Atomkatastrophe in Japan: USA und Russland:Spuren der Strahlung

Radioaktive Partikel aus dem havarierten Atommeiler Fukushima-1 sind bis nach Russland und Nordamerika geweht worden - und könnten am Mittwoch Deutschland erreichen. Grund zur Panik ist das aber nicht.

Immer deutlicher zeigt sich, dass seit der Erdbebenkatastrophe vom 11. März hochradioaktive Wolken über Japan gezogen sind. Erstmals sind auch Ergebnisse eines weltweiten Netzes von Messstationen verfügbar, das eigentlich geheime Atomwaffenversuche aufspüren soll.

Dazu durchsuchen weltweit mehrere Dutzend hochempfindliche Radionuklid-Zähler die Atmosphäre kontinuierlich nach Spuren radioaktiver Substanzen. Sie werden von der Organisation zur Überwachung des Kernwaffenteststoppvertrags in Wien (CTBTO) koordiniert. Zwei dieser Messstationen befinden sich in Japan, eine davon etwa 200 Kilometer südwestlich des Atomkraftwerks Fukushima1.

Am 15. März wehte der Wind von den havarierten Reaktoren direkt über diese Messanlage. Das in Deutschland für das CTBTO-Netz zuständige Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe spricht von einer "erheblichen Aktivitätskonzentration". So wurden von dem radioaktiven Edelgas Xenon-133 mehrere tausend Becquerel pro Kubikmeter Luft gemessen. Diese Konzentration ist in den vergangenen Tagen wegen der Windrichtung wieder gesunken. Auch in Russland wurden am 14. März Spuren radioaktiver Partikel aus Fukushima gefunden: Die Konzentration betrug aber nur etwa ein Promille des japanischen Wertes.

Weitere Spuren des japanischen Atomunfalls erschnüffelten die CTBTO-Messanlagen am 16. März in den USA sowie am 18. März in Kanada. Bis zum 20. März schlugen auch Messstationen an sieben weiteren US-Orten an. Die Konzentrationen lagen jedoch alle bei etwa einem Zehntausendstel der japanischen Werte. Für diesen Mittwoch wurden erste radioaktive Partikel über Deutschland erwartet. Bedrohlich werden die Konzentrationen aber nicht sein. Experten hatten die Verbreitung der Partikel schon bis Island verfolgen können.

Weiterhin stark kontaminiert sind einige Gebiete der japanischen Präfektur Fukushima. Dort gibt es nordwestlich des Kraftwerks eine Zone, in der seit Tagen eine Strahlungsbelastung über 100 Mikrosievert pro Stunde gemessen wird. Thomas Jung, Leiter der Abteilung Strahlenwirkung beim Bundesamt für Strahlenschutz, hält es für möglich, dass dieses Gebiet "langfristig nicht mehr genutzt werden kann". Eventuell müssten die Bewohner dauerhaft umgesiedelt werden. Jung berichtet auch von erheblich verstrahltem Gemüse. So sei im 130 Kilometer nordöstlich von Tokio gelegenen Hitachi Spinat gefunden worden mit einer Jod-131-Belastung von bis zu 54.000 Becquerel pro Kilogramm. Der Grenzwert betrage 2000 Becquerel, sagt Jung. "Hier ist die Grenze für ein signifikantes Krebsrisiko erreicht", warnt er.

Die Regierung in Tokio hat einen Lieferstopp für Spinat und Kakina, ein anderes Blattgemüse, aus Fukushima, Iwate, Tochigi und dem nordwestlich von Tokio gelegenen Gunma verhängt. Die vier betroffenen Präfekturen produzieren fast zwei Drittel des japanischen Spinats. Trotz der ausgebliebenen Lieferungen beklagten sich viele Gemüsehändler am Dienstag, auch Blattgemüse aus anderen Landesteilen würde nicht mehr gekauft. Landwirtschaftsminister Michihiko Kano sagte, mehrere Supermarktketten weigerten sich, überhaupt Spinat in ihre Regale zu nehmen. Einige hätten Gemüselieferungen zurückgeschickt, obwohl diese eingetroffen seien, bevor die Sperre verhängt wurde. Außerdem soll nun auch radioaktiv belasteter Brokkoli in der Umgebung des AKW entdeckt worden sein.

Die Kommission für Nahrungsmittelsicherheit traf sich am Dienstag, um Grenzwerte für in Japan produzierte Lebensmittel vorzubereiten. Sie sollen bis nächste Woche feststehen, bis dahin gelten die provisorischen Werte der vergangenen Woche. Nach Tschernobyl hatte Japan Grenzwerte für importierte Lebensmittel eingeführt. Für heimische Produkte fehlen aber Grenzwerte, man hielt einen Atomunfall für unmöglich. Der provisorische Grenzwert für Trinkwasser liegt bei 100 Becquerel pro Liter. Das sei das Maximum für Kleinkinder, hieß es am Dienstag. Dennoch wurde auch Erwachsenen geraten, Wasser mit dieser Belastung nicht zu trinken. Das Wasser von fünf Gemeinden der Präfektur Fukushima hat den Grenzwert überschritten, im Dorf Iitate um mehr als das Dreifache.

Im Pazifik dürften Fische und andere Meereslebewesen in unmittelbarer Nähe des Kraftwerks unter einer erhöhten radioaktiven Belastung leiden. Ulrich Rieth vom Institut für Fischereiökologie am Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut (vTI) in Hamburg rechnet mit erhöhter Konzentration radioaktiven Cäsiums nahe dem Fukushima-Kraftwerk. Reaktorbetreiber Tepco hat eine Verseuchung mit Iod-131 und Cäsium-Isotopen nachgewiesen, nicht nur vor der Küste beim Meiler, sondern auch in 16 Kilometern Entfernung.

Dank der starken Meeresströmung werden sich die radioaktiven Stoffe aber schnell großflächig im Pazifik verteilen - und dabei stark verdünnen. Vor allem radioaktives Cäsium bauen Lebewesen in ihren Körper und Stoffwechsel ein, weil es chemisch dem Element Kalium ähnelt. Zuerst sind Plankton, Muscheln und Algen betroffen, die einen hohen Wasserumsatz haben. Über sie gelangt das Cäsium dann vermutlich in einigen Wochen auch in die Fische. Die Erfahrungen zeigen aber auch, dass Meer und Fische sich schnell von einer radioaktiven Belastung erholen können. Bereits ein Jahr nach Tschernobyl habe sowohl im Wasser als auch im Ostseefisch das Cäsium erheblich abgenommen, heißt es beim VTI.

Einig sind sich Fachleute, dass deutsche Verbraucher keine Angst vor kontaminiertem Fisch aus Japan haben müssen. Das Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei in Braunschweig schließt aus, dass Menschen hierzulande durch strahlenverseuchte Fische und Meeresprodukte gefährdet sind. Es gebe mehrstufige Kontrollen, sowohl auf den russischen Schiffen als auch bei der Einfuhr nach Deutschland, heißt es beim Fisch-Informationszentrum Hamburg.

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