Süddeutsche Zeitung

Atomkatastrophe in Japan:Der strahlende Ozean

Die Betreiberfirma von Fukushima-1 will große Mengen radioaktiven Wassers ins Meer einleiten. Aber wie verkraftet der Pazifik das - und was bedeutet die Maßnahme für Fische und Menschen?

Katrin Blawat und Marlene Weiss

Die Betreiberfirma des Atomkraftwerks Fukushima-1 hat angekündigt, große Mengen radioaktiven Wassers in den Pazifik einzuleiten. Was bedeutet dies für den Pazifik, für die dort lebenden Fische - und für Verbraucher?

"Solange wir nicht sicher wissen, welche Radionuklide und wie viel Strahlung ins Meer eingeleitet wurde, können wir die Folgen kaum abschätzen", sagt Michael Welling, Sprecher des Johann-Heinrich-von-Thünen-Instituts (vTI), dessen Mitarbeiter sonst die radioaktive Belastung der Nord- und Ostsee überwachen.

11.500 Tonnen radioaktiven Wassers, mit dem zuvor die Reaktorblöcke geflutet worden waren, will Tepco ins Meer fließen lassen. Hinzu kommt eine kleinere, aber wohl stärker belastete Menge Wasser aus einem Riss in Reaktorblock zwei. Erst in einer Woche, wenn das Wasser die Messstationen in 30 Kilometer Entfernung von dem Kraftwerk erreicht hat, wird sich berechnen lassen, wie sich die neu hinzugekommene Radioaktivität im Meer ausbreitet. Die jüngsten verfügbaren Daten zeigen eine fallende Tendenz der radioaktiven Strahlung. Die Werte stammen jedoch vom 1. April, als noch kein kontaminiertes Wasser in den Pazifik abgelassen wurde.

Wahrscheinlich wird die Belastung in einigen Dutzend Kilometern Umfeld des Atomkraftwerks steigen. Doch sprechen die bisherigen Erfahrungen der vTI-Experten dafür, dass die Radioaktivität des Meerwassers in größerer Entfernung zum Atomkraftwerk deutlich abnehmen wird. Wegen der Strömungen im Pazifik verteilen sich die radioaktiven Partikel schnell und werden stark verdünnt. Daten vom 24. März zeigen, wie die Aktivitätskonzentrationen abgenommen haben: Für Cäsium-137 sanken die Werte von 250 Becquerel pro Liter Meerwasser direkt an der Anlage auf 16 Becquerel in 30 Kilometer Entfernung, für Jod-131 von 5900 Becquerel auf 42.

Radioaktives Jod hat eine Halbwertszeit von nur acht Tagen, Cäsium-137 hingegen von mehr als 30 Jahren. Zudem bauen Lebewesen Cäsium in ihren Stoffwechsel ein, da es chemisch dem lebensnotwendigen Element Kalium ähnelt. Als erstes betroffen sind Plankton, Muscheln und Algen. Über sie kann die strahlende Substanz binnen Tagen in Fische gelangen. Radioaktive Partikel beider Stoffe werden sich wohl nicht im Meeresboden ablagern, da Cäsium und Jod gut im Wasser löslich sind.

Fischesser in Deutschland müssten sich keine Sorgen wegen der Ereignisse in Japan machen, erklärt das vTI. Von den 913.000 Tonnen Speisefisch und Fischprodukten, die Deutschland 2010 importierte, stammten laut Verbraucherschutzministerium nur 60 Tonnen aus Japan. Für den Besuch japanischer Restaurants gibt Welling Entwarnung: "Der meiste Fisch dort stammt aus dem Atlantik." Einer der in Deutschland beliebtesten Speisefische ist der Alaska-Seelachs, der 2500 Kilometer von Fukushima entfernt gefangen wird. "Die Distanz ist so groß, dass wir nicht mit einer nachweisbaren Erhöhung radioaktiver Stoffe dort rechnen", sagt Welling.

Die Lage in Japan selbst sei wohl dramatischer, so der vTI-Sprecher. Denn die Meeresgebiete dort leiden nicht nur unter erhöhter Radioaktivität, sondern wurden bereits durch den Tsunami stark verwüstet. Erste Spuren der nuklearen Katastrophe wurden bereits beobachtet: Am Montag teilte das japanische Gesundheitsministerium mit, dass bei Jungfischen einer Sandaal-Art deutlich erhöhte Werte von radioaktivem Jod-131 gemessen worden seien. Der kontaminierte Fang stammte von der Küste vor der Stadt Kitaibaraki in der Präfektur Ibaraki, die direkt an Fukushima angrenzt.

Die japanischen Behörden haben zwar noch keine eigenen Jod-Grenzwerte für Meeresfrüchte festgelegt; Regierungssprecher Yukio Edano zufolge gelten die Gemüse-Grenzwerte vorläufig jedoch auch für Fische. Damit sind maximal 2000 Becquerel Jod-131 pro Kilogramm erlaubt, die Sandaale waren mit 4080 Becquerel belastet.

Am Dienstag wurde in einem Fang aus der gleichen Gegend ein Cäsiumgehalt von 526 Becquerel pro Kilogramm festgestellt, der erlaubte Wert liegt bei 500 Becquerel. Weil die Konzentration radioaktiver Isotope im Wasser in der Gegend nicht besonders hoch war, vermutet das Gesundheitsministerium, dass die Fische aus der Fukushima-Region in Richtung Ibaraki gewandert sind. Die gefangenen Jungfische werden in der Region Konago genannt und meist als Beilage zu Reis gegessen. In der Präfektur Ibaraki dürfen jetzt keine Konago mehr gefangen werden, auch in einer 20-Kilometer-Zone um das AKW Fukushima wird vorerst nicht gefischt. Ein Fangverbot darüber hinaus gibt es bislang nicht.

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SZ vom 06.04.2011/mcs
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