Arzneimittel-Rückstände in Gewässern:Dröhnung für Barsche

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Flussbarsche  in einer Fangkiste: Arzneimittel in Gewässern können das Verhalten von Fischen dramatisch verändern. (Foto: dpa)

Schon geringe Rückstände von Beruhigungsmitteln im Wasser reichen, um scheue Barsche in fresswütige Draufgänger zu verwandeln. Solche Verhaltensänderungen sind mehr als kuriose Anekdoten. Sie können ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht werfen.

Von Hanno Charisius

Arzneimittelrückstände in Flüssen oder Seen schaden Lebewesen. Mehr noch, sie können sogar ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen. Dazu reichen winzige Mengen: In einem bislang einmaligen Versuch wiesen schwedische Ökotoxikologen nach, dass Barsche ihr Verhalten radikal ändern, wenn geringste Spuren Beruhigungsmittel ins Wasser gemischt werden. Die eigentlich scheuen Schwarmtiere werden zu draufgängerischen Einzelgängern. Zudem fressen die Tiere mehr als Artverwandte in unbelastetem Wasser.

Auf dem Jahrestreffen der amerikanischen Wissenschaftlervereinigung AAAS in Boston berichteten die Forscher am Donnerstag von ihren Experimenten. Sie vermuten, dass das veränderte Verhalten der Tiere die gesamte Nahrungskette im Ökosystem durcheinanderbringen könnte. "Sie verlassen ihre Deckung und benehmen sich antisozial", erklärt Jonatan Klaminder von der Universität Umeå, der an der Arbeit beteiligt war. Dadurch werden sie leichter Opfer ihrer natürlichen Fressfeinde. Gleichzeitig entnehmen sie dem Gewässer mehr Nahrung. Solche Verhaltensänderungen könnten auf die Population der Tiere starken Einfluss nehmen und damit weitreichende ökologische und evolutionäre Folgen haben, vermuten Klaminder und seine Kollegen (Science, Bd. 339, S. 814, 2013).

Die Fragestellung der Toxikologen ist nicht auf das Labor beschränkt, sondern bildet ein reales Problem ab. Hauptsächlich über das Abwasser gelangen Arzneimittelrückstände in die Umwelt. Der menschliche Körper scheidet viele der Substanzen unverändert wieder aus. Dazu kommen mehrere Hundert Tonnen nicht verbrauchter Medikamente, die nach Schätzungen des Umweltbundesamtes jedes Jahr in Toiletten hinuntergespült werden. Die meisten Kläranlagen sind nicht in der Lage, alle Stoffe aus dem Abwasser zu filtern. Manche Verbindungen entziehen sich den Aufreinigungsversuchen so hartnäckig, dass sie das Klärwerk so verlassen, wie sie hineingekommen sind. Wenn auch stark verdünnt gelangt auf diesem Weg ein ganzer Cocktail von Chemikalien in die Umwelt und kann dort Organismen und Ökosysteme dauerhaft schädigen.

Die Wirkung von Medikamenten und anderen Chemikalien in Gewässern werden von Forschergruppen auf der ganzen Welt detailliert studiert. Doch bislang konzentrierten sich die Arbeiten meist auf die Folgen für die einzelnen Lebewesen. So ist bekannt, dass Hormone im Wasser etwa zu Fehlbildungen bei Fischen und auch Unfruchtbarkeit führen können. Das Antidepressivum Prozac bringt manche Muscheln dazu, früher zu laichen. Und das Schmerzmittel Diclofenac, das besonders häufig in natürlichen Gewässern zu finden ist, schädigt die Nieren und das Immunsystem von Fischen.

Die neue Untersuchung aus Schweden zeigt nun, dass Verunreinigungen in der Umwelt nicht nur die Gesundheit von Tieren beeinträchtigt. Dass Psychopharmaka auch bei Tieren Verhaltensänderungen auslösen, sei erwartbar, sagt Gerd Maack, der sich beim Umweltbundesamt mit der Umweltbewertung von Arzneimitteln befasst. Doch seien die nun beobachteten Folgen überraschend. "Verringertes Sozialverhalten hat besonders bei Schwarmfischen einen direkten Effekt auf das Überleben, da der Schwarm Leben schützt. Ein verändertes Fressverhalten hat auch Folgen, da gerade in unseren Breiten das Nahrungsnetz sehr empfindlich auf Veränderungen reagiert." Studien wie die aus Schweden seien erst in jüngster Zeit möglich geworden, seit es Kamerasysteme gebe, die das Verhalten der Tiere aufzeichnen und automatisch analysieren.

Im Herbst 2010 hatten die vier Forscher aus Umeå im Fleisch von Barschen das Beruhigungsmittel Oxazepam gefunden. Die Tiere stammten aus dem Fluss Fyris, der durch Uppsala fließt. "Diese Substanz taucht überall da in messbaren Mengen in der Umwelt auf, wo viele Menschen leben und es wenig Wasser gibt", sagt Jonatan Klaminder. "Sie reichert sich in den Körpern der Tiere an." Für den Menschen sei das aber wohl ungefährlich. "Man müsste 2000 Kilogramm Fisch essen, um auf den Wirkstoffgehalt einer Tablette zu kommen", sagt Klaminder.

Er und seine Kollegen versuchten daraufhin im Labor zu ergründen, welchen Effekt der Arzneistoff auf die Tiere haben könnte. Dazu setzten sie junge Fische in Aquarien, denen sie Oxazepam in verschiedenen Konzentrationen zugesetzt hatten und verglichen deren Verhalten mit Tieren in sauberem Wasser. Die niedrige Dosierung des Wirkstoffs entspreche etwa jener Konzentration, die sie in der Nähe von Kläranlagen gemessen hätten, schreiben die Forscher. Vergleichbare Mengen würden auch in anderen europäischen und in nordamerikanischen Gewässern gemessen werden. Die hohe Dosis lag deutlich darüber.

Aber schon die geringe Wirkstoffmenge machte die Tiere aktiver. Sie mieden die Gruppe und fraßen gieriger als Artgenossen im wirkstofffreien Wasser. Setzten die Forscher sie der hohen Dosierung aus, wurden sie geradezu übermütig und zeigten kaum noch Scheu, unbekanntes Terrain zu erkunden. Solche Verhaltensänderungen seien jedoch selbst mit automatischen Kamerasystemen schwierig zu objektivieren, erklärt Gerd Maack die Schwächen der noch jungen Analysemethode.

Klaminder und seine Kollegen waren allerdings überrascht, wie deutlich die Auswirkungen selbst bei der niedrigen Dosierung waren. "Wir haben Messungen gemacht, die in einem ökologischen Kontext wichtig sind. Es ist alarmierend, dass Konzentrationen, wie sie in der Umwelt auftreten, einen solchen Effekt haben können." Als Lösung des Problems fordern sie bessere Kläranlagen und eine sachgemäße Entsorgung alter Arzneimittel.

Stefan Scholz, Ökotoxikologe vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig lobt das Design der Studie, wäre aber bei der Aussage "umweltrelevante Konzentrationen", wie es die Schweden in ihrem Fachartikel schreiben, "etwas vorsichtiger gewesen". Die kleinere im Labor eingesetzte Menge könne vielleicht direkt am Abfluss einer großen Kläranlage gemessen werden, "sie würde sich im Fluss aber schnell sehr stark verdünnen". Das könne sich aber im Sommer ändern, wenn in Teilen Europas bei Wasserknappheit "einige Flüsse fast zu 100 Prozent aus Abwasser bestehen". Die Aussagekraft der schwedischen Ergebnisse will er jedoch keinesfalls schmälern. "Erstaunlich ist auch, wie empfindlich die Fische offenbar auf den Stoff reagieren."

Vor dem Hintergrund, dass in den meisten Gewässern nicht nur ein Beruhigungsmittel gelöst ist, sondern ein ganzer Cocktail von Chemikalien, wird deutlich, dass es in diesem Bereich noch viele Fragen zu beantworten gibt. "Es gibt durchaus kombinatorische Effekte, selbst wenn die Einzeldosen der verschiedenen Wirkstoffe in einem Gemisch keine Effekte zeigen", sagt Ökotoxikologe Scholz.

Dem Umweltbundesamt zufolge finden sich Spuren von 156 verschiedenen Arzneistoffen in der Umwelt, 24 davon stuft das Amt als gefährlich für Umweltorganismen ein. Auch im Trinkwasser sind Spuren von Arzneimitteln zu finden, für den Menschen gehe davon allerdings keine Gefahr aus, heißt es in einer Mitteilung aus dem vergangenen Jahr. Bei der Zulassung neuer Arzneimittel werden diese auch auf ihre Umweltwirkung geprüft. Eine systematische Überwachung dieser Stoffe findet jedoch bislang nicht statt.

© SZ vom 15.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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