Süddeutsche Zeitung

Astronomie:Die Jagd nach dem Stern von Bethlehem

Lesezeit: 3 min

Von Nicolas Freund

Den Versuch, aus jahrtausendealten Texten historische Tatsachen ableiten zu wollen, umweht immer ein Hauch von Naivität. Denn natürlich besteht die Möglichkeit, wie sie zum Beispiel auch bei Heinrich Schliemanns Suche nach dem antiken homerischen Troja bestand, dass das gesuchte Objekt schlicht erfunden worden ist. Oft ist Erfundenes und Verbürgtes aber auch durch Ausschmückungen und Allegorisierungen so miteinander verwoben, dass es kaum mehr voneinander zu trennen ist - wie im Falle der Bibel. Auch dem Unglaublichsten kann ein wahrer Kern innewohnen.

So heißt es im Evangelium nach Matthäus, Sterndeuter, besser bekannt als die Heiligen Drei Könige, seien auf der Suche nach dem Messias einem Stern aus dem Osten nach Jerusalem und von dort auf Anweisung König Herodes' weiter nach Bethlehem gefolgt. "Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt."

Die historische Person Jesu zu greifen ist kaum möglich. Mehr als bei anderen Religionsstiftern überblenden sich in ihm die Menschen, die als Jesus infrage kommen, mit der Figur des Gottessohns. Der Theologe Jörg Lauster erkennt in dieser doppelten Figur sogar den Ursprung jeder kulturellen Auseinandersetzung mit Jesu und den Versuch, "den persönlichen Umgang mit Christus im Bewusstsein lebendig, frisch und wirkkräftig zu halten". Es gehört zum Wesenskern des Christentums, dass ihr Stifter und vieles aus seinem Leben schwer zu fassen sind.

Aber was könnte eine solche Erscheinung gewesen sein?

Nicht unumstritten, aber von vielen Historikern und Theologen angenommen ist hingegen, dass die Evangelien und die apokryphen Texte, die vom Leben Jesu berichten, grundsätzlich auf historische Ereignisse zurückgehen. Im Fall der Heiligen Drei Könige, die in der Bibel wie der Stern nur im Matthäusevangelium erwähnt werden, ist davon auszugehen, dass ihnen auf dem Weg durch die Wüste kein Himmelskörper voranflog und den Weg leuchtete. Wahrscheinlich aber ist, dass sich in der Zeit um Christi Geburt ein außergewöhnliches Phänomen am Himmel zeigte, das so besonders gewesen sein muss, dass es auch Jahrzehnte später, als die Evangelien schriftlich festgehalten wurden, noch erwähnenswert erschien. Aber was könnte eine solche Erscheinung gewesen sein?

Ein Meteorit vielleicht, ein Gesteinsbrocken, der beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglühte? Wahrscheinlich nicht, denn die Könige, die tatsächlich treffender als Sterndeuter zu bezeichnen sind, waren vermutlich Gelehrte, für die ein solches kurzlebiges Ereignis keine Besonderheit gewesen wäre. Noch dazu heißt es ja, sie seien dem Stern wohl längere Zeit gefolgt - bei einem Meteoriten, der nur kurz am Himmel leuchtet, kann das nicht sein. Das Phänomen muss also nicht nur spektakulär gewesen sein, es muss auch längere Zeit, vielleicht viele Wochen oder Monate, am Himmel gestanden haben.

Ein Hinweis könnte sich auf einem Fresko Giotto di Bondones von 1302 verbergen, das in der Scrovegni-Kapelle in Padua zu sehen ist: Die Drei Könige huldigen dem Christuskind, während über dem Stall ein rot-oranger Stern mit einem markanten Schweif zu sehen ist. Er soll dem Halleyschen Kometen nachgebildet sein, der im Jahr zuvor mehrere Monate über Europa zu sehen war, und den auch Giotto beobachtet haben soll.

Aber kommt der Komet wirklich als Stern von Bethlehem infrage? Etwa alle 77 Jahre kehrt er wieder, er könnte also auch zu Christi Geburt über Bethlehem sichtbar geleuchtet haben. Berechnungen ergaben aber, dass er im Jahre zwölf vor Christus erschienen sein muss - zu früh also, selbst wenn man, wie allgemein angenommen, davon ausgeht, dass Jesus eigentlich etwa im Jahre fünf vor seiner angenommenen Geburt auf die Welt kam.

Auf die Möglichkeit eines Kometen kommen wir gleich zurück. Der Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke vertrat in einer Kurzgeschichte eine andere Theorie: Bei dem Stern von Bethlehem handele es sich um eine Supernova, also einen am Ende seiner Lebenszeit angekommenen, explodierenden Stern. Clarke, der in seinen Texten viele Entwicklungen und Entdeckungen vorausgesehen hat, etwa geostationäre Satelliten, lässt in dieser Kurzgeschichte einen Jesuiten in der fernen Zukunft die Überreste einer solchen Supernova untersuchen.

Der gläubige Weltraumforscher findet die Ruinen einer menschenähnlichen, außerirdischen Zivilisation, die durch die Sternenexplosion zerstört worden war. Anhand der Überreste kann er den genauen Zeitpunkt der Supernova errechnen und kommt zu dem Schluss, dass der sterbende Stern der Stern von Bethlehem gewesen sein muss. Warum, fragt er, musste ausgerechnet dieser von Lebewesen umkreiste Stern zum Gründungsmythos seines Glaubens werden und dabei eine andere Welt auslöschen?

Auch wenn die armen Außerirdischen Science-Fiction sind, und Clarkes Geschichte eher eine Religionskritik als eine eigene These zum Stern von Bethlehem darstellt, wurde die Nova-Theorie doch mehrmals ernsthaft in Betracht gezogen. Etwa von dem Esa-Astronomen Mark Kidger. Er hat Ende der Neunzigerjahre ein ganzes Buch über den Stern von Bethlehem geschrieben. In Aufzeichnungen aus Korea und dem alten China sowie in Forschungsergebnissen sowjetischer und britischer Wissenschaftler aus den Siebzigerjahren ist er auf ein helles Himmelsobjekt gestoßen, das im Jahr fünf vor Christus zweieinhalb Monate am Morgenhimmel sichtbar gewesen sein soll. Allerdings lässt sich die Frage, ob es sich dabei um einen Kometen, eine Supernova oder etwas anderes handelte, auch anhand dieser Quellen nicht mehr mit Sicherheit beantworten - die alten Aufzeichnungen und Beschreibungen sind zu ungenau. Die Jagd nach dem Stern von Bethlehem bleibt, was sie schon für die Heiligen Drei Könige war: eine Glaubensfrage.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3800736
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.12.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.