Artenvielfalt:Zuflucht Zoo

Wissenschaftler fordern, dass Tierparks möglichst vielen bedrohten Arten als Rettungsinsel dienen sollten - bis eine Auswilderung wieder möglich ist. Zoos käme so eine größere Rolle beim Artenschutz zu.

Juliette Irmer

Die Kihansi-Gischtkröte lebte einst in Tansania: in der Kihansi-Schlucht, am Rande der Wasserfälle, deren Sprühnebel für Feuchtigkeit sorgte. 1999 bauten die Tansanier dort ein Wasserkraftwerk, der Lebensraum der Kröte trocknete weitgehend aus. Seit 2009 gilt sie in der Wildnis als ausgestorben. Überlebt hat die Art nur in Zoos.

Sibirische Tigerbabys heißen Josef und Victor

Tigerbaby Victor im Zoo im brandenburgischen Eberswalde (Barnim). Zwei Sibirische Tiger - Josef und Victor - kamen am 28.02.2011 zur  Welt. Im Zoo werden die Tiger zwar begafft, aber zumindest nicht gejagt. Eine Chance für bedrohte Tiere, sagen Forscher.

(Foto: dpa)

Eine ähnliche Chance, wie sie die afrikanische Minikröte bekam, sollen möglichst viele bedrohte Tierarten erhalten, forderten Wissenschaftler kürzlich in der Fachzeitschrift Science. Demnach sollen Zoos eine größere Rolle beim Artenschutz spielen, indem sie mehr gefährdete Tiere aufnehmen und Schutzmaßnahmen in freier Wildbahn durch gezielte Zuchtprogramme ergänzen. Momentan lebe nur eine von sieben gefährdeten Landwirbeltierarten in der Obhut des Menschen, haben die Autoren errechnet.

"Das Ziel ist nicht die Haltung einer Art in Gefangenschaft", sagt Dalia Conde vom Max-Plank-Institut für Demographische Forschung in Rostock, Erstautorin der Studie. "Das Ziel ist der Erhalt einer Art in ihrer natürlichen Umgebung. Aber für stark gefährdete Tierarten sind Zoos eine Art Lebensversicherung. Sie können dort so lange überleben, bis sie wieder ausgewildert werden können."

Gemeinsam mit einem Experten des International Species Information System (Isis) hatten Conde und ihre Kollegen erstmals berechnet, wie viele bedrohte Tierarten tatsächlich in Zoologischen Gärten beheimatet sind. Das Ergebnis: Von den 2360 gefährdeten Vogel- und Säugetierarten wird rund ein Viertel in Zoos gehalten. Nur jede elfte Vogel-Spezies, die als "akut vom Aussterben bedroht" eingestuft ist, gibt es in Volieren. Für Amphibien sieht es noch schlechter aus. Nur drei Prozent der 1895 gefährdeten Arten leben in Zoo-Terrarien.

Dabei wären zoologische Gärten für die Rolle der Arche Noah eigentlich prädestiniert. Sie haben jahrzehntelange Erfahrung mit der Zucht von Tieren in Gefangenschaft, speziell mit der Zucht kleiner Populationen. Sind nur wenige Individuen einer Art vorhanden, ist der Genpool, also die Gesamtheit aller Gene einer Population, stark verkleinert - das Risiko von Inzuchtphänomenen steigt.

Um dem entgegenzuwirken, sollten sich genetisch unterschiedliche Tiere paaren. Die Verwandtschaftsverhältnisse der Tiere werden daher in Zoos entsprechend penibel dokumentiert. Wenn es das Zuchtbuch verlangt, müssen Weibchen oder Männchen mit oft großem Aufwand zwischen Zoos ausgetauscht werden.

Solche Zuchtprogramme liefern auch demographische Daten, die in der Wildnis nur schwer zu erhalten sind: Wie groß ist der Wurf oder das Gelege eines Tieres? Wann wird es geschlechtsreif? Wie häufig pflanzt es sich fort? "Von vielen Tierarten sind solche grundlegenden Daten nicht bekannt", sagt Conde. "Sie werden aber dringend gebraucht, um die Überlebenschancen in freier Wildbahn einschätzen zu können."

Dass die Nachzucht in Gefangenschaft erfolgreich sein und die Arterhaltung fördern kann, lässt sich mit Zahlen belegen. Unter den 68 Wirbeltierarten, bei denen eine Verbesserung der Gefährdungskategorie erreicht werden konnte, hat die Nachzucht in Tierparks bei 17 Arten eine entscheidende Rolle gespielt. Darunter waren beispielsweise der Kalifornische Kondor und das Przewalski-Pferd. 1987 wurden die letzten 27 frei lebenden Kondore eingefangen. Heute fliegen wieder knapp 200 Vögel über der nordamerikanischen Pazifikküste.

Knapp der Ausrottung entgangen

Auch die Przewalski-Pferde sind der Ausrottung nur knapp entgangen. Einst in ganz Zentralasien verbreitet, wurden sie nach und nach von immer größeren Herden Weidevieh aus ihrem Lebensraum verdrängt und zusätzlich gejagt. 1970 lebten nur noch 13 von ihnen in Gefangenschaft. Dank eines globalen Nachzuchtprogramms leben heute mehr als 1000 Urpferde in Zoos - und etwa 300 Exemplare galoppieren wieder in der mongolischen Steppe.

Wisente und Wildpferde in der Doeberitzer Heide ausgewildert

Ein Przewalski-Wildpferd und ein Wisent (Europäischer Bison) kommen sich in der "Wildniskernzone" in "Heinz Sielmanns Naturlandschaft" in der Döberitzer Heide bei Elstal ins Gehege. Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz wurden die seltenen Tiere ausgewildert.

(Foto: ddp)

Finanziert werden solche Projekte unter anderem vom Weltzooverband Waza mit Sitz im schweizerischen Gland. Er ist der drittgrößte Geldgeber für Arterhaltungsprojekte; jährlich 350 Millionen US-Dollar gibt der Weltzooverband dafür aus. Volker Homes, Artenschutzexperte des WWF in Berlin, bestätigt, "dass sich viele Zoos auf einem guten Weg befinden."

Können Zoos also tatsächlich die Rolle einer Arche Noah übernehmen? Dagegen sprechen praktische Probleme. "Es ist nicht gerade so, dass Zoos leer stehen und nur zu entscheiden wäre, wer wie viele Individuen welcher Art bekommt", sagt Gerald Dick, Direktor der Waza. Und selbst wenn sich alle Zoos weltweit vereinten, um noch mehr gefährdete Tiere aufzunehmen und nachzuzüchten - den globalen Artenschwund könnten sie höchstens abpuffern.

So gilt das Lob des WWF-Experten Homes vor allem den vergleichsweise wenigen großen Zoos, die wissenschaftlich arbeiten. Von den 15.000 Einrichtungen weltweit, die sich als Zoo bezeichnen, sind nur 1300 im Weltzooverband organisiert; 800 sind Mitglieder der Arten-Datenbank Isis. Ausgerechnet Zoologische Gärten in tropischen Entwicklungsländern erfüllen häufig nicht die geforderten Standards; oft haben sie auch kein Geld für die Waza-Mitgliedschaft.

Dabei könnten Zoos in diesen Ländern eine Menge zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen. Die Biodiversität ist dort am größten, und die Zucht bedrohter Tiere vor Ort hätte praktische Vorteile. Die Tiere müssten sich nicht erst akklimatisieren, ihre natürliche Nahrung wäre leichter zu beschaffen und der Transport wäre einfacher.

Doch manche Probleme kann auch ein Vorzeigezoo nicht lösen. Für die meisten Tiere ist eine Auswilderung utopisch. Wiederansiedlungsprojekte sind aufwendig und teuer. Neben der wissenschaftlichen und tiermedizinischen Begleitung muss auch die Bevölkerung eingebunden werden. Was andernfalls passiert, zeigt das Beispiel der arabischen Oryx-Antilope im Oman: Viele der seltenen Tiere werden wie in alten Zeiten gewildert.

Am schwersten aber wiegt das Argument, dass es für eine Wiederansiedlung den entsprechenden Lebensraum braucht. In Anbetracht des stetig wachsenden Flächenverbrauchs der Menschheit ist es zumindest fraglich, ob Schutzgebiete aufrechterhalten oder gar ausgeweitet werden können, wie es unlängst die UN-Naturschutzkonferenz von Nagoya beschlossen hat.

Im Falle der Kihansi-Gischtkröte hat die Regierung von Tansania nachgeholfen. Sie hat mittlerweile ein von der Weltbank gesponsertes Berieselungssystem in der Kihansi-Schlucht installiert, um die verlorengegangene des Wasserfalls nachzuahmen. In Kürze sollen die kleinen Kröten ausgewildert werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: