Kernkraft nach Fukushima:Warum die Atomenergie an Bedeutung verliert

Kernkraft nach Fukushima: Die meisten Atomkraftwerke in Frankreich wurden, wie diese Anlage bei Cruas, in den 1970er- bis 1990er-Jahren gebaut und müssten in den kommenden Jahren eigentlich abgeschaltet werden.

Die meisten Atomkraftwerke in Frankreich wurden, wie diese Anlage bei Cruas, in den 1970er- bis 1990er-Jahren gebaut und müssten in den kommenden Jahren eigentlich abgeschaltet werden.

(Foto: Jeff Pachoud/AFP)

Trotz der Nuklearkatastrophe in Japan halten viele Staaten an der Atomenergie fest, etliche wollen sogar neu einsteigen. Am Niedergang der Technik dürfte das aber wenig ändern.

Von Christoph von Eichhorn

Als die Flutwellen vor zehn Jahren Japans Küste verheerten und das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi zerstörten, trafen sie eine Technologie, die bereits im Niedergang war, auch ohne drei Kernschmelzen auf einen Schlag. Ihren Höhepunkt erreichte die Atomkraft schon 1996 mit einem Anteil von 17,5 Prozent an der weltweiten Stromproduktion. Seitdem sinkt er kontinuierlich, derzeit sind es noch zehn Prozent. Der Bau neuer Kernreaktoren ist sogar schon seit Ende der 1970er-Jahre rückläufig.

Das ist umso bemerkenswerter, als kaum ein Land mit Atomkraftwerken eine explizite Abkehr von der Kernkraft vollzogen oder ausgesprochen hat, auch nicht nach der japanischen Nuklearkatastrophe. In Europa schloss sich einzig die Schweiz Mitte 2011 dem Atomausstieg Deutschlands an. Das letzte Schweizer Atomkraftwerk geht vermutlich 2034 vom Netz. Österreich und Italien hatten sich schon 1987 nach dem Unglück in Tschernobyl von der Kernspaltung verabschiedet. In Italien sprachen sich wenige Monate nach den Ereignissen in Fukushima 95 Prozent der italienischen Wähler in einem Referendum gegen den Wiedereinstieg in die Atomkraft aus, eine schwere Niederlage für den damaligen Regierungschef Silvio Berlusconi.

Weitere Auflagen hätten zu "auffälligen und unerwarteten Preissteigerungen" geführt, schreiben Wissenschaftler

Viele europäische Staaten halten hingegen weiterhin an der Atomtechnik fest. Frankreich hat kürzlich die Laufzeiten für die 32 ältesten Reaktoren auf 50 Jahre verlängert, ein neuer Reaktor ist in Flamanville im Bau. In Großbritannien, Finnland und der Slowakei entstehen derzeit ebenfalls neue Atommeiler. Auch die USA bleiben der Atomenergie unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden treu. Laut Internationaler Atomenergiebehörde IAEA wollen derzeit 28 Staaten neu in die Kernkraft einsteigen, etwa Bangladesch, Nigeria und Saudi-Arabien.

Wieso also geht die tatsächliche Bedeutung der Atomenergie trotz politischer Unterstützung weiter zurück? Einen Hinweis gibt eine Studie, die kürzlich im Fachmagazin Nature Energy erschienen ist. "Nach jedem der ernsten Zwischenfälle oder Unfälle in Three Mile Island (1979), Tschernobyl (1986) und Fukushima wurden die regulatorischen Anforderungen substanziell verschärft, sowohl für Kernkraftwerke in Betrieb als auch für Neubauprojekte", schreiben die Forscher um Benjamin Sovacool von der britischen Universität Sussex. Diese Verschärfungen hätten jedes Mal zu höherem Bedarf an Equipment, Baumaterial und Arbeitskräften sowie mehr Planungsaufwand geführt, was zu "auffälligen und unerwarteten Preissteigerungen, längeren Shutdowns und Verzögerungen bei laufenden Projekten" geführt habe. Insofern trug die Katastrophe in Japan durchaus zum Niedergang der Atomenergie bei, wenn auch eher aus ökonomischen als aus politischen Gründen.

"Es ist klar zu beobachten, dass Kernkraftwerke in den letzten Jahrzehnten nicht billiger, sondern teurer geworden sind", sagt Christoph Pistner, Bereichsleiter Nukleartechnik & Anlagensicherheit beim Öko-Institut in Darmstadt und Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission des Umweltministeriums. Dabei seien viele Lehren, die man aus Fukushima gezogen habe, noch gar nicht umgesetzt worden. So wollte Frankreich nach der Katastrophe seine Anlagen mit einem "hardened safety core" ausrüsten; dieser Sicherheitskern ist dazu gedacht, Folgen von Extremereignissen wie einem Erdbeben zu begrenzen und den Reaktor zu schützen. "Das ist in Frankreich bis heute nicht vollständig umgesetzt, und es könnte noch weit über ein Jahrzehnt dauern, bis dies in allen Anlagen erfolgt ist", sagt Pistner. Sicherheitsanforderungen seien aber nicht der einzige Faktor. So lässt sich mit Windkraft und Photovoltaik inzwischen oft deutlich günstiger Strom erzeugen als mit Atomkraft. Auch im Vergleich zu den erneuerbaren Energien verliert Kernkraft also an Attraktivität.

In Europa fließen oft hohe Staatszuschüsse für neue Kraftwerke

Wenn in Europa noch neue Anlagen gebaut werden, dann fließen oft hohe Subventionen. Für das in Bau befindliche Kernkraftwerk Hinkley Point C, dessen Gesamtkosten auf 26 Milliarden Euro geschätzt werden, hat die britische Regierung der französischen Betreiberfirma EDF einen Einspeisetarif von elf Cent pro Kilowattstunde über 25 Jahre zugesagt, das entspricht dem dreifachen des Marktpreises. Hinzu kämen Entschädigungszahlungen, sollte das Kraftwerk früher stillgelegt werden als vereinbart. Im Januar gab EDF bekannt, dass Hinkley Point C wegen der Corona-Pandemie 580 Millionen Euro teurer werde als geplant, die Fertigstellung ist nun für 2026 vorgesehen. Beim Bau eines neuen Reaktorblocks im französischen Flamanville vom neuen Typ "Europäischer Druckwasserreaktor" ist EDF zehn Jahre hinter dem Zeitplan.

Bei bestehenden Kernkraftwerken sind Ausfälle immer noch ein Problem. So waren weltweit alle Kernkraftwerke seit den 1970er-Jahren laut einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nur zu 66 Prozent ausgelastet, ein Drittel der Kapazität ist also ungenutzt, was häufig an längeren Ausfällen liegt. In Frankreich wurde dies während der Hitzesommer 2018 und 2019 deutlich. Kernkraftwerke brauchen sehr viel Kühlwasser, was zum Problem wird, wenn umliegende Gewässer sich schon so stark aufgeheizt haben, dass eine Wasserentnahme nicht mehr möglich ist. So waren 2018 am Höhepunkt der Ausfälle 27 von 58 französischen Atomreaktoren kurzzeitig außer Betrieb, ein Jahr später 24.

Nur in Asien wächst die Bedeutung der Atomenergie derzeit, vor allem aufgrund neuer Bauvorhaben in Indien und China. Dass dies insgesamt zu einem neuen Aufschwung der Technik führt, ist kaum zu erwarten. "Es gibt keine nennenswerte Renaissance der Kernenergie", erklärt das DIW. Selbst die IAEA schätzt den Anteil der Kernenergie am weltweiten Strommix bis 2050 auf maximal zwölf Prozent. Dies würde allerdings einen Zubau um 80 Prozent der heutigen Kapazitäten erfordern, auf insgesamt 790 Gigawatt. Das ist kaum realistisch. Im Szenario eines niedrigen Zubaus läge der Anteil noch bei sechs Prozent. Das wäre nur noch gut die Hälfte des heutigen Wertes.

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