Artenschutz:Keine Gnade für Wilderer

Antiwilderer Projekt Chitwan National Park Nepal

Badestunde im Fluss im Chitwan-Nationalpark. Maßnahmen wie ständige Patrouillen sollen Wilderer an der Jagd auf Tiere hindern.

(Foto: Frank Schultze / ZEITENSPIEGEL)

In Nepal schützen Ranger bedrohte Arten wie das Panzernashorn mit allen Mitteln. Wilderer dürfen einfach erschossen werden.

Reportage von natur-Autorin Veronika Wulf, Chitwan

Im Totenschädel des Panzernashorns klafft ein Loch, genau dort, wo einst das Horn saß. "Das war ein Wilderer", sagt Mahendra Chaudhary, Touristenführer im Nationalpark Chitwan. Er steht im Artenschutzmuseum zwischen Glaskästen, in denen Nashorn- und Tigerföten, Krokodile und Pythons konserviert werden. "Mit einem Schuss in den After hat er das Nashorn getötet. Das machen Wilderer häufig, weil Gewehrkugeln in der fingerdicken Lederhaut steckenbleiben können." Einen halben Meter lang ist der Schädel, den Ranger vor vier Jahren gefunden haben, leider erst, nachdem der Wilderer mit dem Horn längst über alle Berge war. Meist schlagen sie nachts zu, und oft lässt sich das Opfer erst aufspüren, wenn Geier über ihm kreisen. Getötete Tiger sind noch schwieriger zu orten, weil die Täter alle Teile des Tieres mitnehmen: Knochen als traditionelle Medizin, Fell als Wandschmuck, Fleisch als Mahlzeit.

Erwischt werden Wilderer allenfalls, weil sie verpfiffen werden, oder wenn sie eine Trophäe wie ein Horn bei sich tragen oder mit ihr handeln. "Damit ist Schluss", sagt Chaudhary. "Vergangenes Jahr ist kein einziges Nashorn gewildert worden." In seiner Stimme klingt Stolz mit, den man in Nepal häufig hört, wenn vom "Zero Poaching Year", dem Null-Wilderei-Jahr, die Rede ist. Es ist das dritte innerhalb von fünf Jahren.

Der Chitwan-Nationalpark liegt in der fruchtbaren Terai-Ebene in Zentralnepal. Im Süden schließt Indien an, im Norden schimmern die Schneegipfel des Himalaya am Horizont. In sattem Grün bedeckt der Salbaum-Dschungel weite Teile des Parks; zwischen gestreiften Gräsern entdeckt man mit etwas Glück den grauen Rücken eines Nashorns. Im sonnigen Matsch des Narayani-Flusses ruhen, wie leblos, Gangesgaviale, eine Krokodilart. Auf einem Elefanten schaukeln französische Touristen durch das Unterholz, zu viert in einen quadratischen Holzstall gepfercht, bereit für das Komplettprogramm. "Nashörner!", ruft jemand in der Ferne. Der Mahout, der Elefantenführer, im Nacken des Elefanten sitzend, treibt das Tier an und lenkt es auf eine Lichtung. Vier Elefanten umrunden ein Nashorn mit seinem Baby, die Kameras der Touristen klicken. "Gib Wasser", ruft der Mahout beim anschließenden Bad im Fluss, und der Dickhäuter spritzt den Franzosen auf seinem Rücken das Wasser ins Gesicht. Am nächsten Tag geht es erst mit dem Kanu über den Fluss, dann mit dem Jeep durch den Dschungel zur Krokodilfarm, wo sie den Jungtieren beim Schlüpfen zuschauen.

Mit jährlich 150 000 Besuchern gehört der Nationalpark zu den größten Attraktionen Nepals. Der ­Tourismus ist einer der Hauptgründe, warum sich die Regierung so für den Naturschutz einsetzt. Immerhin ist er die zweitwichtigste Einnahmequelle des Landes, nach den Einnahmen der Wanderarbeiter in den Golfstaaten. Ohne den Tourismus könnte der Artenschutz nicht so konsequent verfolgt werden, ohne ­Artenschutz würden keine Touristen in den Park kommen. Seltene und bedrohte Wildtiere wie Panzernashörner, Königstiger und Gangesgaviale locken viele Besucher an.

Stolz zeigt sich auch Diwakar Chapagain, der sich im WWF-Büro von Kathmandu in seinem Sessel zurücklehnt und erzählen kann, dass die Umweltorganisation zu den wichtigsten Unterstützern der nepalesischen Schutzgebiete gehört. Chapagains Aufgabe ist es, die Wilderei einzudämmen - und seine Bilanz kann sich sehen lassen: Heute gibt es in Nepal so viele Tiger und Nashörner wie noch nie in den vergangenen 20 Jahren. Die Zahl der Königstiger hat sich mehr als verdoppelt, an die 200 gibt es heute. Die Population der Panzernashörner ist um fast 40 Prozent - auf 645 Tiere - gestiegen und somit nach der in ­Indien die zweitgrößte der Welt.

Diese Erfolgsbilanz wollen Nepals Naturschützer fortsetzen - und das um fast jeden Preis. "Die Natur hat oberste Priorität", sagt Chapagain. Menschen­leben seien zwar auch sehr wichtig, aber wenn sich Wilderer in die Parks einschleichen, sei es gerechtfertigt, hart durchzugreifen. Manche dieser Maßnahmen wären in Deutschland kaum zu vertreten. In Nepal, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört und immer noch unter den Erdbebenschäden vom Frühjahr 2015 leidet, hat man weniger Skrupel, sich tatkräftig und gelegentlich auch gewalttätig für den Artenschutz einzusetzen. Nicht aus reiner Tierliebe, sondern aus wirtschaftlicher Not: Die Regierung weiß um das touristische Potenzial der Weltkultur­erbe-Landschaft. Und auch die angesiedelte Bevölkerung verdient entweder direkt an den Reisenden oder bekommt vom Staat die Hälfte jeder Rupie, die der angrenzende Park durch Tourismus einnimmt.

Das strikte Vorgehen gegen Wilderei folgt einer Tradition des Landes, die auf der feudalen Herrschaft der Rana-Dynastie fußt. Ihr ist zu verdanken, dass es bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts noch 800 Panzernashörner gab. Die hohen Herren hatten die Wilderei in ihrem Königreich konsequent unterbunden - weil sie die Tiere selbst abschießen wollten. Das Terai-Tiefland war um die Jahrhundertwende ein weltberühmtes Jagdrevier für königliche Familien. Laut Aufzeichnungen erlegten die Royals bei einer einzigen Jagdparty 120 Tiger, 38 Nashörner, 27 Leoparden und 15 Bären. Doch weil nur eine kleine elitäre Minderheit an diesen Vergnügungsjagden teilnehmen durfte, konnten sich die Wildtier-Populationen jedes Mal ­erholen und die Bestände gingen kaum zurück.

Bis zu 40 000 US-Dollar lassen sich mit dem Horn eines Panzernashorns verdienen

Das änderte sich, als das Rana-Regime 1951 zusammenbrach. In der Folge blieben fast nur die Elefanten verschont, weil sie als heilig gelten. Dagegen wurden Wasserbüffel und Barasingha-Hirsche in Teilen des Terais ausgerottet. Am meisten hatten es die Wilderer auf Panzernashörner abgesehen: Bis zu 40 000 US-Dollar lassen sich mit ihrem Horn verdienen. In ­China und Teilen Vietnams glauben viele Menschen, dass sich mit Nashornpülverchen nicht nur Schmerzen lindern und Fieber senken ließe, sondern dass es sogar Krebs heilen und die Potenz steigern könne. 1966 blieben nur noch 100 Nashörner übrig, ein Achtel der Population, die noch gut 15 Jahre zuvor existierte. Deshalb gründete die nepalesische Regierung 1973 mit Chitwan den ersten Nationalpark und verabschiedete ein strenges Artenschutzgesetz.

Langsam vermehrten sich die Wildtiere wieder. Doch als Mitte der 90er Jahre ein Bürgerkrieg ausbrach, entwaffneten die maoistischen Rebellen einen Großteil der Wachposten in den Nationalparks. 38 Nashörner fielen daraufhin allein im Jahr 2002 im Chitwan-Park der Wilderei zum Opfer. Da Nepals Grenzen zu China und Indien über weite Strecken auf unwegsamem Gelände verlaufen und kaum zu ­sichern sind, wurde das Land zur profitablen Quelle des illegalen Tierhandels. Das war die Ausgangs­situation im Jahr 2006.

Inzwischen gilt das Land als ein Vorreiter des internationalen Artenschutzes. Wie hat es das geschafft? Erstens: Der Kampf gegen die Wilderei wurde von der nepalesischen Regierung zur Chefsache erklärt. Das nationale Tierschutzkomitee untersteht heute direkt dem Premierminister, das Komitee zur Kontrolle von Wildtierkriminalität dem Naturschutzministerium. Die Regierung schaltete Polizei und Armee im Namen des Umweltschutzes ein, bildete sogenannte Zentrale Ermittlungsbüros gegen organisierte Kriminalität mit speziellen Anti-Wilderei-Einheiten, die international vernetzt sind.

Hinzu kam, dass sich die Gerichte nicht scheuten, das strenge Nationalpark- und Artenschutzgesetz von 1973 auch konsequent anzuwenden. In Paragraf 26 heißt es zum Beispiel: "Jeder, der illegal Tiger, Nashörner, Elefanten (...) tötet, verletzt (...) oder Trophäen besitzt, kauft oder verkauft, wird mit einer Geldstrafe von 50 000 bis 100 000 Rupien oder einer Haftstrafe von fünf bis 15 Jahren bestraft." 100 000 nepalesische Rupien entsprechen 820 Euro, bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von rund 680 Euro ein Haufen Geld. "Aber nur mit einer Geldstrafe kam bisher keiner davon", sagt Chapagain. "Die meisten bekommen 15 Jahre Gefängnis. Plus Geldstrafe." Zum Vergleich: Ein Mörder muss in ­Nepal maximal 20 Jahre hinter Gitter.

"Null-Toleranz-Strategie" nennen die Naturschützer das. Allein im vergangenen Jahr wurden rund 150 Wilderer und Händler festgenommen. Darunter ein dicker Fisch: Raj Kumar Praja, der über sechs Jahre hinweg 20 Nashörner erlegt hat. Ein Interpol-Team spürte ihn in Malaysia auf und lieferte ihn an Nepal aus. Er bekam die Höchststrafe. Mit ihm flog außerdem ein weitgespanntes Händlernetzwerk auf. Fast ein Fünftel der Fläche Nepals gehört zu Nationalparks, Wildreservaten und Naturschutzgebieten. Um die wird jetzt gekämpft.

Dass Wilderer nur noch unter Lebensgefahr in die Schutzgebiete eindringen können, liegt an einer Strategie, die unter dem Schlagwort "Präsenz vor Ort" firmiert. Tag und Nacht ­patrouillieren bewaffnete Soldaten, Ranger und Mitarbeiter durch die Nationalparks, auf Elefanten, Fahrrädern oder zu Fuß. Manche setzen Spürhunde ein, sogar Drohnen haben sie getestet. "Sobald sich eine Lücke zeigt, nutzen sie die Wilderer, schleichen sich ein und töten die Tiere", sagt Chapagain.

Aus diesem Grund unterstützt der WWF die Schutzgebiete mit rund 450 000 Euro im Jahr und Ausrüstung wie Regenjacken, Taschenlampen und Fahrrädern. Aber was macht ein Team, wenn es ­einem Wilderer begegnet? "Schießen", antwortet Chapagain prompt. Wie bitte? "Das nepalesische ­Gesetz erlaubt es, einen Wilderer innerhalb eines Nationalparks zu erschießen."

Paragraf 21.2 des Artenschutzgesetzes lässt keine Zweifel: "Wenn der Täter versucht, zu fliehen (...) oder wenn die Person, die die Festnahme durchführt, (...) keine Alternative hat, als auf den Gebrauch der Waffe zurückzugreifen, kann sie das Feuer eröffnen, wenn möglich unterhalb des Knies, und wenn der Täter (...) dabei stirbt, wird dies nicht als Straftat angesehen." In einer solchen Situation könne man eben nicht immer das Knie treffen, sagt Chapagain mit einem Achselzucken.

Mit mutmaßlichen Wilderern gehen die Ranger ruppig um

Wie viele Wilderer schon erschossen wurden, will er nicht sagen. Auch Parkmitarbeiter weichen der Frage aus. Zudem dürfen Journalisten die Patrouillen nicht ohne Weiteres begleiten. Ihre Sicherheit sei gefährdet, heißt es. Doch wahrscheinlicher ist, dass man keine Augenzeugen bei Schießereien möchte, schon gar keine Journalisten.

Im Zentrum des Parks liegt das Verwaltungs­gebäude, ein zweistöckiges Gebäude, umgeben von knorrigen Salbäumen. Im Erdgeschoss sitzt Abhinaya ­Pathak, der Assistent des Parkleiters, an einem überdimensionierten Konferenztisch. An der grün gestrichenen Wand ein ausgestopfter Tigerkopf. In seinem Büro im ersten Stock hängt eine Tafel mit seiner ­Erfolgsbilanz: Tote Nashörner: zehn, natürlicher Tod: zehn, Wilderei: null. "Wir hatten schwierige Zeiten während der Maoisten-Aufstände", sagt er. "Aber ­danach haben wir für den Erhalt jedes einzelnen Tieres im Park gekämpft."

Nebenan liegt das Armee-Headquarter, von doppeltem Stacheldraht abgeschottet. Als Journalisten haben wir keinen Zutritt. Es ist einer von 57 Posten, von denen die Patrouillen starten, Teams von mindestens fünf Männern, bewaffnet. Der Anführer trägt ein Smartphone mit einer App am Oberarm, die seine Standortdaten ständig automatisch übermittelt, per Klick auch Fotos und Anmerkungen. "Real Time SMART Patrolling" nennt sich das. Die Daten landen direkt auf dem Computer des Parkleiters. "In erster Linie ist das System dazu da, die Patrouillen zu überwachen", erklärt Pathak. Wie viele Kilometer haben sie zurückgelegt? Haben sie ihr Gebiet abgedeckt? Übermitteln sie Beobachtungen? Der Parkleiter überprüft alles persönlich. Stimmt etwas nicht, gibt es beim nächsten Postenbesuch Ärger.

Die App kostet 70 US-Dollar pro Mobiltelefon, plus monatliche Kosten von vier Dollar. Eine ganze Menge bei 57 Posten allein im Chitwan-Park, von denen je drei Patrouillen am Tag starten. Die Kosten zahlt der WWF. "Das klingt zwar nach viel Geld, aber es lohnt sich, weil die Mitarbeiter wissen, dass sie überwacht werden", sagt Chapagain. Wenn in ihrem Gebiet etwas passiere, seien sie dafür verantwortlich. "Es ist extra als Belohnungs- und Bestrafungssystem angelegt."

7000 Soldaten sind in den Schutzgebieten im Anti-Wilderei-Einsatz, dazu kommen allein im Chitwan-Park mehr als 200 Parkangestellte. "Aber die Jahre ohne Wilderei haben wir noch vielen anderen zu verdanken", betont Pathak. Da sind die Naturschutzorganisationen wie der WWF und die nepalesische ­Nationalstiftung für Naturschutz. Und da ist die ­lokale Bevölkerung, die in den Pufferzonen lebt. Wie Pfadfindergruppen patrouillieren mehrere 10 000 ­Jugendliche ehrenamtlich durch die Natur und klären die Dorfbewohner über Naturschutz auf. Einige an Schutzgebiete grenzende Wälder hat der Staat der ansässigen Bevölkerung zur Bewirtschaftung überlassen. Doch manche Anwohner nehmen das als ­Freifahrtschein, sich an der Natur zu bedienen und ohne Erlaubnis zu jagen. Teils für eigene Mahlzeiten, teils für Händler, die ihnen umgerechnet bis zu 2000 Euro für ein erlegtes Nashorn bieten. Davon könnten sie mehrere Jahre leben. Dagegen sind die 400 Euro, die der Gesetzgeber als Belohnung für die Anzeige ­eines Wilderers zahlt, weniger verlockend.

Hinter dem Nationalpark-Gebäude steht ein zweites Haus: unverputzter Beton, Stacheldraht. An der Pforte ein Schild: Kein Zutritt. Im Inneren: vier düstere Zellen mit vergitterten Fenstern und Holz­pritschen, ein Gefängnishof, Toiletten, schwarz und stinkend. Auf Holzbänken im Innenhof sitzen drei hagere, zerzauste Männer. Barfuß, in Decken gehüllt, starren sie vor sich hin. In einem Röhrenfernseher läuft ein Liebesfilm. "Die haben es gut hier", sagt Pathak. "Das Essen ist besser als in ihren Dörfern." Vom Nashornwilderer bis zum Dorfbewohner, der Gras im Nationalpark schnitt: alle landen zunächst in diesem Gefängnis. Was haben die drei verbrochen? "Sie haben Hirsche erlegt, um sie zu essen", sagt Pathak. Bewiesen ist das noch nicht. Sie sind seit drei Tagen hier.

Die Behörden haben 25 Tage Zeit, Indizien zu sammeln. So lange dürfen sie die mutmaßlichen Wilderer hier festhalten. Wenn es um Naturschutz geht, ­versteht Nepal keinen Spaß. Dann steht das Tierwohl an erster Stelle.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: