Artenschutzkonferenz:"Wir brauchen jede einzelne Froschart"

Für Achim Steiner, dem Generaldirektor des UN-Umweltprogramms, gehen viele Länder zu zögerlich gegen das weltweite Artensterben vor. Im Gespräch mit sueddeutsche.de fordert Steiner die Industriestaaten dazu auf, Entwicklungsländer für den Artenschutz zu bezahlen.

Martin Kotynek

sueddeutsche.de: Die Vertragsstaaten der Biodiversitäts-Konvention haben sich dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2010 den Artenverlust "signifikant zu reduzieren". Die Artenvielfalt schwindet jedoch rasanter als je zuvor. Ist die Konvention gescheitert?

Artenschutzkonferenz: Achim Steiner, der Generaldirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, ruft die Industriestaaten dazu auf, Entwicklungsländer für den Erhalt der Artenvielfalt zu kompensieren.

Achim Steiner, der Generaldirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, ruft die Industriestaaten dazu auf, Entwicklungsländer für den Erhalt der Artenvielfalt zu kompensieren.

(Foto: Foto: Reuters)

Steiner: Die Bereitschaft der Vertragsstaaten hat nicht ausgereicht, das Artensterben zu verringern. Die Konvention ist zwar nicht gescheitert, aber die Geschwindigkeit des politischen Handelns steht in keinem Verhältnis zu der Rate, mit der wir natürliche Ressourcen verlieren. Dafür zahlen wir einen hohen Preis, denn wir können den Verlust einer Art nicht rückgängig machen.

sueddeutsche.de: Wie betrifft es denn Menschen in Deutschland, wenn irgendwo in einem Regenwald eine Froschart ausstirbt?

Steiner: Auf den ersten Blick mag die einzelne Froschart nicht als etwas Nutzbringendes erscheinen. Aber wir brauchen jede einzelne Froschart, weil unsere Ökosysteme nur wegen der Artenvielfalt funktionieren. Und diese Ökosysteme brauchen wir, weil wir ihre Dienstleistungen - fruchtbare Böden, saubere Luft, Wasser - täglich konsumieren.

sueddeutsche.de: Dieser Zusammenhang mag schwer zu begreifen sein.

Steiner: Stimmt. Aber jene Menschen, die heute mit Medikamenten behandelt werden, die aus der Natur stammen, werden sehr wohl sofort einen Zusammenhang herstellen können. Stirbt eine Art aus, geht mit ihr vielleicht ein Wirkstoff für ein Medikament für bisher unheilbare Krankheiten verloren. Durch das massive Artensterben verlieren wir schon jetzt Kapital, von dem wir morgen erst lernen, wie wir es nutzen können.

sueddeutsche.de: Erkennt die Politik die Brisanz dieses Problems nicht?

Steiner: Sie tut sich schwer damit, und oft fehlt einfach auch der politische Wille zum Artenschutz. Tagespolitische Handlungszwänge sind nur schwer mit generationsübergreifendem Denken in Einklang zu bringen. Artenschutz heute eine Priorität einzuräumen, erfordert von Politikern viel Mut.

sueddeutsche.de: Warum steht der Artenschutz so tief unten auf der politischen Agenda?

Steiner: Unsere Gesellschaft setzt ihre Prioritäten großteils nach wirtschaftlichen Kriterien. Daher ist es problematisch, wenn man den Verlust von Arten nicht in einem ökonomischen Zusammenhang darstellen kann. Diesen Weitblick hatte man lange Zeit nicht. Nun haben wir aber viel eher vor Augen, dass der Artenschutz nicht nur eine Option, sondern zunehmend eine Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung ist.

sueddeutsche.de: Die Weltwirtschaft wächst aber trotz des sich beschleunigenden Artensterbens weiter stabil an.

Steiner: Das ist kein Widerspruch, sondern geradezu der Beleg dafür, dass bisher einiges schiefgelaufen ist. Man kann entweder nachhaltig wirtschaften und einen Teil seines Einkommens in den Erhalt der produktiven Faktoren investieren, oder man betreibt das, was man in einem Bergwerk tut: Man schlachtet es aus, nutzt es, bis es zu Ende ist. Dies rechnet sich eine Zeitlang, aber heute wird immer deutlicher, dass wir uns diesen Raubbau an der Natur auch volkswirtschaftlich nicht mehr leisten können.

sueddeutsche.de: Würde der Anreiz zum Artenschutz erhöht, wenn natürliche Ressourcen einen wirtschaftlichen Wert hätten?

Steiner: Ich bin davon überzeugt, denn momentan bringt ein Öltankerunfall aus volkswirtschaftlicher Sicht paradoxerweise einen Wachstumsimpuls. Das Geld, das man ausgibt, um den Ölfleck zu beseitigen, kurbelt die Wirtschaft an. Ein solches Unglück rechnet sich nur deshalb, weil wir es bisher nicht geschafft haben, den damit verbundenen Verlust an natürlichen Ressourcen gegenzurechnen.

Lesen Sie auf der folgenden Seite, wozu Achim Steiner die Industrieländern vor der Artenschutzkonferenz in Bonn auffordert und was passiert, wenn sie diese Erwartung nicht erfüllen.

sueddeutsche.de: Was erwarten Sie also von den Vertragsstaaten bei der Artenschutzkonferenz?

Achim Steiner Unep dpa

Achim Steiner, Generaldirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen: "Leider zögern viele Länder und verstecken sich hinter anderen, die noch zögerlicher sind. Doch das kostet uns heute viel Zeit und in Zukunft noch sehr viel mehr Geld."

(Foto: Foto: dpa)

Steiner: Es muss uns gelingen, den Artenschutz ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu bringen. Und wir müssen in Bonn das Interesse am gemeinsamen Handeln zwischen Nord und Süd neu beleben.

sueddeutsche.de: Bei Letzterem zeichnet sich ein Konflikt zwischen den Industriestaaten und Entwicklungsländern ab.

Steiner: Die Spannungselemente sind in der Tat vorhanden. Es geht hier um die Frage, ob wir eine internationale Umweltschutzpolitik entwickeln können, die nicht nur zum Vorteil der Industriestaaten ist. Die Entwicklungsländer stehen der derzeitigen globalen Umweltpolitik ja nicht ohne Grund skeptisch gegenüber. In den vergangenen 15 Jahren sind sie viele internationale Verpflichtungen für den Umweltschutz eingegangen, haben aber im Gegenzug nicht die Unterstützung erfahren, die ihnen von den Industrieländern versprochen wurde. Die finanziellen Mittel, die bereitgestellt wurden, sind sogar zurückgegangen.

sueddeutsche.de: Welche Lösung schlagen Sie vor?

Steiner: Die Industrieländer müssen dazu bereit sein, den ökonomischen Vorteil, den sie aus dem Erhalt der Artenvielfalt ziehen, mit den Entwicklungsländern zu teilen. Wenn ein Pharmaunternehmen genetisches Material aus einem Land entnimmt und es patentiert, muss es das Ursprungsland am Gewinn teilhaben lassen. Sonst wird ein Entwicklungsland ja gerade dazu verführt, sich erst einmal mit dem Export von Tierarten oder der Abholzung von Urwäldern einen Zugang zu Einkommen zu verschaffen.

sueddeutsche.de: Und was, wenn die Industriestaaten nicht dazu bereit sind, die Entwicklungsländer für den Erhalt des Artenreichtums angemessen zu kompensieren?

Steiner: Dann verlieren sie den Anspruch, sich kritisch gegenüber Entwicklungsländern zu äußern, die nicht dazu bereit sind, Dinge zu unterlassen, die jedes Industrieland jahrzehntelang getan hat - nämlich Wälder zu roden, Feuchtgebiete trocken zu legen, Arten zu verlieren. In den Industriestaaten muss sich das Bewusstsein durchsetzen, dass der eigene Wohlstand nicht mehr davon zu trennen ist, was in den Entwicklungsländern passiert.

sueddeutsche.de: Halten Sie das für realistisch?

Steiner: Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber was wäre die Alternative? Ökologischer Kollaps ist keine Schwarzmalerei, sondern es besteht ein wissenschaftlich belegter Zwang zum Handeln. Leider zögern viele Länder und verstecken sich hinter anderen, die noch zögerlicher sind. Doch das kostet uns heute viel Zeit und in Zukunft noch sehr viel mehr Geld. Wir müssen schon heute in nachhaltigere Wirtschaftskreisläufe investieren, die es uns ermöglichen, die Artenvielfalt zu erhalten. Nur der Preis des Nicht-Handelns ist auf Dauer unbezahlbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: