Jeder Schritt von Fledermausbetreuer Rudi Leitl wirbelt eine kleine Wolke aus grauem Staub auf. Diesen Staub gibt es nur hier. Es ist der zerfallene Kot der Großen Hufeisennase, der seltensten Fledermaus Deutschlands. Leitl steht auf dem Zwischenboden einer einsturzgefährdeten Scheune irgendwo in der Oberpfalz. Nur noch hier, im Gebälk ein paar Meter über seinem Kopf, werden noch Große Hufeisennasen geboren. Wenn man eines dieser seltenen Tiere sieht, dann hier.
Wahrscheinlich leben nur noch 46 Große Hufeisennasen (Rhinolophus ferrumequinum) in Deutschland. Nicht zu verwechseln ist der größere Verwandte mit der Kleinen Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros), die durch die Diskussion um den Bau der Dresdner Waldschlößchenbrücke in die Schlagzeilen geriet.
(Foto: Foto: Picture-Alliance)Doch meist sieht man sie nicht. "Da hängt auch keine", ruft Leitl seinem Kollegen Georg Knipfer zu. Um die Stirn trägt er eine Lampe, an den Beinen eine zerschlissene Abenteurer-Hose. Leitl hat sein Leben dem Fledermausschutz verschrieben und besonders dem der letzten Großen Hufeisennasen.
Die Hälfte der vom Aussterben bedrohten Säugetierarten in Deutschland sind Fledermäuse. Die Große Hufeisennase ist die seltenste von ihnen. 46 Tiere haben Leitl und seine Mitstreiter diesen Winter in den Höhlen der Umgebung gezählt. Damit ist es wahrscheinlicher in Deutschland einem Zoo-Elefanten zu begegnen als einer Großen Hufeisennase.
Die Fledermaus teilt ihr Schicksal mit dem Alpensalamander, der Kornweihe, der Würfelnatter und der Flussperlmuschel. Es sind alles Arten, die so selten sind, dass es keine Kampagnen für sie gibt, um sie nicht zu gefährden. Ihre Vorkommen werden nicht in Reiseführern erwähnt. Ein kleines Unglück reicht, um ihre letzten deutschen Vorkommen auszulöschen. Ihr Überleben hängt ganz entscheidend vom Zufall ab.
Als Kämpfer für eine so seltene Art muss man wahrscheinlich Optimist sein. Leitl und Knipfer sind Optimisten. Aus ihrem Blickwinkel betrachtet sind 46 Fledermäuse ein gutes Ergebnis. Es ist das beste Ergebnis seit die Zählung der Großen Hufeisennasen 1983 begonnen hat. Und 46 sind fast viermal so viele Große Hufeisennasen wie die damals gezählten zwölf.
"Die letzten sind auch die fittesten", sagt Leitl und verweist auf Charles Darwins Theorie vom "survival of the fittest". Wer überlebt, ist stark und hat sich durchgesetzt. Pessimistisch gesehen sind aber auch 46 fitte Hufeisennasen zu wenige, um dauerhaft in Deutschland zu überleben.
Niemand weiß, ob die genetische Vielfalt einer so kleinen Population ausreicht. Um höchstens zwei bis drei Große Hufeisennasen wächst die Population jedes Jahr. Auf Zuzug können die Fledermausschützer nicht hoffen. Große Hufeisennasen fliegen normalerweise nicht weiter als 30Kilometer. Ihre kurzen Flügel sind für die langsame, wendige Jagd am Waldsaum perfekt. Für Langstreckenflüge sind sie dagegen ungeeignet. So sind die deutschen Großen Hufeisennasen isoliert von den Vorkommen in Luxemburg und der Schweiz.
Glücksfall Truppenübungsplatz
Doch statt über mögliche Unglücke zu sprechen, zeigt Leitl lieber die Eichenkeile, mit der die Risse im Haus stabilisiert werden. Denn das Quartier der Hufeisennasen kippt nach rechts. Nur wenige Menschen wären so stolz, über ein Abbruch-Haus zu wachen, wie Leitl und Knipfer. Doch die letzten Großen Hufeisennasen überlebten nicht in einem Schloss oder wenigstens einem Kirchturm, sondern eben in dieser baufälligen Scheune.
Die Scheune ist so unscheinbar, dass die Fledermausschützer sie jahrelang übersehen haben, als sie nach den Hufeisennasen suchten. Dabei steht das Gebäude mitten im Dorf. Erst nachdem sie Fledermäuse mit Sendern bestückt hatten, fanden sie unter dem Dach den letzten Zufluchtsort der Großen Hufeisennase. "Jetzt sieht man sofort, wie ideal es ist", sagt Leitl. Das Haus hat große Einflugöffnungen und einen geräumigen Dachboden. Während es unter dem Dach warm ist, ist es im Keller feucht und kühl. "Im Sommer können das 40 Grad Unterschied sein", sagt Leitl.
Es gibt am Haus keinen Hinweis auf seine exklusiven Bewohner. Der Schutz der Großen Hufeisennase findet weitgehend im Verborgenen statt. Die von ihnen geretteten Fledermäuse können Leitl und Knipfer niemandem zeigen. Denn der Reiz des Seltenen übt auf manchen Hobby-Naturfotografen eine bedrohliche Faszination aus.
Es ist kein Zufall, dass sich die Große Hufeisennase hier gehalten hat. Hinter dem Quartier erstreckt sich ein Truppenübungsplatz. Dort, in den von Pestiziden unberührten Flächen, liegen die Jagdgründe der Großen Hufeisennase. Ausgerechnet dort, wo die Wehrmacht den Vernichtungskrieg und die Alliierten den Kalten Krieg übten, hat die Große Hufeisennase überlebt. Heute schützen Bundesforst und Streitkräfte die Große Hufeisennasen auf dem Übungsplatz.
Unter dem Dach liegt frischer Kot, ein sicheres Zeichen, dass eine Hufeisennase vor kurzem noch hier war. Die beiden Fledermausschützer knien im Halbdunkel und sammeln ihn Körnchen für Körnchen in eine Filmdose. Er wird später analysiert, um mehr über die Ernährung der Fledermäuse herauszufinden. Wenn sie wissen, welche Insekten die Fledermaus frisst, können sie auch ihre Nahrungsinsekten schützen.
Seit kurzem ist das Quartier der Hufeisennasen im Besitz der Gemeinde, angekauft mit Fördergeldern der Bundesstiftung Naturschutz. Und selbst im Rathaus steht eine Dachluke für die Hufeisennasen offen.
Im grauen Staub vor dem Fenster der Scheune liegen zwei bunte Schmetterlingsflügel. "Die sehen frisch aus", sagt Knipfer. Er ist sich sicher, hier hat vor kurzem eine Fledermaus gespeist. Doch sie ist weitergeflogen. Heute sehen Leitl und Knipfer nichts außer den frischen Kot der schon bald zum seltenen Hufeisen-Staub zerfällt.