Artenschutz:Inventur des Lebens

Artenschutz: Erst vor kurzem wurde erkannt, dass es vier Arten von Giraffen gibt, die sich genetisch stark unterscheiden.

Erst vor kurzem wurde erkannt, dass es vier Arten von Giraffen gibt, die sich genetisch stark unterscheiden.

(Foto: DIBYANGSHU SARKAR/AFP)

Von der Giraffe bis zum Schleimpilz: Biologen wollen eine allgemein gültige Liste aller Lebewesen erstellen. Eine Herausforderung.

Von Tina Baier

Hundert Arten verschwinden Schätzungen zufolge jeden Tag von der Erde. Anders gesagt: Alle 14,4 Minuten stirbt eine Spezies aus. Die meisten sind weg, bevor sie überhaupt entdeckt wurden. Wahrscheinlich entsprechen die gut 1,7 Millionen Arten, die bekannt sind, nur zehn, maximal 20 Prozent aller tatsächlich existierenden Organismen.

Für den Artenschutz ist das ein großes Problem. Lebewesen, die man nicht kennt, kann man auch kaum schützen. Nicht gerade einfacher wird es dadurch, dass bei der Kategorisierung der bisher bekannten Spezies großes Durcheinander herrscht. Ein internationales Forscherteam schlägt deshalb jetzt im Wissenschaftsjournal Plos Biology vor, eine allgemein anerkannte Liste aller bisher bekannten Lebewesen aufzustellen. Von Säugetieren und Vögeln über Pflanzen und Pilze bis hin zu den Mikroben sollen dort alle erfasst werden.

"Das klingt wie eine Routinearbeit, ist aber eine schwierige und komplexe Angelegenheit", sagt Stephen Garnett von der australischen Charles Darwin University, der die Studie geleitet hat. Momentan gibt es von vielen Organismen-Gruppen nämlich gar keine Aufstellung. Von anderen, etwa den Säugetieren, existieren mehrere, die sich zum Teil widersprechen. Ein Extrembeispiel sind die Vögel, von denen mindestens vier globale Aufstellungen in Umlauf sind.

Die Schwierigkeiten beginnen schon bei der Diskussion, was denn überhaupt eine "Art" ist

Bevor das alles in eine einzige, anerkannte Liste zusammengeführt werden kann, dürfte es heftige Auseinandersetzungen geben - ähnlich denen, die geführt wurden, bevor entschieden wurde, dass Pluto doch kein Planet ist. Die Schwierigkeiten beginnen schon damit, dass gar nicht ganz klar ist, was eigentlich eine "Art" ist. Dafür gibt es verschiedene Definitionen. Aus biologischer Sicht besteht eine Art aus Gruppen von Lebewesen, die sich untereinander fortpflanzen. Doch nicht alle Organismen passen in dieses Schema. Zum Beispiel können sich die Weibchen mancher Blattläuse, Wasserflöhe, Fische, Eidechsen und Schnecken durch sogenannte Parthenogenese fortpflanzen, bei der die Nachkommen aus einer unbefruchteten Eizelle entstehen und Klone der Mutter sind.

Dazu kommt, dass es selbst für Experten nicht ganz einfach ist, herauszufinden, zu welcher Art ein bestimmtes Lebewesen gehört. In Tests konnten geübte Taxonomen verschiedene Arten von Stichlingen mit einer Genauigkeit von bis zu 95 Prozent bestimmen; bei verschiedenen Phytoplankton-Spezies sank die Treffsicherheit auf 72 Prozent. Selbst bei so großen und auffälligen Tieren wie Giraffen ist die Unterscheidung nicht so trivial, wie man meinen könnte. Erst kürzlich hat man herausgefunden, dass es nicht nur eine Giraffenart gibt, sondern mindestens vier. Die genetischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Spezies sind dabei genauso groß wie die zwischen Braunbär und Eisbär.

In der aktuellen Studie haben die Autoren eine Art Wegweiser erarbeitet, wie es trotz all dieser Schwierigkeiten gelingen kann, eine universelle Liste aller Lebewesen aufzustellen. Unter anderem sollte die Aufstellung auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Ansonsten wird die Sortierung des Lebens auf der Erde so willkürlich wie die Tierkategorien, die sich der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges einmal ausgedacht hat: "dem Kaiser gehörige, einbalsamierte, gezähmte, Milchschweine, Sirenen, Fabeltiere, streunende Hunde, in diese Einteilung aufgenommene, die sich wie toll gebärden, unzählbare, mit feinstem Kamelhaarpinsel gezeichnete, und so weiter, die den Wasserkrug zerbrochen haben, die von weitem wie Fliegen aussehen".

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