Astronomie:Kosmos ohne Tempolimit

Astronomen entdecken die größte Struktur im Universum

Quasare sind extrem helle Galaxienkerne, die unvorstellbare Energie ausstrahlen.

(Foto: dpa)

Wird die Dunkle Energie, die das Universum erfüllt und mehr und mehr aufbläht, mit der Zeit immer stärker? Astronomen stellen eine Idee vor, die die Kosmologie revolutionieren könnte.

Von Marlene Weiss

Es ist ein spannendes Szenario, das Guido Risaliti von der Universität Florenz und seine Kollegin Elisabeta Lusso in Nature Astronomy aufzeigen. Aber noch scheint sogar Risaliti selbst nicht so ganz daran zu glauben, was sie da gemessen haben: dass nämlich die rätselhafte Dunkle Energie, die das Universum erfüllt, mit der Zeit immer stärker wird. "Ich persönlich mag unser Modell nicht besonders, es ist nur ein Anfang, mehr nicht", sagt Risaliti. Und er gibt zu, dass systematische Fehler alles zunichte machen könnten - auch wenn man sich alle Mühe gegeben habe, solche Fehler auszuschließen.

Aber wenn sich das Ergebnis bestätigen sollte, wäre es eine Sensation, welche die moderne Kosmologie erschüttern würde. Denn das aktuelle Standardmodell des Universums geht davon aus, dass die Dunkle Energie, die etwa 70 Prozent des Energiegehalts des Universums ausmacht, so etwas wie eine unveränderliche Eigenschaft des leeren Raums ist, auch wenn niemand weiß, woraus sie besteht oder woher sie kommt. Sie treibt die Expansion des Universums an, so dass sich dieses immer schneller ausdehnt.

In den vergangenen Jahren sind jedoch Zweifel an dieser Theorie aufgetaucht. Mehrere Teams haben mit verschiedenen Methoden die sogenannte Hubble-Konstante gemessen. Sie gibt an, wie schnell das Weltall expandiert. Und wie man es dreht und wendet: Ihr Ergebnis passt einfach nicht recht mit dem Wert zusammen, den andere aus der kosmischen Hintergrundstrahlung berechnet haben, einem Nachglimmen des Urknalls.

Wenn man das Ausdehnungstempo misst, kommt man auf rund 73 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec - die Entfernungseinheit, die für solche Messungen verwendet wird. Die Berechnung aus der Hintergrundstrahlung hingegen ergibt nur rund 68 Kilometer pro Sekunde - auch nicht gerade Schneckentempo, aber doch weniger. Die einfache Erklärung dafür wäre, dass eine oder beide dieser Messtechniken doch mit größeren Fehlern behaftet sind als angenommen, auch wenn beide Gruppen Stein und Bein schwören, dass ihre Ergebnisse korrekt sind. Forscher sind Menschen, Menschen irren, so ist das - natürlich auch in der Wissenschaft.

Vielleicht beschleunigt sich die Expansion des Alls immer mehr

Aber es gäbe noch eine zweite, sehr verlockende Interpretation: Die Geschwindigkeit, mit der das Universum sich ausdehnt, könnte nicht stetig zunehmen, wie man bislang annahm. Sondern sich sogar immer stärker beschleunigen, angetrieben durch eine mysteriöse, wachsende Kraft - nämlich die der Dunklen Energie. In diese Richtung scheint nun die neue Arbeit von Risaliti und Lusso zu deuten, die auf Daten der beiden Röntgen-Weltraumteleskope Chandra und XMM-Newton von Nasa und Esa beruht.

Statt wie bisher die Ausdehnung des Weltalls anhand von Supernovae zu messen, also Sternexplosionen, nutzten die Forscher Quasare - große Schwarze Löcher im Zentrum von Galaxien, die Materie verschlingen und dabei extrem energiereiche Strahlung aussenden. Solche Quasare strahlen so mächtig, dass man ihr Licht selbst aus größter Entfernung messen kann. So, meinen die Wissenschaftler, konnten sie die Messung der Raserei des Universums auf Regionen ausweiten, aus denen das Licht schon seit mehr als zwölf Milliarden Jahren unterwegs ist - also aus der Zeit etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall. In diesen großen Abständen ergeben die Messwerte nur dann Sinn, wenn man eine wachsende Dunkle Energie annimmt. Das würde laut den Forschern auch die Diskrepanz bei den bisherigen Hubble-Messungen geradezu perfekt erklären.

Andere Experten sind jedoch sehr skeptisch, was die Bewertung der Arbeit angeht. "Die Unsicherheiten sind einfach zu groß", sagt etwa Bruno Leibundgut von der Europäischen Südsternwarte Eso. Er hält die ganze Diskussion um die Hubble-Konstante für überbewertet; kleine Korrekturen können schnell den Unterschied zwischen 68 und 73 machen. "Es ist sicher spannend, sich das anzusehen", sagt er. Um eine neue Physik auszurufen aber sei es noch zu früh. Neue Daten könnten die Sache aufklären, etwa die ab Mitte 2020 erwartete dritte Runde der Messwerte der Esa-Sonde Gaia, die 1,5 Millionen Kilometer jenseits der Erde um die Sonne kreist und von dort aus die Milchstraße vermisst.

Vielleicht stellt sich dann heraus, dass alles ein bedauerlicher Irrtum war. Oder aber ein neues Zeitalter der Kosmologie bricht an.

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