Astronaut Chris Hadfield im Interview:Wie man im All Geburtstag feiert

Chris Hadfield

Chris Hadfields Performance von "Space Oddity" auf der ISS

(Foto: YouTube)

Seine Coverversion von "Space Oddity" aus der ISS machte ihn berühmt. Zurück auf der Erde, spricht Astronaut Chris Hadfield über kosmische Jamsessions, Weltraumblitze - und darüber, was er im All am meisten vermisst hat.

Von Kathrin Hollmer

Der kanadische Astronaut Chris Hadfield, 54, war drei Mal im Weltall: 1995 und 2001 jeweils für zwei kurze Aufenthalte auf der MIR und der Internationalen Raumstation (ISS) und von Dezember 2012 bis Mai 2013 für ein halbes Jahr auf der ISS. Dort sang er kurz vor seiner Rückkehr 2013 David Bowies "Space Oddity" und wurde damit berühmt.

Alexander Gerst ist seit einer Woche auf der ISS. Wie sind die ersten Tage für einen Astronauten auf der Raumstation?

Es ist, als ob man aufwacht und es ist Weihnachten und Geburtstag auf einmal. Einfach deshalb, weil es so verdammt schwierig war, dorthin zu kommen. Oben in der Raumstation ist einem dann alles seltsam vertraut. Die Simulatoren sind sehr gut. Man weiß, wo alles ist, es fühlt sich an, als ob man schon einmal da gewesen wäre, und gleichzeitig ist alles sehr anders. Man kann auf der Erde keine Schwerelosigkeit simulieren, und sie verändert jedes Detail. Sie verändert, wie man sich bewegt, wie man Sachen weglegt, wie man einfach nur dasteht. Man braucht eine Weile, bis man elegant durch die Module der ISS schwebt und nicht ständig in Sachen reinkracht. Und dann ist einem an den ersten Tagen natürlich übel.

Warum wird einem in der Schwerelosigkeit übel?

Das, was einem die Augen sagen, ist so anders als das, was einem der Gleichgewichtssinn sagt. Der Körper denkt, dass er vergiftet wurde.

Vergiftet?

Gestörtes Sehvermögen und Gleichgewichtssinn sind Symptome für eine Vergiftung mit Nervengift. Der Körper versucht einen zu schützen, indem er einen dazu bringen will, sich zu übergeben und sich einfach hinzulegen. Glauben Sie mir, das ist nichts, was man tun will, wenn man zum ersten Mal im Weltraum ist. Wir nehmen Medikamente dagegen, und es geht nach ein paar Tagen vorbei. Die Übelkeit trifft auch nicht jeden gleich. Alexander Gerst sieht großartig aus, er könnte nicht fitter aussehen.

Wie haben Sie seinen Start verfolgt?

Ich saß gerade im Flugzeug und sah mir den Start und später das Andocken im Internet an. Ich sah, wie sie die Luke öffneten und reinkletterten. Es war so schön, diesen ganzen Prozess zu verfolgen und die zwei "Rookies", Alexander Gerst und Reid Wiseman, bei dieser Erfahrung zu sehen.

Die beiden und der russische Kommandant Maxim Surajew wurden von der Crew, die bereits auf der ISS war, empfangen. Wie geht es nach der Begrüßung dort oben weiter?

Das klingt recht trocken, aber: mit einer Sicherheitseinweisung. Der Kommandant zeigt ihnen die Notfallausrüstung und erklärt, wie man in den drei Hauptnotfällen reagiert.

Welche sind das?

Ein Feuer, wenn ein Meteorit in die ISS einschlägt oder wenn Schadstoffe oder giftiges Gas austreten. Der Kommandant erklärt dann, wo das Equipment ist und wie es funktioniert, man kennt es bis dahin nur aus dem Simulator. Die alte Crew zeigt den Neuen, wie man mit Houston spricht, wie die täglichen Konferenzen funktionieren, wie man auf der Raumstation frühstückt. Das ist nicht superaufregend, aber das lässt einen ankommen. Danach werden ihnen die Schlafzimmer gezeigt, sie bekommen ihre Kleidung und dann ein bisschen Zeit sich einzuleben. Es ist eine große Umstellung, körperlich und geistig.

Wann sind Sie dort oben das erste Mal aufgewacht und wussten, dass Sie in der Schwerelosigkeit angekommen sind?

Bei meinem Langzeitaufenthalt fühlte ich mich etwa nach sechs Wochen wie ein echter Weltraumbewohner. Von da an ging das Herumschweben unterbewusst, so wie man beim Gehen mit jemandem spricht oder andere Dinge tut. Morgens war die Erfahrung trotzdem immer neu. Man schwebt nachts in seinem Schlafsack, der in der telefonzellengroßen Schlafbox mit einer Art Schnürsenkel angebunden ist, damit man nicht wegfliegt. Es ist ein großer Spaß, auf der Raumstation zu schlafen. Es ist, wie wenn man in einer seltsamen neuen Welt aufwacht. Man muss fast lachen, wenn man wach wird, weil der ganze Körper so entspannt ist. Ich denke, Alexander Gerst hatte aber, bevor er auf die ISS kam, schon seinen ersten schwerelosen Schlaf.

Wie das?

Ich wette, dass er auf dem Weg zur Raumstation geschlafen hat. Eine Zeitlang ist es ziemlich ruhig in der Sojus-Rakete. Man wartet nur auf die nächste Zündung, und es war ein langer Tag und der kommende wird auch lang. Ich vermute, dass er ein Nickerchen gemacht hat. In der Rakete ist man allerdings so fest angegurtet, dass man nicht viel von der Schwerelosigkeit mitbekommt.

Auf die Schwerelosigkeit bereitet man sich mit Parabelflügen vor, man trainiert in einem Schwimmbecken und im Raumanzug die Außeneinsätze auf der ISS. Wie nahe kommt das der echten Schwerelosigkeit?

Das Tauchen ist ganz gut, um ein Gefühl dafür zu bekommen, dass man sich dreidimensional fortbewegt, aber wenn man im Pool mit dem Kopf nach unten taucht, hat man immer noch das ganze Gewicht seines Körpers auf den Schultern und muss gegen den Widerstand des Wassers kämpfen, das hat man in der Schwerelosigkeit nicht.

Und die Parabelflüge?

Es ist wie wenn man Duschen und Schwimmen vergleicht. Beides hat mit Wasser zu tun, aber es ist nicht das gleiche. Man hat 25 Sekunden eine Art von Schwerelosigkeit. Es ist ja keine richtige Schwerelosigkeit, es kommt eher dem freien Fall gleich.

In ihrem Buch "Anleitung zur Schwerelosigkeit: Was wir im All fürs Leben lernen können" schreiben Sie von Blitzen, die Sie auf der Raumstation sahen, wenn Sie die Augen schlossen. Was hat es damit auf sich?

Auf der Erde schützen uns die Atmosphäre und das Magnetfeld der Erde vor kosmischer Strahlung, auf der ISS wird man ständig von hochenergetischen Partikeln bombardiert. Man nimmt sie aber nur wahr, wenn sie zufällig auf den Sehnerv treffen: Wenn man die Augen schließt, sieht man kleine Blitze. Es ist eine Erinnerung daran, dass man an einem neuen Ort ist, und dass die Dinge sehr anders sind. Als ich 1995 zum ersten Mal in den Weltraum flog, hatten uns die Ärzte schon vorgewarnt. Die allerersten Astronauten rechneten nicht damit, sie wussten nicht, ob das normal ist. Und sie konnten auch niemanden fragen.

Wenn Sie so lange höherer Strahlung ausgesetzt waren, leben Sie dann kürzer?

Bisher gibt es keine Belege, dass Astronauten häufiger Krebs oder grauen Star bekommen.

Aber es ist trotzdem gefährlich, oder?

Im Weltraum, ohne schützende Atmosphäre, hat die Umgebung natürlich eine höhere Strahlung. Aber wir sind nicht für immer da oben, und die Regeln für die gesetzlich erlaubte Strahlendosis sind sehr streng, auch für uns. Es sind die gleichen, die für andere Menschen gelten, die bei der Arbeit Strahlung ausgesetzt sind, die mit Röntgenmaschinen, in einem Kraftwerk oder in Flugzeugen arbeiten. Menschen, die weit über Normalnull leben, bekommen auch viel mehr Strahlung ab als jemand, der auf Seehöhe lebt. Astronauten sind sogar eher gesünder als die Durchschnittsbevölkerung und leben daher länger. Da ist natürlich ein gewisses Risiko, wir werden unsere Körper für den Rest unseres Lebens studieren. Es ist aber schwer, etwas Lohnenswertes in seinem Leben zu tun, wenn man nicht bereit ist, ein gewisses Risiko einzugehen. Der Start der Rakete ist im Übrigen viel, viel gefährlicher als ein winziges extrabisschen Strahlung.

Höhenangst - wie passt das zu einem Astronauten?

Alexander Gerst bekommt unter anderem Käsespätzle auf die Raumstation geliefert. Wie wird da oben noch für das Wohlbefinden der Astronauten gesorgt?

Jedes Land bringt traditionelles Essen nach oben, aus der Gegend, in der die Astronauten aufgewachsen sind. Das ist so gedacht, dass sie das abends zusammen essen und jeder alles probiert, wie bei einem kleinen Fest. Wir haben eine Menge Musik auf der Raumstation und Instrumente. Wir haben es uns immer so vertraut und gemütlich gemacht, wie wir konnten. Das ist wichtig. Es gibt für jedes Team einen Stundenplan, der von allen Kontrollzentren auf der ganzen Welt zusammengestellt wird und der einem im Fünfminutentakt sagt, was man zu tun hat - sechs Monate lang. Es ist wirklich schwer, das durchzuziehen und zwei Stunden Sport am Tag zu machen, um den Körper gesund zu halten. Man will seine Sache ja gut machen. Aber wir haben auch Spaß da oben. Zu allen Feiertagen hängen wir Dekoration auf, wir hängen Willkommensschilder auf, wir feiern Geburtstage.

Mit Geburtstagskuchen?

Richtigen Kuchen kann man da oben nicht essen, wegen der Krümel, und es gibt auch keine Möglichkeit, einen zu backen. Man kann auch keine Kerzen anzünden. Kerzen brennen nicht ohne Schwerkraft, weil die Hitze nicht aufsteigt. Als wir mal einen Geburtstag an Bord hatten, haben wir uns trotzdem selbst einen Kuchen gemacht: Wir nahmen mehrere Schichten Tortilla-Fladen und strichen abwechselnd Honig und Ahornsirup darauf. Dann schnitten wir Stücke ab und sangen "Happy Birthday".

Was haben Sie dort oben am meisten vermisst?

Das Duschen, ganz eindeutig.

Wie funktionieren Morgen- und Abendtoilette auf der Raumstation?

Vor allem mit feuchten Tüchern. Aber das ist kein echter Ersatz. Die Hände wäscht man sich mit einem Beutel mit Wasser, das schon mit einer Seife vermischt wurde, die man nicht abspülen muss. Man drückt ein wenig davon durch einen Strohhalm heraus, fängt es ein und verteilt es vorsichtig, wie ein Gel, auf den Händen, so dass es nicht wegfliegt, und trocknet es mit einem Handtuch ab. Beim Zähneputzen muss man die Zahnpasta herunterschlucken. Wenn man sie ausspucken würde, würde sie herumschweben. Es gibt keine Schwerkraft oder fließendes Wasser, um sie den Abfluss herunterzuspülen und dort unten zu halten.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie hätten Höhenangst. Wie passt das zu einem Astronauten?

Jeder sollte Höhenangst haben. Höhenangst ist ein vernünftiger Selbsterhaltungstrieb. Bei mir ist es so: Ich kann nicht an einer Klippe stehen, ohne dass mir die Beine zittern. Aus einem Hochhausfenster oder einem Flugzeug kann ich aber sehen, weil da nicht die Gefahr besteht, dass ich herunterfalle. Deswegen konnte ich die Aussicht auf der Raumstation schon genießen.

Wollten Sie, zurück auf der Erde, noch eine Weile lang morgens aus dem Bett schweben?

Es ist nicht so, dass ich das wollte. Der Körper reagiert so. Wenn man eine Weile auf einem Schiff war, spürt man es manchmal an Land noch schaukeln. Man fühlt die Schwerelosigkeit noch, vor allem, wenn man im Bett liegt und aufwacht. Es ist eine wundervoll freie Erfahrung, schwerelos zu sein. Es ist magisch. Man gewöhnt sich sehr an die dreidimensionale Freiheit, daran, dass man schweben und fliegen kann, sich überschlagen und tausend Saltos machen. Wenn man heimkommt, klebt man erst mal auf dem Boden. Aber ich vermisse es nicht. Wenn man zu viel Zeit damit verbringt, Dinge zu vermissen, kann man nicht in dem Moment leben, in dem man ist.

Sie gaben vor einiger Zeit bekannt, dass Sie nicht mehr ins All fliegen. Was macht ein Astronaut im Ruhestand?

Ich war 21 Jahre lang Astronaut und nur sechs Monate im All. Den allergrößten Teil seines Lebens verbringt ein Astronaut nicht im All, sondern auf der Erde. Und die Chance, zu fliegen, ist winzig. Wenn man nicht liebt, was man auf der Erde tut, wird man sein Leben hassen. Man kann nicht sagen: "Ich hasse diesen Job, aber wenn ich ins All fliege, war es das alles wert." Das wäre eine selbstzerstörerische Sicht der Dinge. Ich habe nie so empfunden. Ich habe mich immer auf die nächsten Dinge, die ich tue, gefreut. Im Moment unterrichte ich an der Uni, ich arbeite an einem zweiten Buch, einem Fotoband, der im Herbst erscheint. Ich schrieb viel Musik auf der Raumstation, im Herbst starte ich eine Konzertserie mit dem Windsor Symphony Orchestra. Ich halte viele Reden, weil viele Leute hören wollen, was ich zu erzählen habe, ich berate die CSA (Canadian Space Agency). Was ich mache, fordert mich jeden Tag heraus, und ich bin glücklich, wenn ich ins Bett gehe. Darauf kommt es mir an.

Chris Hadfields Buch "Anleitung zur Schwerelosigkeit. Was wir im All fürs Leben lernen können" ist eben im Heyne Verlag erschienen. (19,99 Euro)

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