Die Gültigkeit des Sprichworts "In der Nacht sind alle Katzen grau" können Astronominnen und Astronomen bestätigen, besonders, wenn sie Himmelskörper im äußeren Sonnensystem untersuchen. Um so mehr freuen sie sich, wenn sie entdecken, dass die Orte ihrer Sehnsucht bunter sind als angenommen.
Als der US-Astronom James W. Christy 1978 zufällig Charon entdeckte, den größten Mond des Zwergplaneten Pluto, hatte er auf der Aufnahme nicht mehr als eine graue Beule am Rande eines verschwommenen Lichtflecks gesehen. Erst als die Nasa-Raumsonde New Horizons 2015 in knapp 30 000 Kilometern Entfernung an Charon vorbeiflog, entdeckten die Astronomen einen schmucken roten Klecks in der nördlichen Polarregion, etwas blasser zwar, aber optisch vergleichbar mit einem rotem Fleck, den auch Jupiter aufweist. Allerdings hat Charons Schönheitsfleck eine ganz andere Ursache.
Wissenschaftler mutmaßten rasch, dass es sich bei der Färbung um Tholin-artige Substanzen handeln könnte. Danach würde ein bräunlich rotes Gemisch aus Kohlenwasserstoffen eine knapp 500 Kilometer weite Niederung am Nordpol bedecken - von Astronomen informell "Mordor Macula" genannt, nach dem dunklen Reich in J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe".
Zwar ließ sich diese Annahme bisher nicht direkt belegen. Charon und Pluto sind derzeit etwa fünf Milliarden Kilometer von uns entfernt und New Horizons war bisher die einzige Besucherin. Doch in zwei miteinander in Verbindung stehenden Studien haben WissenschaftlerInnen die atmosphärischen Bedingungen auf Charon nun experimentell nachgestellt und theoretisch modelliert. "Bisher konnte noch niemand die Zusammensetzung solcher Tholine direkt detektieren", sagt Ujjwal Raut vom Southwest Research Institute in Texas, als Haupt- und Coautor an beiden Studien beteiligt. "Unsere Experimente deuten aber stark darauf hin, dass sich komplexe Kohlenwasserstoffe über energetische Prozesse aus Methaneis bilden können."
Das erforderliche Methan stammt demnach aber nicht von Charon, sondern vom benachbarten Pluto. Denn der 2300 Kilometer messende Mond und sein gerade einmal doppelt so großer Hauptkörper bilden ein System, dass sich in weniger als 20 000 Kilometern Abstand gegenseitig umrundet. Daher fliegt Charon unablässig durch eine von Pluto ausgestoßene Wolke aus Methan. Charons Schwerkraft fängt dabei zahlreiche Gas-Moleküle ein, wobei diese anschließend solange über seine Oberfläche hüpfen, bis sie von der extremen Kälte in der polaren Niederung eingefangen werden, so die Studienautoren. Da das Charon-Pluto-System 248 Jahre für eine Runde um die Sonne benötigt und außerdem stark aus der Umlaufebene herausgekippt ist, herrschen auf Charon wie auf der Erde ausgeprägte Jahreszeiten. Die Temperaturen können daher in tief gelegenen Kältefallen im 124 Jahre währenden Charon-Winter auf weniger als minus 260 Grad Celsius sinken. Daher setzt sich selbst das flüchtige Methan dort als Eis ab, bis es im beginnenden Charon-Frühling auftaut und seine Reise über die Oberfläche bis zum nächsten Winter fortsetzt.
Ein kleiner Teil des Methaneises wird jedoch durch ultraviolette Strahlung photolytisch aufgespalten und in andere Substanzen umgewandelt, vor allem in etwas größere und langlebigere Ethan-Moleküle. Jedoch - auch Ethan-Eis ist transparent. "Die Photolyse von Methan allein kann die rote Farbe nicht erklären", so Raut. "Daher dürfte der Sonnenwind auch das Ethan verarbeiten, um längere, rötliche Kohlenwasserstoffe zu produzieren. Was das für Moleküle genau sind, müssen wir aber noch herausfinden."
Im Sonnensystem sind solch planetare Gastransfers einzigartig, so Raut, denn so nah wie Pluto und Charon kommen sich sonst keine planetaren Himmelskörper. Auch die Vereisungsvorgänge an den Polen lassen sich nicht mit denen auf der Erde oder dem Mars vergleichen. "Wir schätzen, dass sich in einem Plutojahr an den Polen etwa 80 einzelne Lagen Photoprodukte ansammeln", sagt Raut. "Über Millionen Jahre wachsen diese wahrscheinlich auf mehrere Mikrometer Dicke an." Zum Vergleich: Alufolie ist etwa 15 Mikrometer stark.