Atombombentests:Dom des Todes
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Mitten im Pazifik tickt eine Zeitbombe: ein riesiger Beton-Dom, gefüllt mit Plutonium aus US-Atombombenversuchen. Nun bedrohen 101 498 Kubikmeter radioaktiv verseuchter Schutt die Bewohner des Atolls - und den Pazifischen Ozean.
Von Jan Hendrik Hinzel, Kim Wall und Coleen Jose, Eniwetok-Atoll
Wie ein halb vergrabener Baseball ragt die Betonkuppel aus dem Sand. Kletterpflanzen kämpfen auf Betonplatten um einen Platz an der Sonne, unter gewaltigen Wolken ziehen Seevögel ihre Kreise.
Auf der Spitze der Kuppel hat jemand das Baujahr eingekratzt: 1979. Offiziell heißt dieses Gebilde Runit Dome - benannt nach der winzigen Insel, auf der es liegt, Runit Island. Ein Tempel, ein Ufo, mitten im Pazifik, weit weg von der Zivilisation. 2173 Kilometer bis Japan, 2827 Kilometer bis Hawaii. Und dennoch leben hier Menschen. Den Fremdkörper auf ihrer Insel nennen sie: das Grab.
Unter dem Betondeckel liegt Amerikas Vermächtnis des Kalten Kriegs, 101 498 Kubikmeter radioaktiv verseuchter Schutt, verstrahlt durch Plutonium, entstanden während der zwölfjährigen Phase amerikanischer Atombombentests auf den Marshall-Inseln. Die Inseln waren nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1986 Treuhandgebiet der Amerikaner. Diese nutzten die Region über Jahre als nukleares Testgelände.
Unheilvolle Mischung aus Atomtests und Klimawandel
Der Runit Dome ist nicht für die Ewigkeit gebaut. Bereits jetzt zeigt er Risse, der Boden ist nicht versiegelt. Niemand weiß genau, wie viel Plutonium schon nach draußen gelangt ist, in die Lagune, den Pazifik, die Weltmeere. Plutonium ist einer der giftigsten radioaktiven Stoffe mit einer Halbwertszeit von bis zu 24 000 Jahren.
Wissenschaftler und Umweltaktivisten schlagen Alarm. Sie fürchten, dass Taifune oder Sturmfluten die Zementplatten lösen oder das direkte Umfeld des Domes unter Wasser setzen könnten. Infolge des Klimawandels könnte der Meeresspiegel bis zum Jahre 2100 um einen Meter steigen, und ebenfalls Teile des Geländes überfluten. Zwischen der Lagune und der Kuppel liegen nur wenige Meter Strand und ein paar Büsche. Auf der anderen Seite der Insel trennt nur eine Mauer aus aufgeschütteten Steinen die Konstruktion vom Meer. Bei Flut bilden sich Pfützen, das Meer sickert durch die Mauer. "Beim Runit Dome kommen Atomtests und Klimawandel auf tragische Weise zusammen", sagt Michael Gerrard, Experte für Klimaschutzrecht an der Columbia Universität in New York.
Insgesamt 67 Atombomben detonierten zwischen 1946 und 1958 auf den Atollen Eniwetok und Bikini, 43 davon auf Eniwetok. Ihre kombinierte Sprengkraft war so groß, als hätte man in diesen zwölf Jahren jeden Tag 1,6 Hiroshima-Bomben gezündet. Das nukleare Dauergewitter vertrieb die Inselbewohner. Für 33 Jahre mussten sie auf dem Nachbaratoll Ujelang ausharren. Jetzt leben sie wieder auf ihrem Atoll und fragen sich, wie verstrahlt ihre Inseln tatsächlich sind. Doch die Einwohner haben noch nicht einmal ein Wort für Strahlung, das Konzept der Radioaktivität verstehen viele von ihnen nicht. Man sieht sie nicht, man fühlt sie nicht, man riecht sie nicht. Sie sprechen von dem Gift, das sie verseucht und den Tod bringt.
Der Dome ist das einzig Greifbare, was aus der Testperiode übrig geblieben ist. Für die älteren Einwohner Eniwetoks symbolisiert er den Tod. Manche Teenager machen Ausflüge zu ihm, laufen barfuß und ohne Schutzvorrichtungen auf ihm herum oder schlafen gar auf seiner Spitze - wegen des "kühlen Winds da oben". Für sie war der Dome immer schon da.
Die Marshall-Inseln schlossen 1986 ein Assoziierungsabkommen mit den USA, das ihnen gleichzeitig die Unabhängigkeit gewährte. Das Abkommen sichert der Inselnation zwar Entschädigungszahlungen für die Atomtests zu, schob aber die rechtliche Verantwortung für den Runit Dome der Regierung der Marshall-Inseln zu.
Zugleich versuchte man, das verseuchte Atoll zumindest teilweise wieder zu sanieren. Die Reinigung kostete 218 Millionen. Doch von den 40 Inseln des Atolls sind heute nur drei so sauber, dass Menschen auf ihnen leben können. Selbst die wichtige nördlich gelegene Insel Enjebi wurde aufgegeben, vor Beginn der Atombombentests hatte dort die Hälfte der Bevölkerung des Atolls gelebt. Stattdessen wurden die drei südlichen Inseln Eniwetok, Medren und Japtan die ersten von den Tests beeinträchtigten Inseln, die wieder dauerhaft von Menschen in Besitz genommen wurden. Allerdings müssen sich die beiden Stämme des Atolls, die Dri-Enjebi und die Dri-Eniwetok, diese Inseln seitdem teilen.
Sogar ein Schiffswrack aus deutschen Kolonialzeiten liegt auf dem Grund der Lagune
Auf Runit, wo 14 der 43 Bomben explodierten, trugen Vertragsarbeiter und von der US-Army eingezogene Männer den verseuchten Boden ab. Am liebsten hätten die Amerikaner den Aushub einfach in den Ozean gekippt. Das wäre am billigsten und am einfachsten gewesen, war aber verboten. Für einen Transport des Materials in die USA wiederum fehlte der politische Wille. Schließlich mischten die Arbeiter den radioaktiven Schotter einfach mit Zement und schütteten ihn in den 107 Meter breiten Krater, der 1958 durch den Abwurf einer 18-Kilotonnen-Bombe im Rahmen der Operation "Cactus" auf der Insel entstanden war. Mit Betonplatten wurde diese riesige nukleare Mülltonne dann versiegelt. Fertig war Runit Dome. Was dort nicht mehr Platz fand, wurde dann doch in die Lagune gekippt. Die Entsorgungsverbote für Atommüll gelten nur für das offene Meer.
Ihre Farben hat die Lagune behalten, sie schimmert in allen Schattierungen von Blau. Sogar ein Schiffswrack aus deutschen Kolonialzeiten liegt hier. Das Wasser lädt zum Baden ein. Doch die Sedimente der Lagune sind so verseucht, dass die Radionuklide mittlerweile ihren Weg aus der Lagune finden. Eniwetoks Plutonium lässt sich bis ins Südchinesische Meer und ins Mündungsgebiet des chinesischen Perlflusses nachweisen. Dabei liegt die nächste menschliche Siedlung nur 22 Kilometer entfernt auf Eniwetoks gleichnamiger Hauptinsel.
Unterdessen schieben sich die Regierungen der USA und der Marshall-Inseln gegenseitig die Verantwortung für das toxische Problem zu. Während viele Menschen in Eniwetok befürchten, dass der Dome eines Tages aufbrechen und den radioaktiven Schutt noch weiter verteilen könnte, verharmlost das amerikanische Energieministerium die Risiken: Risse gebe es in fast allen Arten von Beton, sie seien eine Folge des Trocknens und Schrumpfens des Materials, sagt Terry Hamilton, wissenschaftlicher Direktor des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL), das im Auftrag des Ministeriums Atolle der Marshall-Inseln untersucht. Eine Studie des Instituts aus dem Jahr 2013 kam zu dem Schluss, dass die Lagune im direkten Umfeld des Domes ohnehin schon stärker verseucht ist als dessen Inneres.
"Aber zumindest der Schutt ist innerhalb des Domes eingeschlossen", sagt Hamilton. Radionuklide gelangen trotzdem durch den unversiegelten Kraterboden in die Lagune. "Es gibt keinen unmittelbaren Grund zur Sorge, dass die Risse in der Betonkuppel potenziell schädliche Mengen an Radioaktivität freisetzen, die für die Menschen in der Nähe gefährlich werden", sagt Hamilton. Er fügt hinzu, dass Risse in der Betonkuppel dennoch repariert werden sollten, "um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen".
"Es ist eine kleine Insel. Lasst sie uns absperren"
Wirklich zuverlässig lassen sich die Gefahren wohl erst einschätzen, wenn sich die Datenlage verbessert hat. Ein Gesetz aus dem Jahr 2012 verpflichtet das US-Energieministerium zu regelmäßigen Risikoanalysen und Sicherheitsüberprüfungen, die Ergebnisse erreichen die Bevölkerung jedoch nicht."Klar ist jedenfalls, dass die lokale Regierung weder über das Fachwissen noch die Mittel verfügt, um mögliche Probleme zu beheben", sagt Riyad Mucadam, Klimaberater des Präsidenten der Marshall-Inseln. Bei Klimaverhandlungen mit den USA sei der Dome noch nie angesprochen worden, auch innerhalb der Regierung rede man nicht darüber. Das Problem wird einfach verdrängt.
Eniwetoks Senator Jack Ading, der in der Hauptstadt Majuro 965 Kilometer entfernt lebt, bezweifelt, dass sein Heimatatoll sicher ist. Er verweist auf gescheiterte Bemühungen, die ebenfalls von Atomtests verseuchten Atolle Rongelap und Bikini wieder zu besiedeln. Trotz der Beteuerungen der USA, dass die Inseln sicher seien, ließen sich die Einwohner von Rongelap 28 Jahre nach ihrer Rückkehr auf ihr Heimatatoll 1985 vom Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior evakuieren - sie fühlten sich nicht sicher, da viele von ihnen krank wurden. Die Einwohner Bikinis verließen nach einem etwa sieben Jahre dauernden Wiederbesiedlungsversuch 1978 ihr Atoll. Sie alle leben seitdem im Exil, verstreut auf den anderen Atollen und Inseln der Marshalls. Ading fragt sich: Wieso sollte es auf dem Eniwetok-Atoll anders sein?
Einig ist man sich, dass die Menschen vom besonders belasteten Runit Island fernbleiben sollten. Dabei gibt es dort noch nicht mal Warnschilder. Auch die Geigerzähler der Besucher schlagen nicht aus. Die gemessene Strahlung ist nicht höher als die natürliche Strahlung, was allerdings keine Entwarnung bedeutet. Der Geigerzähler misst vor allem Cäsium-137, das eine Halbwertszeit von nur 30 Jahren hat. Das Hauptproblem Eniwetoks ist aber das Plutonium. Selbst winzige Mengen dieser Substanz können sich in Organen wie Leber, Lunge oder im Skelett ablagern und Krankheiten wie Krebs verursachen. Häufig gelangt Plutonium durch das Einatmen von verstrahltem Staub in den Körper. Senator Jack Ading würde die Insel am liebsten einzäunen. "Wenn die USA Geld für Kriege wie im Irak haben, werden sie doch 10 000 Dollar für einen Zaun haben. Es ist eine kleine Insel. Lasst sie uns absperren."
Doch die Inseln von Eniwetok lassen sich schwer abschotten. Die Einwohner des Atolls suchen auf den kontaminierten Inseln nach Nahrung - so wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Ein sich selbst versorgendes System: Auf manchen Inseln fangen sie Krabben, auf anderen sammeln sie Eier, ernten Früchte oder fangen Vögel. Mit nur drei gereinigten Inseln funktioniert dieses System nicht mehr. Auf der einzigen Straße der Hauptinsel laufen ein paar Schweine herum. Sie müssten eigentlich eingepfercht werden, denn sie fressen die jungen Triebe der wenigen kostbaren Nutzpflanzen ab. So richtig scheint es aber niemanden zu kümmern. Es würde wohl richtig knapp werden, käme nicht drei Mal im Jahr ein Schiff, das Waren liefert: Dosenfleisch, Mehl, Reis, Konserven.
Die Dosennahrung hat dazu geführt, dass die Hälfte der Bevölkerung Diabetes hat - und gleichzeitig hungert, denn das Versorgungsschiff kommt fast immer zu spät. Dann gibt es über Wochen hinweg Mehl mit Kokosnuss. Zwar gibt es auch eine Flugzeug-Landebahn, sie nimmt fast ein Drittel der Insel ein. Doch mittlerweile setzt nur noch etwa alle zwei Jahre eine kleine Chartermaschine dort auf.
Ansonsten lebt die wachsende Bevölkerung auf dem Atoll von einem schrumpfenden Treuhandfonds, der mit dem Assoziierungsabkommen aufgelegt worden war. Pro Quartal und Kopf erhalten die Einwohner Eniwetoks 100 Dollar Entschädigung. Es ist ein dürftiger Betrag, wenn man die wahren Kosten der Atombombenversuche berechnet. Das "Nuclear Claims Tribunal", eine Organisation der Marshall-Inseln, hat die Kosten durch den Landverlust auf 244 Millionen Dollar geschätzt.
Sie fahren mit dem Boot auf die verseuchte Insel und graben nach Kupfer
Die Menschen auf dem Atoll haben kaum Möglichkeiten, selbst Geld zu verdienen. Obwohl das US-Energieministerium und das LLNL den Konsum von Kokosnüssen und lokalem Fisch für unbedenklich halten, darf beides nicht exportiert werden. Den Einwohnern bleibt der Ackerbau auf dem felsigen Korallenboden, der nach dem Abtragen der fruchtbaren, aber verstrahlten Erde übrig geblieben ist. Heute sind die Dri-Eniwetok hoch verschuldet.
"Eniwetok hat kein Geld. Was sollen wir tun, um Geld zu verdienen?", fragt Rosemary Amitok, die mit ihrem Mann Hemy in einem der vielen gegen Taifune gesicherten Häuser aus nacktem Beton lebt. Die Amitoks sind deshalb ins Altmetallgeschäft eingestiegen, so wie viele Inselbewohner. Seit zwei Jahren fahren sie mit dem Boot rüber nach Runit und graben in den alten Militäranlagen nach Kupfer. Während Rosemary im Zelt kocht, gräbt Hemy im Boden nach Metallteilen und anderen Überresten der amerikanischen Militäranlagen.
Seit er weniger Kupfer an Land findet, taucht er vor der Insel nach weiterem Restmetall. Zurück in Eniwetok verkaufen sie das gefundene Kupfer an einen chinesischen Händler, der den einzigen Laden dort betreibt. In einem vom Inselrat gemieteten Stauraum lagert er Kupfer, Seegurken und Muscheln, die er dann nach Majuro schifft und von dort nach Fujin in China. Das Paar verdient ein bis zwei Dollar für ein halbes Kilo Kupfer. Davon kaufen sie Lebensmittel, finanzieren das Studium der Kinder in Majuro und bezahlen das Benzin für ihr Boot.
"Diese Männer graben an den verstrahltesten Orten und atmen dabei hunderttausendmal höhere Dosen von radioaktiven Partikeln ein als jene Männer, die in der Lagune tauchen", sagt Ken Buesseler, Chemiker an der Woods Hole Oceanographic Institution, der zu Beginn des Jahres auf Runit war, um Grundwasserproben zu sammeln. Menschen, die nach Kupfer und Metallabrieb tauchen, sind weniger gefährdet, da die Isotope im Wasser stärker verdünnt sind. Genaueres wird das Team von Buesseler erst sagen können, wenn es Wasserproben auf Plutonium wird analysieren können. Bislang fehlt es noch an Forschungsgeldern, die Analysen sind teuer.
Immerhin überwachen zwei einheimische Angestellte in einem halb verlassenen Labor auf Eniwetok die Plutoniumwerte der Personen, die Kupfer auf den verseuchten Inseln suchen. Kaputt hingegen ist das Messgerät, das eigentlich den Cäsium-137-Gehalt in den Körpern der Inselbewohner überwachen sollte. Die lokale Bevölkerung versteht das alles nicht so recht. Viele Einwohner beschweren sich, dass sie zwar Urinproben abgeben, aber die Ergebnisse nicht erklärt bekommen.
Tony de Brum, der Außenminister der Marshall-Inseln, sitzt auf seiner Terrasse mit Blick auf die Lagune von Majuro und ärgert sich: Warum es die USA noch nicht einmal geschafft hätten, sich bei den Inselbewohnern für die Atombombenversuche zu entschuldigen? Er versteht es nicht.
Das Bikini-Atoll, mittlerweile Unesco-Weltkulturerbe, ist im kollektiven Gedächtnis der Menschheit verankert. Eniwetok hingegen gerät immer weiter in Vergessenheit - obwohl dort mehr Bomben detonierten. Dabei findet sich auf dem Atoll immer noch ein kleines Paradies. "Wenn Sie nach Eniwetok fahren, gehen Sie auch nach Enjebi, einer der schönsten Inseln der Marshalls", sagt de Brum: intakte Vegetation, Bäume voller Früchte. Doch wer dort leben wollte, müsste in kniehohen Stiefeln umherlaufen, sein Haus auf Stelzen errichten und dürfte nur eine Kokosnuss pro Tag essen. Wegen dieser Sache, die man weder riechen noch sehen kann.
Der Text entstand im Rahmen einer großen Recherche der Süddeutschen Zeitung und des Ground Truth Projekts. Im Herbst erscheint eine große Reportage-Reihe.