Artensterben:Nachhaltige Vernichtung

Ökosysteme waren schon immer dynamisch, mit Gewinnern und Verlierern. Doch heutzutage verschwinden Arten in atemberaubenden Tempo - und dafür ist einer verantwortlich: der Mensch.

Wolfgang Roth

Es sind keine Auerochsen, die im Münchner Tierpark Hellabrunn zu besichtigen sind, auch wenn sie so heißen. Als im 17. Jahrhundert das letzte Exemplar dieser Wildrinderrasse starb, war das Schicksal der Art endgültig besiegelt.

Artensterben: Was der Mensch der Natur antut, hat er häufig nicht im Griff: Brandrodungen im brasilianischen Regenwald geraten auch mal außer Kontrolle.

Was der Mensch der Natur antut, hat er häufig nicht im Griff: Brandrodungen im brasilianischen Regenwald geraten auch mal außer Kontrolle.

(Foto: Foto: AP)

Genmaterial, wie es heute massenhaft in den Samenbanken der Züchter lagert, konnte seinerzeit noch nicht gewonnen und konserviert werden. Die heute lebenden Tiere sind eine durch Kreuzung ausgewählter Rassen angestrebte Annäherung an das ursprüngliche Erscheinungsbild. Benannt nach den Schöpfern, ehemaligen Zoodirektoren, tragen sie korrekt den Namen "Heck-Rinder".

Das ist das Problem: Was ausgestorben ist, kann in der Regel nicht wiederauferstehen. Weil sich die immer noch anwachsende Weltbevölkerung zu einem guten Teil von Nutzpflanzen ernährt, ist die genetische Vielfalt der Getreidesorten, Knollen und Früchte die beste Absicherung für die Zukunft.

Von Bedeutung ist derzeit nur mehr ein Tausendstel der etwa 30.000 nutzbaren Nahrungs- und Futterpflanzen - solche, die einen hohen Ertrag bringen. Niemand weiß aber, ob nicht eine der anderen Sorten besser gegen neuartige Schädlinge oder zunehmende Dürreperioden gefeit ist.

Damoklesschwert über den Insekten

In den Samenbanken liegen deshalb weltweit ungefähr sechs Millionen Samenmuster, aber diese Konservierung kann ein breites Spektrum in der Natur nicht ersetzen, weil sich die Pflanzen nur im Freiland an Fressfeinde und den Klimawandel anpassen und natürliche Abwehrmittel entwickeln können.

Von solchen Risiken ist selten die Rede, wenn das Artensterben und die schwindende Vielfalt der Ökosysteme beklagt werden. Im Licht der Öffentlichkeit stehen einprägsame Tierarten wie die Pandabären, die sibirischen Tiger oder die spärlichen Bestände der Orang-Utans auf Sumatra und Borneo - Geschöpfe, zu denen der Mensch eine besondere emotionale Beziehung entwickeln kann.

Auch in Deutschland zeigt sich aber, dass weder Säugetiere noch die stark beachtete Vogelwelt zu den am stärksten gefährdeten Gruppen gehören. Dafür schwebt das Damoklesschwert über vielen Insekten, Kriechtieren, Fröschen, Muscheln und Krebsen.

Das Ausmaß ist schwer zu benennen, weil bisher nur ein kleiner Teil des tierischen und pflanzlichen Kosmos erfasst ist - ungefähr 1,8 Millionen Arten, zu denen die Insekten allein mindestens 50 Prozent beisteuern.

Über die reale Zahl existieren nur Schätzungen, und die gehen so weit auseinander, dass sie sowohl den rudimentären Wissensstand der Menschheit wie die ungeheure Komplexität der Natur dokumentieren. In der Fachwelt gehen die Annahmen bis zum 50-Fachen des bisher bekannten Artenspektrums.

Gewinner und Verlierer

Im Lauf der Erdgeschichte gab es immer schon aussterbende Arten, ausgelöst durch geologische Verwerfungen, den Wechsel von Warm- und Kaltzeiten und gewaltsame Einflüsse aus dem Weltraum. Auch ist die Vorstellung von Ökosystemen, die dergestalt im Gleichgewicht sind, dass sich alle Teile stabilisieren und wie ein Perpetuum mobile am Leben erhalten, letztlich einer romantischen Naturidee entsprungen.

Es handelt sich vielmehr um dynamische Systeme mit Gewinnern und Verlierern. Neu ist aber das Tempo, in dem viele Arten seit der Industrialisierung vom Globus verschwinden. Die Umweltschutzorganisation WWF nimmt an, dass die Vielfalt allein in den letzten 25 Jahren um mehr als ein Viertel abgenommen hat.

Auf den Roten Listen der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten in Bayern steht ungefähr die Hälfte der erfassten Bestände. Und noch etwas ist neu in der langen Geschichte der Evolution: Erstmals ist es eine einzige Art, die den Verdrängungsprozess durch ihre schiere Zahl und die Übernutzung natürlicher Ressourcen derart beschleunigt: der Mensch.

Artenschwund in atemberaubender Geschwindigkeit

Große Beutegreifer wie Bär, Luchs und Wolf sowie etliche Greifvogelarten sind in Deutschland einer Jagdpraxis zum Opfer gefallen, die neben dem Menschen keine Konkurrenz duldete. Mittlerweile ist die Jagd hier kein entscheidender Faktor mehr für das Artensterben, allerdings ein forstwirtschaftliches Problem, weil die hohen Wildbestände nicht nur den Erholungswald gefährden, sondern in Berglagen auch die Lawinengefahr verstärken.

Die größte Gefährdung geht nun eindeutig von der intensiv betriebenen Landwirtschaft aus, von überdüngten Wiesen und Feldern und einer ausgeräumten Flur, die vielen Lebewesen weder Schutz noch Nahrung bietet. Manche Vogelarten weichen erfolgreich in die Städte aus, wo der Tisch reichlicher gedeckt ist und in den Parks knorrige, alte Bäume stehen, die in den auf Holzertrag getrimmten Forsten nur mehr selten anzutreffen sind.

Die größten Schätze der Natur aber befinden sich anderswo, in den tropischen Wäldern der Erde, wo ungefähr vier Fünftel aller Arten beheimatet sind. Und diese Pretiosen schwinden in so atemraubender Geschwindigkeit, dass die Verluste in anderen Teilen der Welt fast schon marginal wirken.

Die Gefahren sind so vielfältig wie die Natur, und die Nutznießer des Zerstörungswerks sind nicht jene Kleinbauern, die dem Urwald zur Selbstversorgung ein wenig Anbaufläche abtrotzen, sondern in erster Linie heimische Eliten und die Konsumenten in den Industrieländern.

Sie nutzen die Ernte der Ölpflanzen für Automotoren, kleine Kraftwerke und kosmetische Erzeugnisse. Sie ernähren ihr Mastvieh und die gigantischen Geflügelbestände mit dem Kraftfutter aus Soja und Mais, das in rauen Mengen in Südamerika produziert wird und mehr und mehr den Tropenwald verdrängt. Auch die deutschen Milchkühe, die Mastbullen und die in Rekordzeit zur Schlachtreife gebrachten Schweine weiden quasi in Übersee.

Mit Rodungen zum Anbau von Futtermitteln und Energiepflanzen schwinden nicht nur artenreiche Lebensräume, es schwindet auch ein großer Teil der Biomasse, die das Treibhausgas Kohlendioxid bindet. Der Handel mit Tropenholz aus Südamerika, Südostasien und Zentralafrika kommt erschwerend hinzu.

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