Süddeutsche Zeitung

Asthma und Allergien bei Kindern:Vom Wert der Keime

Viele Eltern glauben an die "Urwald-Hypothese": Dreck sei für Kinder gesund. Das wird jetzt von Kinderärzten bezweifelt. "Dreckspatzen" bekommen genauso häufig Asthma und Allergien wie "Stubenhocker".

W. Bartens

Dreck ist gesund. Nach Jahren des Hygienewahns und der übertriebenen Sauberkeitserziehung hat sich diese Erkenntnis unter Eltern und Ärzten verbreitet. Demnach profitieren Babys und Kleinkinder davon, wenn sie sich Sand, verdreckte Lätzchen und andere Sachen in den Mund stecken, die nicht ganz sauber sind.

Werden sie in Krippen und Kitas betreut, stecken sich kleine Kinder zwar öfter bei ihren Spielkameraden mit Infekten an. Auf Dauer stärke das aber ihr Immunsystem und mache sie weniger anfällig für Krankheiten. Auch würden sie später seltener an Asthma und Allergien leiden, so die populäre Auffassung.

Diese als Urwald-Hypothese bezeichnete Einschätzung wird von niederländischen Kinderärzten im American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine (Bd. 180, S. 491, 2009) bezweifelt. Die Mediziner um Daan Caudri hatten 4000 Neugeborene untersucht und über einen Zeitraum von acht Jahren beobachtet.

Die Ärzte unterschieden Kleinkinder, die im Alter von unter zwei Jahren in Krippen betreut wurden, Kinder, die im Alter zwischen zwei und vier Jahren eine Einrichtung besuchten und Kinder, die gar nicht außer Haus versorgt wurden.

In jungen Jahren bekamen die in Kitas betreuten Kinder häufiger Infekte. Nach dem fünften Lebensjahr litten sie hingegen etwas seltener an allergischen Symptomen. Im Alter von acht Jahren war die Neigung zu Allergien und Asthma allerdings bei allen Kindern ähnlich stark ausgeprägt, unabhängig davon, wie sie betreut wurden.

Keineswegs robuster

Das Spielen im Dreck und der häufige Kontakt mit Keimen in Kitas hatte die Kinder demnach keineswegs robuster gemacht und vor allergischen Erkrankungen geschützt. "Frühe Fremdbetreuung scheint die Atemwegserkrankungen nur vorzuverlegen - in ein Alter, in dem sie noch anstrengender sind", sagt Johan de Jongste, der die Untersuchung geleitet hat. "Krippen und Kitas sollten nicht als Schutz vor Asthma und Allergien angepriesen werden."

Das Langzeitexperiment DDR schien bewiesen zu haben, wie gut ein Haufen anderer Kinder und ein lässiger Umgang mit Keimen vor Allergien und Asthma schützte. In Ostdeutschland wuchs die Mehrzahl der Kinder in Krippen auf - Allergien und Asthma waren dort seltener als im Westen. "Es gibt womöglich eine Phase im Grundschulalter, in der kaum ein Schutz nachzuweisen ist", sagt Erika von Mutius, Allergieexpertin am von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München.

"Studien aus den USA haben jedoch gezeigt, dass die Schutzwirkung in der Pubertät wieder vorhanden ist." Zudem sei die Schutzwirkung besonders groß, wenn die Kinder in den ersten sechs Lebensmonaten Kontakt mit Keimen und Schmutz haben.

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SZ vom 08.09.2009/segi
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