Artenschutz:Schieß mich tot

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Eigentlich sollen Sender wie dieser am Hals einer Löwin in Kenia Arten schützen. Doch die Signale können Kriminelle anlocken. (Foto: Martin Moxter/mauritius images)
  • Naturschützer berichten davon, dass Wilderer und Jäger die Daten aus GPS-Sensoren auslesen, um Tiere aufzuspüren.
  • Eigentlich dienen die Geräte dem Schutz der Tiere. Doch die Informationen können missbraucht werden.
  • Forscher arbeiten an neuen Sicherheitsvorkehrungen, damit die Funksignale nicht in die falschen Hände geraten.

Von Hanno Charisius

Raubkatzen, Eisbären, Vögel, See-Elefanten, Fische: Hunderte Tierarten statten Biologen mit Sendern aus, um deren Verhalten und Wanderwege zu studieren. GPS-Chips zählen heute zum Standardwerkzeug von Verhaltensforschern und ermöglichen erstaunliche Einblicke ins Tierreich. So flog auf, dass die angeblich so treuen Störche ihre Partner bei Gelegenheit durchaus betrügen. Doch die Ortungstechnik hat lebensgefährliche Nachteile: Sie wirkt, als hätte man den Tieren Zielscheiben aufgemalt, die auch Wilderer aus größter Distanz noch sehen können. Technisch versierte Jäger brauchen nur auf ihr Mobiltelefon zu blicken, um zu wissen, wo sich ihre Beute versteckt.

Artenschützer reden nicht gerne darüber, wie häufig ihre wissenschaftlichen Daten bereits in falsche Hände gerieten, doch es gibt erschreckende Beispiele. Im September 2013 versuchten Hacker einen E-Mail-Account zu knacken, in den die Positionsdaten des GPS-Halsbands eines Bengal-Tigers einflossen. Die digitalen Eindringlinge wurden zwar abgewehrt, doch machte es die Gefahren von Ortungsdaten deutlich. Der kanadische Ökologe Steven Cooke warnt bereits seit Jahren vor der dunklen Seite des Tier-Trackings und hat zusammen mit Kollegen im Fachblatt Conservation Biology Forscher erneut aufgefordert, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Wer das nicht tue, gefährde jene Lebewesen, die er eigentlich schützen wolle.

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Cooke sieht nicht nur in Wilderern eine Bedrohung. Auch Touristen auf Fotosafari könnten zum Problem werden, wenn sie mit GPS-Ausrüstung auf Motivjagd gehen. In afrikanischen Nationalparks benutzen Touristenführer die Ortungssignale, um ihren Kunden zuverlässig Begegnungen mit Großwild zu bieten. In kanadischen Nationalparks dürfen Privatpersonen seit dem vergangenen Jahr keine Antennen mehr benutzen, mit denen sich besenderte Tiere aufspüren lassen. Die Belästigung von Wildtieren werde nicht länger geduldet, heißt es in einer Mitteilung.

Einheitliche Standards zum Schutz der Bewegungsdaten von Tieren gibt es bislang nicht

Auch Daniel Piechowski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell kennt das Problem. Von ausländischen Kollegen besenderte Gänse wurden über Russland vermutlich gezielt von Jägern abgeschossen. Die Datenspur der Zugvögel war nahezu in Echtzeit für jedermann im Internet zu sehen. Leichte Beute für Schützen, die nicht die Geduld haben, sich stundenlang auf die Lauer zu legen.

"Die Technik wird gerade sehr populär", sagt Piechowski, der eine umfangreiche Datensammlung namens Movebank verwaltet, in die Forscher aus allen Erdteilen Positionsangaben von Tieren einspeisen können. Zurzeit erfasst die Datenbank Bewegungsmuster von etwa 850 Spezies. Wenn die Wissenschaftler die Software entsprechend einstellen, kann man die Bewegungen der Tiere in Echtzeit von jedem Ort der Welt aus beobachten. Allerdings sind gut zwei Drittel der Daten nicht für Außenstehende zugänglich. Diese Forscher benutzen vor allem die Analysewerkzeuge der Movebank für die Auswertung ihrer eigenen Rohdaten. Die liegen vor Hackerangriffen gut geschützt in einem Rechenzentrum, und nicht "irgendwo auf eine Festplatte im Keller unseres Instituts", erklärt Piechowski. Mit der nötigen kriminellen Energie käme man sicherlich an die Daten von geschützten und bei Wilderern begehrten Arten heran, doch sei der Aufwand groß, "da bin ich relativ gelassen".

Zwei einfache Wege gibt es, um die Tiere vor dem Zugriff Krimineller zu schützen und dennoch ihre Bewegungsdaten zu veröffentlichen. Man kann die Signale zeitversetzt freischalten. Den ziehenden Gänsen über Russland hätte das vielleicht das Leben gerettet. Bei Tieren, die in ihrem Revier bleiben, lässt sich der Standort durch einen Ungenauigkeitsfilter verschleiern. Im September organisiert das Max-Planck-Institut in Konstanz eine Konferenz zum Datensammeln im Tierreich. Dort werde es auch darum gehen, Standards zu setzen, sagt Piechowski. Wie groß dürfen die Sender sein? Wie werden die Daten geschützt?

Die Max-Planck-Forscher entwickeln derzeit ein neues Überwachungssystem für Tiere namens Icarus. Eine Antenne an der Internationalen Raumstation soll dabei Bewegungen auf der Erdoberfläche verfolgen. Das System wird riesige Datenmengen produzieren, die laut Piechowski gesichert übertragen werden. "Die Sicherheit war von Anfang an Teil des Konzepts, die Daten kann man nicht einfach mitlesen." Bei älteren Systemen sei es hingegen nicht auszuschließen, dass jemand die Signale abgreift und missbraucht.

Hobbyangler freuen sich dank GPS auf fette Beute

Doch manchmal nützt es womöglich nichts, die Bewegungsdaten noch so gut zu verstecken. Im US-Bundesstaat Minnesota fordern Angler in einer Petition, die Aufenthaltsorte von besenderten Hechten in den Flüssen in Echtzeit zu veröffentlichen. Schließlich sei die Forschung mit Steuergeld bezahlt worden, da sollten die Ergebnisse frei zugänglich sein. Die Hobbyangler seien mit ihrem Anliegen zwar gescheitert, berichtet der Ökologe Steven Cooke, doch mache der Fall klar, welche Ansprüche manche Interessengruppen hegen. In Australien hätten sogar Behörden die Funksignale von zu wissenschaftlichen Zwecken mit Sendern ausgestatteten Haien benutzt, um die Fische aufzuspüren und töten zu lassen.

Unter Umständen können am Tier befestigte Sender aber auch abschreckend auf Wilderer wirken. Darauf setzen die Macher der Waldrapp-App, einer Handy-Software, die Echtzeitbewegungsdaten aus der Movebank bezieht. Mit der App kann jeder Nutzer die großen Vögel mit den kahlen Köpfen und dem auffälligen roten Schnabel verfolgen, die öffentliche Anteilnahme soll Wilderer abschrecken. Im vergangenen Jahr hat ein italienisches Gericht einen Mann zu einer Geldstrafe verurteilt, der zwei Waldrappe abgeschossen hatte. Durch die Sender im Gefieder war er schnell überführt worden.

Für Geier in Afrika hat dieser erhoffte Schutzeffekt allerdings eine heimtückische Nebenwirkung: Sehen Wildhüter Geier über einer Stelle kreisen, an der sie aufgrund eines GPS-Signals einen Elefanten vermuten, ist das für sie ein Alarmsignal: Hier wurde womöglich ein Dickhäuter getötet. Um sich die verräterischen Vögel und somit die Ranger vom Hals zu halten, vergiften Wilderer neuerdings die Kadaver. Das gibt ihnen genügend Zeit, die begehrten Stoßzähne abzusägen.

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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