Atomkatastrophe in Japan:Reaktoren in Fukushima-1 sollen "unter Kontrolle" sein

Neun Monate nach der Atomkatastrophe in Japan hat die Regierung erklärt, das havarierte Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi befinde sich im Zustand einer Kaltabschaltung. Das wäre eine gute Nachricht. Experten haben daran allerdings erhebliche Zweifel.

Die havarierten Atomreaktoren von Fukushima-1 sind nach Angaben des japanischen Regierungschefs Yoshihiko Noda "im Zustand der Kaltabschaltung, so dass das Unglück nun unter Kontrolle ist". Die Temperaturen im Inneren der Reaktoren lägen nun konstant unter 100 Grad Celsius, erklärte er bei einem Treffen mit der Atom-Taskforce des Landes. Damit, so die Hoffnung, träten nicht länger beträchtliche Mengen an Radioaktivität in die Umgebung aus. "Auch bei unvorhersehbaren Zwischenfällen kann die Strahlung am Rande der Anlage jetzt auf einem niedrigen Niveau gehalten werden", sagte der Regierungschef.

Fukushima

Das havarierte japanische Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi im November 2011.

(Foto: dpa)

Trifft dies zu, so wäre das nach dem Super-GAU im März und den darauf folgenden Hiobsbotschaften von verstrahlten Landschaften, kontaminierten Lebensmitteln und radioaktivem Wasser endlich eine gute Nachricht.

Vom Zustand des sogenannten cold shutdown spricht man, wenn in den Reaktoren eines funktionsfähigen Atomkraftwerks keine Kettenreaktionen mehr stattfinden und das Kühlwasser eine Temperatur von weniger als 95 Grad Celsius erreicht hat, so dass die Brennstäbe entnommen werden können, um sie in ein Abkühlbecken zu verlegen.

Im AKW Fukushima-Daiichi waren die Kühlsysteme bei dem Erdbeben und dem Tsunami im März so schwer beschädigt worden, dass es in drei Reaktoren zur Kernschmelze kam. Um die Reaktorkammern zu kühlen, besprühte die Betreiberfirma Tepco sie mit Wasser. Inzwischen funktionieren die Kühlsysteme zum Teil provisorisch.

Einige Experten gehen davon aus, dass die Erklärung der Taskforce in erster Linie ein Versuch ist, die Öffentlichkeit zu beruhigen. Zu diesem Zweck versuche sie, den Eindruck zu erwecken, man würde die Kühlung wie versprochen bis zum Ende des Jahres wiederherstellen. In der New York Times äußerte etwa Kazuhiko Kudo, Professor für Kerntechnik an der Universität von Kyushu, Zweifel daran, dass die Situation in Fukushima-1 tatsächlich unter Kontrolle ist.

Dass die Betreiberfirma Tepco mit Hilfe weiterer japanischer Firmen und Experten aus den USA und Frankreich die Lage in Fukushima-1 zunehmend unter Kontrolle bringt, wird nicht in Frage gestellt. Auch hilft eine Hülle um den Reaktorblock 1 dabei, den Austritt radioaktiven Materials zu verhindern. Den Begriff der Kaltabschaltung zu verwenden, erwecke jedoch den Eindruck, man sei weiter als man tatsächlich ist, sagte Kudo.

Dass es in den geschmolzenen Reaktorkernen nicht mehr zu Kettenreaktionen kommen könne, lasse sich erst sicher sagen, wenn man die Situation genau untersucht habe, kritisierte Kudo. Noch weiß man nicht einmal, wie es in den Reaktorblöcken tatsächlich aussieht - und das kann nach Angaben von Tepco noch für mehrere Jahre so bleiben.

Unter den Fachleuten herrscht darüber hinaus die Sorge, dass ein erneutes Erdbeben oder ein weiterer Tsunami das provisorische Kühlsystem wieder zerstören könnte. "Können wir diese gefährliche Situation tatsächlich als eine Kaltabschaltung bezeichnen?", fragt Kudo in der US-Zeitung.

Bis die Anlage tatsächlich vollständig stillgelegt ist, werden nach Angaben von Japans Atomenergiebehörde Nisa noch mindestens 30 Jahre vergehen.

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