Atom-Endlager:Das Mahnmal Asse

Viel entsorgen, wenig zahlen - beim deutschen Atommüll hat das viel zu lange funktioniert. Asse zeigt, wie nah sich Entzücken und Ernüchterung in der Atomkraft sind.

Michael Bauchmüller

Könnte man das Desaster im Atom-Endlager Asse nicht mit eigenen Augen sehen, man würde es kaum glauben.

Atom-Endlager: Asse erinnert daran, wie weit Verantwortung und Verantwortlichkeit oft auseinanderliegen.

Asse erinnert daran, wie weit Verantwortung und Verantwortlichkeit oft auseinanderliegen.

(Foto: Foto: ddp)

Schon seit 20 Jahren strömt dort Salzlösung ein. Sie wäscht das Gebirge aus und raubt ihm die Stabilität. 125787 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll lagern in dem niedersächsischen Salzstock, besser gesagt: Sie rosten vor sich hin.

In einer Kammer droht ein Stück Deckgebirge auf die Fässer zu stürzen, in eine andere wurde radioaktive Lösung gekippt, die es offiziell gar nicht gab. All das geschah mitten in Deutschland, es ist nicht mal lange her.

1967 war das Salzbergwerk zum "Forschungsendlager" erklärt worden, es hätte sogar ein echtes Endlager werden können. Schon 1970 durfte ein besorgter Oberförster auf seine Einwände hin erfahren, es gebe in der Asse "keine Lagerprobleme". "Auch hochaktive Materialien", so las er in einer Teilgenehmigung für den hessischen Reaktor Biblis, könnten dort "für Jahrhunderte gelagert werden".

Zwei Jahre später war in einer Genehmigung für das Kernkraftwerk Unterweser gar von "umfangreichen Untersuchungen" der Asse die Rede. Diese ergäben, "dass radioaktiver Müll dort jahrhundertelang ohne Gefahr des Entweichens gelagert werden kann". Es sind Dokumente der Unbefangenheit, oder eher noch: der grenzenlosen Dummheit.

All das macht die Asse heute zu einer Art Mahnmal. Es erinnert daran, wie nah sich Entzücken und Ernüchterung in der Atomkraft sind - und wie weit Verantwortung und Verantwortlichkeit oft auseinanderliegen. Denn zur Geschichte der Asse gehört auch, dass vor allem Betreiber deutscher Kernkraftwerke sie billig zu nutzen wussten.

Direkt geht zwar nur ein gutes Prozent der Strahlung auf ihr Konto (und die Unternehmen werden nicht müde, dies hervorzuheben); auf Umwegen über die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe aber lagerten sie ausweislich der Inventarberichte mindestens 73 Prozent der Radioaktivität in der Asse ein - und zwar zum Spottpreis.

Kein Mensch weiß derzeit, welche Kosten in der Asse verborgen sind. Das Bergwerk muss nun stabilisiert werden, womöglich werden strahlende Fässer wieder geborgen. Mit zwei Milliarden Euro wäre der Bund nach ersten Schätzungen noch billig davongekommen. Richtig gelesen: der Bund. Denn die Entsorgungs-Verträge von einst waren abschließend. Von möglichen Folgekosten für die Unternehmen war darin nicht die Rede. Die trägt jetzt die Allgemeinheit.

Aus heutiger Sicht ist das ein Skandal. Die Betreiber der Asse konnten den Namen "Entsorgung" wörtlich nehmen, sie konnten ihre Kräfte ganz auf die Optimierung der Geschäfte konzentrieren. Ganz ähnlich lief es nach der Wende im einstigen DDR-Endlager Morsleben. Auch dort wurden die Stromkonzerne noch ordentlich Atommüll los, übrigens mit Genehmigung einer Umweltministerin namens Angela Merkel. Auch da trägt der Bund heute Kosten in Milliardenhöhe.

Die Philosophie war immer gleich: Mögliche Langzeitrisiken aus dem Nukleargeschäft galten als Investitionsrisiko und waren den Konzernen deshalb nicht zuzumuten. Im Kern hat sich daran bis heute nichts geändert. Auch eine angemessene Versicherung für ernste Reaktorunfälle mutet der Bund den Betreibern nicht zu. Selten sind Geschäfte mit Restrisiko so bequem.

Die Asse sollte dem Bund eine Lehre sein. Mittelfristig wird er sich auf ein Endlager für den wahren Risikomüll festlegen müssen, den hochaktiven Atomabfall. Als sicher darf gelten, dass die Politik nun weniger naiv zu Werke gehen wird als in der Atom-Euphorie der sechziger Jahre.

Weniger sicher ist, ob sich der Bund endlich auch der Haftung zu entledigen weiß. Denn dieses Endlager, ob es in Gorleben ist oder sonst wo, wird viel länger strahlen, länger Gefahren bergen, als irgendeines der Unternehmen Atommüll erzeugt. So billig wie in der Asse dürfen sie nie wieder davonkommen.

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