Drohende Kernschmelze:2000 Grad fressen sich durch

Nach dem Mega-Erdbeben in Japan wächst die Furcht vor einem katastrophalen Atomunfall. Eine starke Explosion zerstörte Teile des AKW in Fukushima. Rettungskräfte versuchen eine Kernschmelze zu verhindern. Doch was wäre, wenn es dazu kommt?

Christopher Schrader

Der Unfall im japanischen Atomkomplex Fukushima ist nach Ansicht von Greenpeace "ein neues historisches Ereignis" in der Geschichte der Atomunfälle. Der Fall sei nicht mit dem Gau 1986 in Tschernobyl vergleichbar. Der Reaktor russischer Bauart enthielt im Gegensatz zu westlichen und japanischen Kraftwerken Graphit. Er brannte deswegen tagelang, das Feuer schleuderte viel Radioaktivität in die Atmosphäre. Das Dramatische in Fukushima sei, dass neben der möglichen Kernschmelze in Block 1 in einem weiteren Kraftwerksblock ein solches Szenario drohe. "Fünf von zehn Reaktoren in Fukushima sind ohne Kühlung", sagte der Sprecher unter Verweis auf Informationen aus der Krisenregion. Angesichts der Verkettung unterschiedlicher Ereignisse sei die Lage womöglich außer Kontrolle. "Es ist dramatisch, weil derzeit scheinbar unkontrolliert Radioaktivität austritt."

GAU und Super-GAU

Kernkraftwerk Gundremmingen: Gebrauchtes Brennelement

(Foto: dapd)

Die wichtigsten Stichworte zu GAU, Super-GAU und Kontamination:

KERNSCHMELZE: So nennen Experten die gefürchtete totale Zerstörung des Reaktorkerns. Auch wenn die Kettenreaktion abgeschaltet wird, produzieren die Brennelemente in einem Atommeiler noch große Mengen von Wärme. In ihrem Inneren laufen etliche Prozesse weiter, kurzlebige radioaktive Stoffe zerfallen zu langlebigeren und setzen dabei Energie frei. Die Wärme muss abgeführt werden. Dazu muss Kühlwasser weiter durch den Reaktorkern, zwischen den Brennelementen hindurch gepumpt werden. Dazu brauchen die Kühlmittelpumpen Strom. Wenn dieser wie im Block 1 der Anlage Fukushima-I fehlt, verkocht das vorhandene Wasser zu Dampf. Dadurch steigt der Druck im Inneren des Reaktors. Gleichzeitig beginnen die Brennelemente von oben nach unten zu schmelzen, wenn der Pegel an flüssigem Wasser sinkt. Es bildet sich eine glühende Masse aus Uran, Spezialstahl und radioaktiven Spaltprodukten, die 2000 Grad Celsius erreichen kann. Kein Material der Welt hält ihr stand, wenn sie der Schwerkraft folgend sich erst durch den Stahl des Druckbehälters, dann durch den Beton des Fundaments frisst, um schließlich das Erdreich zu erreichen. Möglich sind auch heftige Explosionen. Zwar haben Atomkraftwerke um den Reaktorbehälter einen weiteren Schutzmantel aus Stahl oder Stahlbeton, das sogenannte Containment. Aber auch der kann durch Explosionen zerstört oder von der extrem heißen atomaren Suppe durchbrochen werden. Experten wie die der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW halten es für kaum denkbar, dass gängige AKW-Containments die gewaltigen Belastungen bei einem Kernschmelz-Unfall auch tatsächlich aushalten können. Die Folgen für Menschen und Umwelt bei einer Kernschmelze wären verheerend: Der geschmolzene Reaktorinhalt besteht unter anderem aus hochradioaktivem Uran sowie dem extrem strahlendem, hochgiftigem Plutonium - einem der gefährlichsten bekannten Stoffe. Hinzu kommen diverse weitere radioaktive Isotope wie Cäsium 137, das während sich des Reaktorbetriebs in Inneren der Meiler bildet. Diese Stoffe würden sich durch eine Explosion in der Umgebungsluft verteilen oder sich mit der Kernschmelze durch den Schutzbehälterboden in das Erdreich vorfressen. Bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden 1986 große Mengen Cäsium 137 freigesetzt, die bis nach Nord- und Westeuropa kamen, sich auf Feldern und Weiden ablagerten und dort bis in die menschliche Nahrungskette gelangten.

ABKLINGBECKEN: In einem Atomkraftwerk befinden sich Brennelemente nicht nur im Reaktorkern, sondern normalerweise auch im Abklingbecken. Es handelt sich um Brennstäbe, die ihren Einsatz hinter sich haben und noch bestehende Restwärme und Radioaktivät abgeben sollen, bevor sie wiederaufbereitet werden oder ins End- oder Zwischenlager kommen. Bei den Abklingbecken handelt es sich um Wasserbehälter. Im Reaktor 4 des Atomkraftwerks Fukushima-1 soll eines der Becken nach dem Ausfall des Kühlsystems inzwischen kochen, es gelingt nicht, den Behälter wieder zu füllen. Im Zusammenhang mit dieser Information wurde bekannt, dass die Abklingbecken dort und in den Reaktoren 1, 2 und 3, die bereits explodiert sind, außerhalb der Schutzhüllen (Containment) liegen, die den Reaktorkern umgeben. Nach den Explosionen der Hüllen liegen sie deshalb offenbar frei.

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