Astronomie:Traurige Planeten

In sechs Milliarden Jahren wird die Sonne sterben, spätestens bis dann muss die Menschheit eine neue Heimat gefunden haben. Die Chancen dafür stehen schlecht.

Von Andrian Kreye

Gleich hinter der Abteilung für ausgestopfte Säugetiere hängt im Londoner Museum of Natural History derzeit eine wandgroße Fotografie der Sonne. Es ist ein beunruhigendes Bild, auf dem sie mit ihren Eruptionen und Feuerschlünden eher wie ein Todesstern aussieht als wie die Mutter Sonne aus dem Christian-Morgenstern-Gedicht. Wenn man dann noch das Begleitmaterial dazu liest, die wissenschaftliche Prophezeiung, dass die Hitze dieser Feuerschlingen in zwei Milliarden Jahren alles Leben auf der Erde verbrennen wird, die Sonne dann in spätestens sechs Milliarden Jahren zu einem Weißen Zwerg kollabiert und der Rest des Sonnensystems in ewiger Kälte erstarrt, schleicht sich ein mulmiges Gefühl in den Museumsbesuch. Auch wenn man das alles vielleicht schon wusste.

Das Sonnenbild ist das Hauptwerk in der Ausstellung "Otherworlds" des Amerikaners Michael Benson, der sich auf so etwas wie künstlerische Weltraumfotografie spezialisiert hat. Insgesamt 77 Fotografien der Sonne und ihrer Planeten sind da zu sehen. Dazu rieselt ein trügerisch sanfter Elektro-Soundtrack aus Lautsprechern, den der Erfinder der Ambient Music, Brian Eno, eigens für die Ausstellung komponiert hat. Trügerisch, weil es im größeren Kontext eben nicht um die vordergründige Schönheit unseres Sonnensystems geht (und auf Bensons Bildern ist das wirklich atemberaubend schön), sondern um die unvermeidliche Apokalypse. Mag zwar sein, dass dahin noch viel Zeit vergeht. Aber man kann ja mal versuchen, einem Sechsjährigen zu erklären, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn die Sonne in sechs Milliarden Jahren stirbt. Vor allem, wenn er gerade in "Star Wars" gesehen hat, wie Darth Vaders Todesstern in Myriaden Stücke zerspringt.

Astronomie: Später Nachmittag auf dem Mars.

Später Nachmittag auf dem Mars.

Weltraumfotografie hat schon immer auf die kollektive Psyche gewirkt. Das bekannteste Beispiel ist die "Blue Marble", die blaue Murmel, die der amerikanische Astronaut Harrison Schmitt am 7. Dezember 1972 an Bord der Apollo 17 auf dem Weg zum Mond aufnahm. "Blue Marble" war nicht einmal das erste Vollbild des Planeten Erde. Satelliten hatten solche Fotografien schon zuvor gemacht.

Doch erst Harrisons Bild traf den Nerv seiner Zeit mit voller Wucht. Mit einem Mal wurde den Menschen begreiflich, wie klein, wie verletzlich, wie einsam ihr Heimatplanet seine Bahnen durch das Universum zog. Anfang der Siebzigerjahre, als der Fortschrittsglauben erschüttert und das Umweltbewusstsein geboren wurde, war die blaue Murmel so etwas wie ein Menetekel, das die Menschen zu einer Demut aufrief, die sie in zweihundert Jahren Aufklärung, Säkularisierung und immer vernünftigerem Denken eigentlich abgeschüttelt hatten. Deswegen druckten die junge Umwelt- und die weltveränderungsgesinnte Hippiebewegung das Foto auf Poster, T-Shirts und Taschen. Stewart Brand, die intellektuelle Brückenfigur zwischen der Hippie-Ära und dem digitalen Zeitalter, zeigte die Weltkugel auf dem Titel seines ökologischen Grundsatzwerkes "Whole Earth Catalog". Und heute ist "Blue Marble" einer der beliebtesten Bildschirmschoner für iPhones.

Die "Blue Marble" war das letzte Bild der Erde, das ein Mensch aufgenommen hat. Harrison hatte dafür eine Mittelformatkamera von Hasselblad mit einem 80-Millimeter-Objektiv benutzt. Michael Benson setzt seine Bilder dagegen aus mehreren, oft vielen Parallel- und Detailaufnahmen zusammen, die von Satelliten und Sonden gemacht werden. Das Quellenmaterial ist in der Regel für das menschliche Auge schwarz-weiß. Weil die Originalbilder aber für verschiedene Farb- und Strahlenspektren gemacht wurden, kann er sie in seinem Studio übereinanderlegen und erhält dann, ähnlich wie bei einer Farbfotoentwicklung, ein Farbbild. Auch die Nasa arbeitet inzwischen mit solchen Bildkompositionen. Sämtliche der jüngeren blauen (und in der Nachtversion auch schwarzen) Murmeln sind aus Aufnahmen zusammengesetzt, die bei mehreren Überflügen der Satelliten gemacht wurden. Das entspricht durchaus dem wissenschaftlichen "Sehen", das nicht unbedingt entlang der traditionellen Wahrnehmungsreihe Licht-Netzhaut-Hirn verläuft. Deswegen ist die Realität der modernen Weltraumfotografie eine konstruierte. Was nicht heißt, dass sie der Wirklichkeit nicht entspricht.

Eines der schönsten Bilder der Ausstellung heißt "Dunst über Pluto" So düster, kalt und doch klar hat man die karge Oberfläche noch nicht gesehen. Und so deutlich wird auch, wie einzigartig das Leben auf der Erde doch ist, die ein paar Stellwände weiter in ihrer blauen Pracht leuchtet.

Solche Bilder verstärken das "Blue Marble"-Gefühl noch einmal: Dass man auf der Erde in einer einzigartigen Nische in einer Unendlichkeit lebt, die nicht nur unwirtlich, sondern feindselig ist. Nun geistert die Apokalypse zwar schon seit Beginn der Menschheit durch die Weltbilder und Glaubenssysteme. Doch die Berechnungen, wann sich die Sonne in einen Todesstern verwandelt, sind ja nur eines von unzähligen wissenschaftlichen Endzeitszenarien, die sich nicht mehr so einfach als Aber- oder sonst irgendein überholter Glaube abtun lassen.

Wer verdenkt es der Menschheit, dass sie sich da immer nach einer neuen Bleibe umsah? Nun funktioniert das mit dem Jenseits, dem Paradies und Nirvana im Zeitalter der Vernunft nicht mehr. Im Begleitmaterial zu Michael Bensons Ausstellung findet sich deswegen so etwas wie ein wissenschaftlich grob nachvollziehbarer Umzugsplan. Wenn die Erde nämlich in zwei Milliarden Jahren zu heiß wird, könnte der Mars genau die richtige Temperatur bekommen, auf dass dort Leben entstehen und folglich auch angesiedelt werden könnte. Da gibt es ja längst sehr konkrete Pläne. Der Elektroauto-Unternehmer Elon Musk finanziert zum Beispiel schon Botaniker, die am MIT in den USA Marsplantagen erproben. Die Zucchini sollen exzellent sein.

Wenn sich die Sonne dann allerdings vor ihrem Kollaps zum Weißen Zwerg vorübergehend in einen Roten Riesen verwandelt und es auch dort zu heiß wird, bieten sich angeblich die Saturnmonde und dann später der Jupiter als Ausweichquartiere an.

Dann allerdings wird es wohl eng mit neuen Orten. Weswegen die Suche nach außerirdischer Intelligenz und erdähnlichen Exoplaneten eine wissenschaftliche Boomindustrie sind. Da wird schon lange geforscht. Und der Mythos vom Auszug aus der Erde wird schon längst in Hollywood-Filmen wie "Interstellar" oder "The Martian" gepflegt. Auch wenn erst das Kepler-Weltraumteleskop der Nasa, das 2009 startete, die Suche so richtig voranbrachte.

1642 bestätigte und 3786 unbestätigte Planeten, von denen aber nur wenige der Erde ähnlich sind, meldet die Webseite Exoplanet Data Explorer inzwischen, die der Astronom Jason Wright an der Penn State University betreibt. Das sind aus dem Blickwinkel der apokalyptischen Exodusfantasien insgesamt 5428 Hoffnungsmomente, dass das Leben da draußen ja irgendwie weitergehen könnte. Dazu kommt noch das Seti-Projekt, mit dem Forscher den Weltraum nach Radiosignalen außerirdischer Intelligenzen durchforsten, das vom wichtigsten Wissenschaftsmäzen im Silicon Valley, Juri Milner, gerade mit viel Geld zum Weitermachen motiviert wurde.

Wen stört es da, dass diese Exoplaneten manchmal nur auf den ersten Blick gastfreundlich wirken. Planet HD 189733b beispielsweise, ein wirklich blauer Planet, der nur 63 Lichtjahre entfernt Bahnen um seinen Stern zieht. Der sieht aus wie wir! Doch nachdem die blaue Murmel zunächst mit Lichtmessungen erfasst und dann im Infrarot-Spektrum erforscht worden war, sah das Bild anders aus. So weiß man nun, dass sein Stern zwar ein Gelber Zwerg ist, das ist die Sonne ja auch. Allerdings liegen die Tagestemperaturen auf dem Planeten bei um die 900 Grad Celsius, Windgeschwindigkeiten erreichen 9000 Kilometer pro Stunde, und die blaue Farbe kommt daher, dass es dort Glas regnet. Vielleicht doch der Saturn-Mond Titan, wie es sich das Natural History Museum überlegt hat? Oder bleibt uns aus all den Bildern und Forschungen nur eine Erkenntnis - wir sind vielleicht nicht einzigartig im Universum. Aber sehr, sehr alleine.

Die Foto-Ausstellung "Otherworlds. Reise durch das Sonnensystem" ist noch bis zum 15. Mai im Natural History Museum in London zu sehen, ab 1. Juni bis 18. September 2016 dann im Naturhistorischen Museum in Wien.

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