Süddeutsche Zeitung

Atomunglück:Zufall verhinderte in Fukushima Explosion von Brennstäben

  • Nach dem Atomunglück von Fukushima drohte ein schwerer Brand in einem Abklingbecken. Brennstäbe hätten in diesem Fall große Mengen Radioaktivität freigesetzt.
  • Nur ein zufälliges Leck in einem anderen Bereich führte wohl dazu, dass die Brennelemente gekühlt blieben.

Von Christoph Behrens

Japan ist nach dem Reaktorunglück von Fukushima I (Daiichi) 2011 offenbar nur aufgrund eines Zufalls einer noch schlimmeren Katastrophe mit massiver radioaktiver Freisetzung entgangen. Zu diesem Schluss kommt eine vom US-Kongress beauftragte Untersuchung der amerikanischen Akademien der Wissenschaften (NAS).

Wie die Experten schreiben, ging nach dem Erdbeben und Tsunami im März vor fünf Jahren nicht nur von den beschädigten drei Kernreaktoren des Kraftwerks erhebliche Gefahr aus, sondern auch von einem Abklingbecken in Reaktorblock 4. In solchen mit Wasser gefüllten Becken müssen abgebrannte Kernelemente mehrere Jahre lang abkühlen, bevor sie zwischengelagert werden können.

Es drohte eine höhere Strahlenbelastung als bei Tschernobyl

Weil nach dem Tsunami das Kühlsystem in Block 4 ausfiel, ließen die noch heißen Brennstäbe einen Teil des Wassers verdampfen. Kurz bevor die Brennstäbe ganz freilagen und Radioaktivität in die Luft gelangen konnte, kam der Zufall zu Hilfe: Ein ungewolltes Leck an einem Tor zum angrenzenden Reaktorraum habe wahrscheinlich dafür gesorgt, dass von dort Wasser nachgeflossen sei und die Brennstoffe gekühlt blieben, schreiben die US-Forscher.

Hätte es das Leck nicht gegeben, wären die Folgen wohl noch schlimmer gewesen. "Wenn das Wasser verloren geht, dann heizen sich die Brennelemente auf und schmelzen irgendwann", erklärt Horst May von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS. Die Hitze könnte eine Wasserstoff-Explosion auslösen und die zirconiumhaltige Hülle der Brennstäbe entzünden. Hoch radioaktiver Rauch würde in die Atmosphäre entweichen und sich dort verteilen.

Die japanische Regierung hatte dieses Szenario später als "Kettenreaktion des Teufels" bezeichnet. Eine Studie der US-Atomregulierungsbehörde NRC warnt, ein Feuer in einem Abklingbecken könne ein Mehrfaches der Strahlenbelastung Tschernobyls bewirken; bis zu vier Millionen Menschen müssten umgesiedelt werden. Die Kosten eines solchen Unglücks würden in die Billionen Dollar gehen, schätzte der Atomexperte Frank von Hippel im Wissenschaftsmagazin Science.

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Quelle:
SZ vom 24.05.2016/tiba
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