So besitzt er Fußprothesen mit Spikes, um damit Gletscherwände zu bewältigen. Gegenwärtig zielt solche Technologie vor allem darauf, Behinderten, Kranken und Alten zu helfen. Herr glaubt, dass die Menschheit in 50 Jahren physische oder seelische Gebrechen weitgehend eliminiert haben wird.

Aber künstliche Glieder könnten - und sollen - in Zukunft auch stärker sein als natürliche Arme und Beine. Mit sogenannten Exo-Skeletten, aber auch mit Prothesen könnten Menschen übermenschliche Fähigkeiten erhalten. Insbesondere das Militär, das schon jetzt regelmäßig auf Drogen und Arzneimittel zurückgreift, interessiert sich für solche Forschung.

Theodore Berger von der University of Southern California ist davon überzeugt, dass gravierende Fortschritte bevorstehen: Er arbeitet an Gedächtnis-Chips, die US-Soldaten mit Hirnverletzungen helfen sollen. Laborratten haben Berger und sein Team bereits mit einem solchen Gerät Erinnerung daran eingespeist, welcher Hebel im Käfig eine Belohnung verspricht. Er kann sich vorstellen, dass in Zukunft Menschen Erinnerungen auf einem Chip speichern, und sich mit Hilfe des Gerätes dann an Dinge wie die Namen ihrer Enkelkinder erinnern.

Mit der wachsenden Lebenserwartung steigt die Zahl von Patienten, die lange Zeit unter Demenz leiden werden und versorgt werden müssen. Die Kosten der Chips, so Berger, würden im Vergleich dazu verblassen. Fernziel solcher Forschung ist aber nicht die Heilung von Patienten, sondern die Optimierung von Leistungen etwa von Soldaten. Vielleicht werden einmal die Nervenbahnen von Soldaten direkt mit den Schaltkreisen ihrer Waffen, Fahrzeuge oder Jets verbunden sein. "Wenn man eine F18 fliegt", so rechtfertigte Berger im Fachmagazin Nature 2003 seine Arbeit, "kann man sich keine Fehler erlauben".

Vielleicht werden Soldaten sich in Zukunft also mit superschnellen, extrem starken Exo-Skeletten oder künstlichen Gliedern fortbewegen. Unterstützt von Gedächtnisimplantaten, die helfen, schnelle Entscheidungen zu fällen oder Manöver zu vollziehen, ohne sie mühselig zu trainieren.

Die Menschheit, so meinen jedenfalls Forscher wie Theodore Berger und Hugh Herr, sei auf dem Weg ins "Zeitalter der Cyborgs". Ähnlich sieht es auch Stefan Greiner von Cyborgs e.V. Greiner gilt als einer der ersten Cyborgs der Welt, da er sich einen Magneten in einen Finger hatte einsetzen lassen. Damit konnte er durch Vibrieren etwa Kabel in der Wand spüren. Der Magnet ist aus praktischen Gründen wieder draußen, doch Greiner und andere experimentieren weiter mit implantierten Magneten und RFID-Chips, um ihre Smartphones zu steuern oder Musik zu hören. Oder, wie der Amerikaner Rich Lee, um eine Art Echolot zu entwickeln, das seine Augen ersetzen soll, wenn er aufgrund einer Krankheit weiter erblinden sollte.

Hirndoping und künstliche Gliedmaßen: In den Labors der Defense Advanced Research Projects Agency des Pentagon träumen Forscher vom Supersoldaten

In den Labors der Defense Advanced Research Projects Agency des Pentagon träumen Forscher vom Supersoldaten

(Foto: Darpa)

Auch der Philosoph Thomas Metzinger von der Universität Mainz wähnt uns in einer historischen Übergangsphase, die möglicherweise zu einer "naturalistischen Wende im Menschenbild" führen wird: Möglicherweise bewegen wir uns auf ein grundlegend neues Verständnis dessen zu, was es heißt, ein Mensch zu sein.

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