Artenschutz:Geheimmission Große Hufeisennase

In einer bayerischen Scheune leben die letzten Exemplare der Fledermausart. Niemals würden Tierschützer den Ort preisgeben.

Jakob Vicari

Jeder Schritt von Fledermausbetreuer Rudi Leitl wirbelt eine kleine Wolke aus grauem Staub auf. Diesen Staub gibt es nur hier. Es ist der zerfallene Kot der Großen Hufeisennase, der seltensten Fledermaus Deutschlands. Leitl steht auf dem Zwischenboden einer einsturzgefährdeten Scheune irgendwo in der Oberpfalz. Nur noch hier, im Gebälk ein paar Meter über seinem Kopf, werden noch Große Hufeisennasen geboren. Wenn man eines dieser seltenen Tiere sieht, dann hier.

Artenschutz: Wahrscheinlich leben nur noch 46 Große Hufeisennasen (Rhinolophus ferrumequinum) in Deutschland. Nicht zu verwechseln ist der größere Verwandte mit der Kleinen Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros), die durch die Diskussion um den Bau der Dresdner Waldschlößchenbrücke in die Schlagzeilen geriet.

Wahrscheinlich leben nur noch 46 Große Hufeisennasen (Rhinolophus ferrumequinum) in Deutschland. Nicht zu verwechseln ist der größere Verwandte mit der Kleinen Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros), die durch die Diskussion um den Bau der Dresdner Waldschlößchenbrücke in die Schlagzeilen geriet.

(Foto: Foto: Picture-Alliance)

Doch meist sieht man sie nicht. "Da hängt auch keine", ruft Leitl seinem Kollegen Georg Knipfer zu. Um die Stirn trägt er eine Lampe, an den Beinen eine zerschlissene Abenteurer-Hose. Leitl hat sein Leben dem Fledermausschutz verschrieben und besonders dem der letzten Großen Hufeisennasen.

Die Hälfte der vom Aussterben bedrohten Säugetierarten in Deutschland sind Fledermäuse. Die Große Hufeisennase ist die seltenste von ihnen. 46 Tiere haben Leitl und seine Mitstreiter diesen Winter in den Höhlen der Umgebung gezählt. Damit ist es wahrscheinlicher in Deutschland einem Zoo-Elefanten zu begegnen als einer Großen Hufeisennase.

Die Fledermaus teilt ihr Schicksal mit dem Alpensalamander, der Kornweihe, der Würfelnatter und der Flussperlmuschel. Es sind alles Arten, die so selten sind, dass es keine Kampagnen für sie gibt, um sie nicht zu gefährden. Ihre Vorkommen werden nicht in Reiseführern erwähnt. Ein kleines Unglück reicht, um ihre letzten deutschen Vorkommen auszulöschen. Ihr Überleben hängt ganz entscheidend vom Zufall ab.

Als Kämpfer für eine so seltene Art muss man wahrscheinlich Optimist sein. Leitl und Knipfer sind Optimisten. Aus ihrem Blickwinkel betrachtet sind 46 Fledermäuse ein gutes Ergebnis. Es ist das beste Ergebnis seit die Zählung der Großen Hufeisennasen 1983 begonnen hat. Und 46 sind fast viermal so viele Große Hufeisennasen wie die damals gezählten zwölf.

"Die letzten sind auch die fittesten", sagt Leitl und verweist auf Charles Darwins Theorie vom "survival of the fittest". Wer überlebt, ist stark und hat sich durchgesetzt. Pessimistisch gesehen sind aber auch 46 fitte Hufeisennasen zu wenige, um dauerhaft in Deutschland zu überleben.

Niemand weiß, ob die genetische Vielfalt einer so kleinen Population ausreicht. Um höchstens zwei bis drei Große Hufeisennasen wächst die Population jedes Jahr. Auf Zuzug können die Fledermausschützer nicht hoffen. Große Hufeisennasen fliegen normalerweise nicht weiter als 30Kilometer. Ihre kurzen Flügel sind für die langsame, wendige Jagd am Waldsaum perfekt. Für Langstreckenflüge sind sie dagegen ungeeignet. So sind die deutschen Großen Hufeisennasen isoliert von den Vorkommen in Luxemburg und der Schweiz.

Glücksfall Truppenübungsplatz

Doch statt über mögliche Unglücke zu sprechen, zeigt Leitl lieber die Eichenkeile, mit der die Risse im Haus stabilisiert werden. Denn das Quartier der Hufeisennasen kippt nach rechts. Nur wenige Menschen wären so stolz, über ein Abbruch-Haus zu wachen, wie Leitl und Knipfer. Doch die letzten Großen Hufeisennasen überlebten nicht in einem Schloss oder wenigstens einem Kirchturm, sondern eben in dieser baufälligen Scheune.

Die Scheune ist so unscheinbar, dass die Fledermausschützer sie jahrelang übersehen haben, als sie nach den Hufeisennasen suchten. Dabei steht das Gebäude mitten im Dorf. Erst nachdem sie Fledermäuse mit Sendern bestückt hatten, fanden sie unter dem Dach den letzten Zufluchtsort der Großen Hufeisennase. "Jetzt sieht man sofort, wie ideal es ist", sagt Leitl. Das Haus hat große Einflugöffnungen und einen geräumigen Dachboden. Während es unter dem Dach warm ist, ist es im Keller feucht und kühl. "Im Sommer können das 40 Grad Unterschied sein", sagt Leitl.

Es gibt am Haus keinen Hinweis auf seine exklusiven Bewohner. Der Schutz der Großen Hufeisennase findet weitgehend im Verborgenen statt. Die von ihnen geretteten Fledermäuse können Leitl und Knipfer niemandem zeigen. Denn der Reiz des Seltenen übt auf manchen Hobby-Naturfotografen eine bedrohliche Faszination aus.

Es ist kein Zufall, dass sich die Große Hufeisennase hier gehalten hat. Hinter dem Quartier erstreckt sich ein Truppenübungsplatz. Dort, in den von Pestiziden unberührten Flächen, liegen die Jagdgründe der Großen Hufeisennase. Ausgerechnet dort, wo die Wehrmacht den Vernichtungskrieg und die Alliierten den Kalten Krieg übten, hat die Große Hufeisennase überlebt. Heute schützen Bundesforst und Streitkräfte die Große Hufeisennasen auf dem Übungsplatz.

Unter dem Dach liegt frischer Kot, ein sicheres Zeichen, dass eine Hufeisennase vor kurzem noch hier war. Die beiden Fledermausschützer knien im Halbdunkel und sammeln ihn Körnchen für Körnchen in eine Filmdose. Er wird später analysiert, um mehr über die Ernährung der Fledermäuse herauszufinden. Wenn sie wissen, welche Insekten die Fledermaus frisst, können sie auch ihre Nahrungsinsekten schützen.

Seit kurzem ist das Quartier der Hufeisennasen im Besitz der Gemeinde, angekauft mit Fördergeldern der Bundesstiftung Naturschutz. Und selbst im Rathaus steht eine Dachluke für die Hufeisennasen offen.

Im grauen Staub vor dem Fenster der Scheune liegen zwei bunte Schmetterlingsflügel. "Die sehen frisch aus", sagt Knipfer. Er ist sich sicher, hier hat vor kurzem eine Fledermaus gespeist. Doch sie ist weitergeflogen. Heute sehen Leitl und Knipfer nichts außer den frischen Kot der schon bald zum seltenen Hufeisen-Staub zerfällt.

Geheimmission Große Hufeisennase

Auf der nächsten Seite: Flucht auf die Insel - Die letzte stabile Population der Kornweihe brütet in den Dünen Norderneys

Artenschutz: Die Kornweihen (Circus cyaneus) sind Bodenbrüter, daher sind ihre Jungen besonders von Fressfeinden bedroht.

Die Kornweihen (Circus cyaneus) sind Bodenbrüter, daher sind ihre Jungen besonders von Fressfeinden bedroht.

(Foto: Foto: oh)

Geheimmission Große Hufeisennase

Flucht auf die Insel

"Pi-äh" klingt der Ruf über die Dünen, wobei sich das "äh" lang streckt und klagend klingt. Es ist der seltene Ruf der Kornweihe. Hier, auf der Insel Norderney, mitten in der Dünenlandschaft käme niemand auf die Idee, dass die Kornweihe selten ist. Gerade hat Peter Südbeck, der Leiter des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer sein Fahrrad am Weg abgestellt, da kreisen schon zwei der Greifvögel tief über den Dünen.

Die Kornweihe gehört zu den Tieren, die sofort erkennt, wer eine Beschreibung gelesen hat. Das braune Weibchen trägt einen deutlichen weißen Fleck am Schwanz. Das Männchen ist graublau und hat schwarze Flügelspitzen.

"Da vorne ist noch ein Weibchen", sagt Südbeck. Norderney ist Kornweihenland. Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Kornweihen als hier. In den feuchten Dünentälern und am Südstrandpolder Norderneys brüten jedes Jahr fünf Kornweihen-Paare. Es geht einer Vogelart schlecht, wenn fünf Nester als größter Bestand gelten. Nur 60 Brutpaare gab es im vergangenen Jahr in Deutschland, vier von fünf brüteten im Nationalpark Wattenmeer.

Eigentlich ist die Kornweihe ein Heidevogel, der in Deutschland einst weit verbreitet war. Erst in den 60er Jahren, als ihre Lebensräume auf dem Festland vernichtet wurden, suchte sie Zuflucht im Wattenmeer. Auf den Inseln fand sie ausreichende Nahrung und idealen Lebensraum.

Bisher werden die Kornweihen nicht eigens geschützt. Doch das will Südbeck ändern. Südbeck, Mitte 40 und seit zwei Jahren Leiter des Nationalparks, ist Ornithologe. Statt dass er sagt: "Naturschutz braucht einfach Akzeptanz", sagt er "Naturschutz braucht - dort ein Watvogel - einfach Akzeptanz." Und schon greift seine Hand nach dem schwarzen Feldstecher um seinen Hals. Wieder hat er eine Kornweihe entdeckt.

Der schlanke Greifvogel mit mehr als einem Meter Spannweite wirkt nicht so als müsste er Räuber fürchten. Doch die Natur hat es der Kornweihe nicht leicht gemacht. Denn sie brütet auf dem Boden. Selten zwei, meist nur ein Junges werden pro Brut flügge. Schon das ist eine schlechte Quote für einen bedrohten Vogel. Doch von den wenigen Jungen überleben 60 Prozent nicht ihr erstes Jahr. Schnell wurde die Kornweihe so zum seltensten Greifvogel Deutschlands.

Im Vergleich zur Kornweihe sind selbst die vom Aussterben bedrohten Seeadler häufig. "Der deutsche Bestand ist weitestgehend zusammengebrochen", schreibt das Bundesamt für Naturschutz. Und das, obwohl früh mit dem Schutz begonnen wurde. Auch die Kornweihenbestände Europas gehen zurück. In Mitteleuropa gibt es noch höchstens 260 Brutpaare, Tendenz stark fallend. Seit einigen Jahren sind nur die Bestände auf den ostfriesischen Inseln gegen den Trend stabil.

Doch gerade haben Wissenschaftler einen deutlichen Rückgang der Kornweihen auf den benachbarten niederländischen Nordseeinseln festgestellt. Woran es liegt ist unklar. Eine Erklärung könnten eingeschleppte Räuber sein. Die fehlenden Füchse haben die Inseln für die Kornweihen attraktiv gemacht. Doch Frettchen, Igel und Wanderratte haben sich auf Norderney ausgebreitet. Die Räuber sind vermutlich in Reisigbündeln gekommen, die für den Küstenschutz auf die Inseln transportiert werden. Die eingeschleppten Frettchen jagen nach Nestern der eingewanderten Kornweihen. Beide kamen ursprünglich nicht auf Norderney vor. Jetzt sollen die Frettchen gejagt werden. "Das ist immer eine Abwägungssache", sagt Südbeck, der die Natur am liebsten laufen lässt.

Schutz für den Golfplatz

Ursprünglich waren die Inseln für Bodenbrüter sicherer als das Festland. "Inzwischen ist das eher umgekehrt", sagt Hartmut Andretzke. Er ist der Spezialist für die Kornweihe. Der Biologe hat die Schäden der Räuber gerade erhoben. Er hat den Bruterfolg der Säbelschnäbler auf der Insel untersucht. Säbelschnäbler sind wie die Kornweihe Bodenbrüter. Nur greifen sie nicht an, wenn sich ein Mensch dem Nest nähert.

Ein Schild am Wegesrand warnt vor umherfliegenden Gegenständen. Der Golfplatz beginnt nur einen Hügel weiter. Er ist älter als der Nationalpark, deshalb genießt er Bestandsschutz. Noch hat er neun Löcher. Doch eine der letzten deutschen Kornweihen kreist womöglich über den nächsten neun. Entsprechende Pläne gibt es schon. Andretzke steht auf dem Hügel und zeigt mit seinem Finger über das Gebiet. "Würde ich Golf spielen fände ich das hier auch toll", sagt er mit leichter Bitterkeit. Links neben dem Golfplatz erstreckt sich reine Naturlandschaft.

Die beiden Männer auf der Düne wollen die Kornweihe schützen. Während Andretzke kompromissloser Naturschützer geblieben ist, hat Südbeck in der Nationalparkverwaltung Diplomatie gelernt. "Es gibt seit 200 Jahren Tourismus auf Norderney, aber erst seit 20 Jahren den Nationalpark", sagt Südbeck. Er will gemeinsame Lösungen finden.

Der Nationalpark hat die Kornweihe zur Symbolart für die Insel Norderney erhoben. Das erste Nest dieses Jahr haben die Vogelzähler schon ausgemacht. Bald werden die Mitarbeiter des Nationalparks losziehen und die jungen Weihen beringen. Der Schutz der Kornweihen steht am Anfang. Noch weiß man sehr wenig über den seltensten Greifvogel Deutschlands.

Über das Überleben der Letzten einer Art entscheiden oft kleine Schritte. Ob im Nationalpark, im Mini-Schutzgebiet oder mitten im Dorf: Der Schutz einer Scheune verhindert vielleicht das Aussterben der Großen Hufeisennase, ein Stück Blech an der Bundesstraße den Tod der letzten Würfelnattern, weniger Frettchen den Tod der letzten Kornweihen. Ihr Schutz bringt keine Wählerstimmen, keine Arbeitsplätze und keine zusätzlichen Touristen. Und trotzdem werden die Letzten geschützt. Der Delegation von der UN-Artenschutzkonferenz wird Südbeck die Kornweihe auf Norderney zeigen.

Auf dem nächsten Hügel schwebt ein Kornweihen-Männchen herab und begattet ein Weibchen. Doch allein aus eigener Kraft werden sich die Kornweihen nicht halten können.

Geheimmission Große Hufeisennase

Artenschutz: Beißt nicht, aber stinkt: die seltene Würfelnatter (Natrix tessellata).

Beißt nicht, aber stinkt: die seltene Würfelnatter (Natrix tessellata).

(Foto: Foto: AP)

Auf der nächsten Seite: Ufer der Wasserschlangen - An einem Abschnitt der Mosel überlebt ein rares Reptil

Geheimmission Große Hufeisennase

Ufer der Wasserschlangen

Sigrid Lenz ist einer der wenigen Menschen, die sich über die Begegnung mit einer Wasserschlange freut. Mit tastendem Schritt läuft sie am Ufer der Mosel entlang, den Kopf leicht gesenkt, um den Boden vor ihr abzusuchen. Sie hält Ausschau nach Würfelnattern, den wohl seltensten Schlangen Deutschlands. In der Roten Liste steht hinter "Würfelnatter" eine Eins, das heißt sie ist in Deutschland akut vom Aussterben bedroht.

"Beißfaul" nennen Schlangenforscher die bis zu einem Meter langen, ungiftigen Tiere, denn statt anzugreifen, sondert sie aus Stinkdrüsen ein übelriechendes Analsekret ab. Eine stinkende Wasserschlange ist so ziemlich das letzte, wofür Menschen Geld in die Spendendosen von Artenschützern werfen. Dennoch haben Sigrid Lenz und ihre Mitstreiter vor zehn Jahren Berge in Bewegung gesetzt, um die letzten Würfelnattern zu retten. Das Würfelnatter-Projekt zeigt, dass schon kleine Maßnahmen eine Art vor dem Aussterben bewahren können.

Auf einem ehemaligen Campingplatz an der Mosel wurden 5000 Kubikmeter Erde abgetragen um künstliche Würfelnatter-Buchten zu bauen, 2000 Tonnen Wasserbausteine wurden in den Fluss gekippt. Einige Betonplatten auf denen früher Wohnwagen standen, dienen jetzt den Würfelnattern als Sonnenplätze. Ohne die Maßnahmen wären die letzten deutschen Würfelnattern heute ausgestorben. Nahe dran waren sie bereits.

Als aus der Mosel eine Bundeswasserstraße wurde, betonierte man die Uferauen zu wie einen Kanal. Zwischen 1960 und 1964 wurden alle Uferbereiche zubetoniert, die davor für die Würfelnatter geeignet gewesen waren. Die Schlangen kamen nicht mehr in den Fluss. Ähnlich sah es an Lahn und Nahe aus, den anderen deutschen Flüssen, in denen noch Würfelnattern lebten. Die einstmals weit verbreitete Wasserschlange war nahezu verschwunden. Erst zehn Jahre später hat man die letzten Mosel-Würfelnattern an einem etwas mehr als einem Kilometer langen Uferstück im Unterlauf gefunden. Es waren noch höchstens 100.

Paradies mit Algengeruch

An diesem Ufer steht nun Sigrid Lenz. Es ist matschig und riecht nach Algen. Der schmale Streifen zwischen Uferstraße und dem trägen Fluss ist kein Ort, an den man leicht sein Herz verliert. "Ein Paradies", widerspricht Lenz und deutet auf die künstlichen Buchten, in denen Fische laichen. Kaum zwei Kilometer lang ist das Würfelnatter-Paradies. Es ist ein der winzigen Flächen, wie sie typisch ist für die über 5300 deutschen Naturschutzgebiete.

"Hier ist eine", ruft Lenz und lacht. In ihrer Hand schlängelt sich eine olivbraune Würfelnatter. Lenz erkennt sie sofort wieder. "Die hatte ich gestern schon", sagt sie. Sie deutet auf eine charakteristische Narbe am Schwanz. "Eine typische Motorbootverletzung," sagt sie und füllt einen Erfassungsbogen aus. Es riecht nach fauligem Fisch. Das ist der Geruch, den die Schlange absondert, wenn sie sich bedrängt fühlt. Dass die Nattern sich weiter ausbreiten, ist unwahrscheinlich. Geeignete Kiesauen gibt es an der Mosel sonst nirgends mehr.

Weil die Mosel Bundeswasserstraße ist, musste ein Wasserbauingenieur die Würfelnatter-Buchten planen. Im Gefolge der Nattern siedelten sich auch Eidechsen, Libellen und Käfer an. Auf den ersten Blick sieht das Ufer aus wie jeder andere Abschnitt auch. Die Schilder, die auf das Naturschutzgebiet hinweisen, sind nach dem Winter noch nicht aufgestellt. Der verwilderte Uferstreifen der Würfelnattern erinnert in nichts an ein Naturschutzgebiet aus dem Bilderbuch. "Das ist Absicht", sagt Lenz, "so ist es kein einladender Picknick-Platz." Denn wenn im Sommer unter jedem Schieferstein am Ufer junge Würfelnattern liegen, ist jeder Schritt eine Gefahr.

An der Straße hält ein schwarzer Geländewagen. "Da ist Naturschutzgebiet", ruft der Fahrer verärgert herüber. Er fährt weiter, bevor Lenz ihn mit ihrer Ausnahmegenehmigung erreicht hat. "Wir brauchen hier gar keine Ranger", sagt Lenz. Die Bevölkerung sei stolz auf ihre Würfelnattern, obwohl sie den Schlangen eigentlich nie begegne. "Die Älteren erzählen noch von den Würfelnattern im Wasser als sie schwimmen gelernt haben," sagt sie.

Das Würfelnatter-Projekt hatte einen langen Namen im Behördendeutsch. Der hat wenig mit der Würfelnatter zu tun, deutet aber darauf hin, dass Artenschützer in Deutschland sich nicht an Bäume ketten müssen, sondern Artenschutz ein bürokratischer Kampf ist.

Allein um den Abstand des Reptilienzauns an der Bundesstraße festzulegen, waren lange Verhandlungen nötig. Schließlich wurde der Zaun im Hang errichtet, fern des Zugriffs der Straßenverwaltung. Gerade zählt Lenz zum ersten Mal die Bestände. "Gefühlt sind es mehr geworden", sagt sie. Die Würfelnatter könnte den Sprung von der extrem seltenen Art zur sehr seltenen Art geschafft haben. Vom Aussterben bedroht ist sie in Deutschland immer noch. Ein einziges Tankerunglück kann das Aus für sie bedeuten.

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