Süddeutsche Zeitung

Atmosphärenforschung:Wie Wolken entstehen

Lesezeit: 4 min

Unzählige chemische Reaktionen tragen zur Entstehung von Wolken bei. Luftverschmutzung spielt aber wohl eine geringere Rolle als gedacht - Klimaskeptikern dürfte das nicht gefallen.

Von Christopher Schrader

Urs Baltensperger kann froh sein, dass er chemische Reaktionen nicht hören kann. Sonst würde ihm die "Kakophonie der Moleküle" ziemlich in den Ohren tosen. So nennt der Schweizer Forscher die Myriaden von Reaktionen, mit denen sich die Bestandteile der Luft ständig verändern. Schon aus einer einzigen Zutat wie etwa Alpha-Pinen - einem ätherischen Öl, das zum charakteristischen Geruch von Nadelwäldern beiträgt - entstehen binnen Sekunden Tausende organischer Moleküle, wenn eine oxidierende Substanz wie Ozon dazukommt. Sie lagern sich um, koppeln sich aneinander, kleben zusammen und wachsen, bis sie groß genug sind, die Bildung von Wolken anzustoßen. Das alles lautlos, zum Glück.

Wolken sind ein großes Rätsel für den menschlichen Geist. Nicht nur für Menschen, die in den weißen Haufen verträumt nach Drachen oder Schlössern fahnden. Sondern auch für Forscher wie Baltensberger, die die Entstehung der Ballen aus Wasserdampf verstehen möchten. Der Atmosphärenchemiker vom Paul-Scherrer-Institut in Villigen ist Mitglied von zwei internationalen Forschergruppen, die mit Experimenten das Wissen über Wolken jetzt deutlich erweitert haben.

Eines hat in einem Tank am Forschungszentrum Cern in Genf stattgefunden, das andere in der dünnen, klaren Luft auf dem Jungfraujoch, 3580 Meter hoch in den Berner Alpen. Wolken, so das Ergebnis, entstehen in der Atmosphäre auf vielerlei Weise - und zu einem viel größeren Teil als angenommen geht das auch ohne Schwefelsäure. "Wir waren sogar überrascht, wie gut das funktioniert", sagt Baltensperger, "und dass wir auch in der heutigen Lufthülle Regionen finden, wo Schwefelsäure kaum eine Rolle spielt."

"Die Natur braucht keine Umweltverschmutzung, um Wolken zu machen"

Der Luftschadstoff ist inzwischen eigentlich überall. Er entsteht bei der Verarbeitung von Erdöl, in Kohlefeuern, bei der Düngemittelproduktion oder nach Vulkanausbrüchen. Bisher galt er als essentieller Kleber für Moleküle, die in der Luft langsam zu winzigen Partikeln wachsen. Ohne sie gäbe es weniger Wolken, weil sich Wasserdampf nur um Schwebstoffe herum zu Tröpfchen verflüssigt. Etwa die Hälfte davon sind Kondensationskeime, die ohnehin in der Luft sind, es sind Staubpartikel oder Wüstensand, auch Blütenpollen und Pilzsporen tragen nach neuesten Erkenntnissen dazu bei. Aber die andere Hälfte bildet sich in der Atmosphäre ständig neu und wächst dann von einer Größe von ein oder zwei Nanometern (Millionstel Millimetern) auf 50 bis 100 Nanometer. Wie das ohne Schwefelsäure gehen soll, konnten Wissenschaftler bisher nicht nachweisen.

"Es gab in früheren Jahrhunderten nicht weniger Wolken", sagt Joachim Curtius von der Universität Frankfurt, der an beiden Experimenten mitgearbeitet hat. "Aber sie hatten womöglich etwas andere Eigenschaften." Um das zu erkunden, haben die Wissenschaftler das "Cloud" genannte Messgerät am Cern benutzt. Es besteht aus einer großen Kammer, gefüllt mit äußerst reiner Luft, die von den Ausdünstungen der Industriegesellschaft befreit ist. Die Forscher gaben nur winzige Mengen Alpha-Pinen zu und beobachteten, wie in der "Kakophonie der Moleküle" Partikel entstanden und wuchsen ( Nature, online). Bei einem Teil der Experimente schoss das Team zudem geladene Teilchen in die Kammer, die den Effekt der kosmischen Strahlung nachstellten. Sie ionisierten einzelne Moleküle des dünnen Gasgemischs im Messgerät. Diese Ionen ließen dann Folgeprodukte des Alpha-Pinen zusammenpappen, die so auf die nötige Größe für Kondensationskeime anwuchsen. Und was im Labor funktionierte, passierte auch in der Atmosphäre: In der Luft über dem Jungfraujoch wiesen die Forscher ebenfalls schwefelfreie Kondensationskeime nach ( Science, online).

Wichtig für die Klimaforschung

"Bislang dachten wir immer, wir bräuchten einen Zwei-Komponenten-Kleber zum Beispiel aus organischen Molekülen und Schwefelsäure", sagt Joachim Curtius. "Jetzt zeigt sich: Die erste Komponente reicht, wenn kosmische Strahlung dazu kommt." Sie kann die Rate, mit der kleine, stabile Cluster in der Größe von ein oder zwei Nanometern entstehen, tatsächlich um den Faktor Zehn bis Hundert steigern. Für das Anwachsen zum mindestens 50 Nanometer großen Kondensationskeim spiele die Strahlung allerdings "keine Rolle mehr", ergänzt Urs Baltensperger. "Das hängt viel mehr von Art und Menge der organischen Moleküle ab, die sich an diese stabilen Cluster anlagern."

Die Ergebnisse aus der Schweiz sind aus zwei Gründen für die Klimaforschung bedeutsam. Erstens kursiert bei Klimawandel-Skeptikern die These, kosmische Strahlung habe über die Wolkenbildung einen unterschätzten Einfluss auf die globale Erwärmung. Da die magnetische Aktivität der Sonne die Menge der auf die Erde prasselnden kosmischen Strahlung verändert, behaupten manche, die gemessene Erwärmung gehe vor allem auf solche Prozesse zurück und nicht auf den Ausstoß von Treibhausgasen.

Das Cloud-Experiment am Cern wurde eingerichtet, um diese These zu prüfen, hat sie aber oft widerlegt. Auch diesmal: Die Intensität der Strahlung hat wenig Einfluss auf die Zahl der Kondensationskeime. Zweitens fragen sich Klimaforscher, ob die mit Schwefelsäure entstandenen Wolken die Temperaturen der Erde senken. Laut den neuen Studien ist Schwefelsäure aber nicht essenziell für die Kondensationskeime; auch wo keine vorhanden ist, entstehen sie reichlich. Die kühlende Wirkung der Wolken könne daher mit der Industrialisierung nicht entscheidend zugenommen haben, sagt Bjorn Stevens, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. "Jetzt ist klar belegt: Die Natur braucht keine Umweltverschmutzung, um Wolken zu machen."

Stevens zieht aus den Studien allerdings einen anderen Schluss als Baltensperger und Curtius. Die arbeiten bereits daran, wie sich der geringere Einfluss der Luftschadstoffe genauer in Klimamodellen erfassen lässt. Stevens hingegen findet, man solle die Aerosole gleich ganz aus den Simulationen nehmen und die Erforschung ihrer Effekte auf das Klima einstellen, weil der Einfluss der Schwebstoffe auf die künftige Entwicklung ohnehin gering sei. "Insofern bedeuten die Messungen einen großen Sieg: Wir können das zur Seite legen und uns wichtigeren Dingen widmen."

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Quelle:
SZ vom 27.05.2016
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