Süddeutsche Zeitung

Artenschutz:Echsen in der Unterwäsche

Viele exotische Reptilien sind vom Aussterben bedroht. Gerade ihre Seltenheit macht diese Arten attraktiv für die Liebhaber und Händler, die mit geschmuggelten Tieren viel Geld verdienen.

Von Marlene Weiss

Die Otago-Halbinsel im Süden Neuseelands ist ein eigenartiger Heimatort für empfindliche Reptilien. Das Klima kann rau sein, im Winter gibt es mitunter Schnee. Von den einstigen dichten Wäldern ist nicht viel übrig, nur fleckenweise wachsen zwischen Weideflächen noch Bäume und Büsche. Trotzdem hat hier der Schmuck-Grüngecko überlebt. Und fast nur hier: Einzig auf der Banks-Halbinsel weiter nördlich lebt eine weitere größere Gruppe der Tiere. Carey Knox ist einmal im Jahr auf Otago unterwegs, um die Geckos zu beobachten.

Die Reptilien-Schmuggler sind geschickter als Drogendealer

Er sucht die wenige Handbreit langen Echsen im dichten Gestrüpp, fängt sie ein, macht ein Foto von ihrem weiß-grünen Rückenmuster, und setzt sie wieder aus. "Ich habe meine Fotos in einer Datenbank organisiert, die Bilder von allen Geckos enthält, die ich in sechs Beobachtungsjahren gesehen habe", sagt er. Das Rückenmuster ist wie ein Fingerabdruck: Daran können die streng geschützten Tiere identifiziert werden, wenn sie anderswo auf der Insel auftauchen. Oder in einer Wohnung in Deutschland. Im Jahr 2013 zum Beispiel fiel einem Mitarbeiter der niedersächsischen Naturschutzbehörde eine Anzeige im Internet auf: Ein Sammler in Geldnot wollte sein Schmuck-Grüngecko-Pärchen verkaufen. Die Tiere dürfen aber selten in die EU importiert werden, legale Nachzuchten sind rar. In Mönchengladbach konfiszierte die Polizei die Tiere und brachte sie in den Kölner Zoo. In seiner Fotosammlung fand Carey Knox das Rückenmuster von einem der zwei Tiere wieder, es war gewildert worden.

Von 1994 bis 2008 ist die Anzahl der Schmuck-Grüngeckos um 95 Prozent zurückgegangen. Wie viele andere Reptilien leiden die Geckos darunter, dass ihr Lebensraum schrumpft. Außerdem sind sie leichte Beute für Mäuse und Ratten, die es früher auf Otago nicht gab. Und für Schmuggler. Die Tiere sind selten, bildhübsch, tags aktiv und gebären anders als die meisten Geckos lebende Junge. Das macht sie beliebt, Sammler zahlen mehrere Tausend Euro pro Pärchen. Immer wieder kann Carey Knox mit seinen Bildern beweisen, dass ein konfisziertes Tier von der Otago-Halbinsel gestohlen wurde. Es wird zurückgebracht und, wenn es dumm läuft, gleich wieder gefangen, auch das ist schon vorgekommen. Es ist ein bizarres Spiel, das Knox auf Dauer nur verlieren kann.

Vor zwei Jahren wurden die neuseeländischen Behörden auf den Deutschen Andreas H. aufmerksam: In seinem fehlgeleiteten Gepäck hatte man detaillierte Karten und Fotos von den Gecko-Lebensräumen im Süden der Insel gefunden. Auf der Banks-Halbinsel wurde er beobachtet. Bei seiner Verhaftung fand man vier Schmuck-Grüngeckos, verpackt in Socken und Plastikbehälter. Oder Hans K.: Er wurde nach seinem vierten Besuch in Neuseeland verhaftet, als er bereits wieder am Flughafen war, mit 44 geschützten Geckos und Glattechsen in der Unterwäsche - viele der Weibchen trächtig, mehrere Tiere überlebten den Schmuggelversuch nicht.

"Trächtige Weibchen vervielfachen den Profit, die Schmuggler suchen gezielt nach ihnen", sagt Stuart Williamson, Ermittler im neuseeländischen Ministerium für Landwirtschaft und Artenschutz. Es gibt keine Schätzungen, wie viele Reptilien in Neuseeland illegal gefangen werden. "Die Wildererer reichen ja keine Steuererklärung ein", sagt Williamson. Aber vermutlich sind es viele, anders ist der dramatische Schwund vieler Arten kaum zu erklären. Die Ermittler scannen Flugpassagier-Daten auf Hinweise, sie bekommen auch Tipps von Behörden und Naturschutzorganisationen im Ausland. Aber die Schmuggler sind meist geschickter als Drogendealer, viele bleiben unentdeckt.

Der Anteil der Deutschen unter den verhafteten Gecko-Dieben ist nach Angaben der neuseeländischen Naturschutzbehörde "überproportional" hoch, und es gebe immer mehr Vorfälle. Das kann daran liegen, dass Deutschland ein großer Markt für Reptilien ist. Auf etwa 500 000 schätzt der Verband der Heimtierindustrie die Zahl der Halter in Deutschland. Beliebt sind vor allem Schildkröten, Agamen, Schlangen und Geckos - die allermeisten harmlos, teils aber eben auch seltene Tiere. Bis zu 840 000 Reptilien werden laut Statistischem Bundesamt jährlich nach Deutschland importiert. Vor allem aber findet hier viermal im Jahr die größte Reptilienmesse der Welt statt: Die Terraristika in der westfälischen Kleinstadt Hamm.

Im Dezember ist Hamm ziemlich kalt und öde, fast wie irgendeine andere deutsche Kleinstadt in Winterstarre. Wären da nicht all die Leute, die mit Styroporkästen unter dem Arm in den Bus zum Messegelände steigen. Einer der Männer redet mit seinem Kumpel über diese Typen, die immer wieder auftauchten und einfach alles anböten. Seine Stimme schwankt zwischen Faszination und Verachtung. Das könne ja gar nicht legal sein, sagt er.

Das ist es wohl auch nicht. Viele der in Neuseeland aufgegriffenen Wilderer haben nach Erkenntnissen der dortigen Behörden eine Verbindung zur Messe; sie waren selbst als Verkäufer dort oder haben Geschäftspartner, die in Hamm verkaufen. Für den blühenden Internethandel ist die Messe als Kontaktpunkt praktisch: In den Kleinanzeigen im Internet bieten viele Abholung bestellter Ware zur Messezeit in Hamm an; man ist ja ohnehin da. Zum Teil auch extrem seltene Arten, die international geschützt sind und als Wildfänge kaum legal importiert werden können - und wenn die Eltern solcher Tiere geschmuggelt wurden, sind auch ihre Nachkommen illegal. Eine genaue Altersangabe oder ein Hinweis darauf, ob die Tiere aus Zucht oder freier Wildbahn stammen, fehlt in diesen Anzeigen oft. Die Käufer scheint es nicht zu stören. Hauptsache, schön und selten.

Ein hellgrünes Pantherchamäleon klettert zwanghaft herum

Mehrmals hat das Essener Zollfahndungsamt auf der Messe Tiere beschlagnahmt. Inzwischen habe man die Kontrollen aber zurückfahren müssen, heißt es in der Behörde: Zu oft habe man nicht nachweisen können, dass der illegale Handel grenzüberschreitend war - findige Anwälte erklären den Zoll in solchen Situationen für nicht zuständig.

Nun kontrolliert das städtische Veterinäramt jede Messe, angeblich "engmaschig". Im Gewusel vor der Messe ist von Kontrolleuren allerdings noch nichts zu sehen. Die Schlange ist endlos. Die Wartezeit vertreibt man sich mit Gesprächen über das letzte Gelege, die Winterruhe der Bartagamen - und die Frage, warum nur alle immer auf den Reptilienhaltern rumhacken. "Ein paar schwarze Schafe", heißt es immer wieder, die machten alles kaputt. Der Ärger klingt echt.

Drinnen stehen die Tische dicht an dicht über riesige Hallen und ein Zelt verteilt, am Rand gibt es Stände mit Mettbrötchen und Cola. Ein winziges hellgrünes Pantherchamäleon, gefangen in Madagaskar, klettert etwas zwanghaft in seinem joghurtbechergroßen Döschen herum. Die Tiere sind nicht gefährdet und dürfen mit Exportgenehmigung gehandelt werden, aber in ihren weißen Plastikboxen wirken sie doch fehl am Platz. Ein paar Reihen weiter kauft jemand für viel Geld einen Grüngecko, angeblich gezüchtet. Alle Arten dieser Gattung, die Schmuck-Grüngeckos eingeschlossen, leben nur in kleinen Gebieten Neuseelands und haben das Land kaum je auf legale Weise verlassen. Ihre Zucht ist nicht ganz einfach. Eigentlich müsste der Händler jetzt nicht nur nachweisen, dass das Tier in Gefangenschaft gezüchtet wurde, sondern auch, dass seine wilden Vorfahren mit Genehmigung aus Neuseeland herauskamen. Aber es ist gerade niemand da, der sich für solche Papiere interessiert.

Parasiten-Analysen zeigen, ob die Tiere in Freiheit lebten

Später wird ein Fidschileguan-Pärchen für 2500 Euro verkauft, große Scheine werden abgezählt, der stolze Käufer ist hochzufrieden. Auf der Roten Liste der internationalen Naturschutz-Union IUCN stehen Fidschileguane als "stark gefährdet", Seltenheit kann den Preis in die Höhe treiben. Immerhin werden die Tiere häufig gezüchtet. Legale Elterntiere sind dennoch schwer zu bekommen. Die Art hat seit Langem den strengsten Status im Artenschutzabkommen Cites, auf einer Stufe mit Elefanten und Nashörnern. Wildfänge dürfen nicht international gehandelt werden. Aber wieder will niemand die Papiere sehen.

Kontrolleure sind aber ohnehin oft machtlos. Immer wieder tauchen Reptilien mit gefälschten Papieren auf. Im Jahr 2006 ergab eine Studie des Artenschutz-Netzwerks Traffic, dass etwa die Zuchtstationen in Indonesien nicht annähernd all die Echsen produzieren können, die das Land als angebliche Nachzucht verlassen. Und als die EU 1999 den Import von wild gefangenen Vierzehenschildkröten einschränkte, begann die Ukraine plötzlich, Zigtausende Zuchttiere zu liefern - ein Land, aus dem bis dahin keine Zucht bekannt war. Es gibt verschiedene Methoden, Betrug nachzuweisen, wie DNA-Abgleiche oder Parasiten-Analysen. Sie können zeigen, ob ein Tier in Freiheit oder in menschlicher Obhut aufgewachsen ist. Aber sie sind aufwendig, man braucht einen soliden Verdacht dafür.

In Hamm wartet ein Königspython auf einen neuen Besitzer, daneben ein Teller Plätzchen für die Kunden. Ein Messehelfer wirft zwei junge Züchter raus, die zwischen den Ständen über ihren Plastikboxen verhandeln: "Macht das bitte draußen, dann seh ich's nicht", sagt er, nicht unfreundlich, aber nachdrücklich. Die beiden Jungzüchter ziehen folgsam ab. Extra-Ärger wegen Handels ohne Stand und Anmeldung kann man auf der Messe nicht gebrauchen. Schon gar nicht jetzt, da SPD und Union über strengere Regeln im Wildtierhandel nachdenken; sogar ein Verbot von kommerziellen Börsen war im Gespräch. Mittlerweile ist man in Hamm ziemlich genervt von der ewigen Kritik. "Wir halten uns an die Gesetze", sagt Veranstalter Frank Izaber. Immerhin sei bei all den Kontrollen nie etwas Schwerwiegendes festgestellt worden; dass mal einer nicht alle Papiere parat habe, das sei bei so vielen Anbietern unvermeidlich.

Auch draußen, um den riesigen Parkplatz voller Autos mit Nummernschildern aus ganz Europa, wird rege gehandelt. Zwischen einem Matratzenladen und einem Café mit dem Charme einer Autobahnraststätte stapeln sich die Styroporboxen. Solche heimlichen Deals, ob auf Parkplätzen oder in Hotelzimmern, seien das eigentliche Problem, heißt es beim Bundesamt für Naturschutz. Wer ganz heiße Ware verkaufen will, ist selten dumm genug, es offen auf der Messe zu versuchen.

Viele bedrohte Arten sind ohnehin nicht weltweit, sondern nur in ihrem Herkunftsland geschützt. Das kann viele Gründe haben - Trägheit der Behörden, Mangel an Daten. Über das internationale Artenschutzabkommen Cites wird nur alle drei Jahre neu verhandelt, es kann dauern, bis es eine Art auf diese Liste schafft. Mit dem Ergebnis, dass solche Tiere zwar illegal gewildert und aus Sri Lanka, Mexiko oder wo auch immer geschmuggelt werden. Der Verkauf in der EU bleibt aber legal.

In den USA ist das anders: Dort gilt seit 1900 der Lacey Act. Tiere und Pflanzen aus kriminellen Quellen dürfen demnach nicht gehandelt werden, Punkt. "Das sollte bei uns auch so sein, das ist doch nur gesunder Menschenverstand", sagt Sandra Altherr von der Naturschutzorganisation Pro Wildlife. "Viele Länder können sich keine Kontrollen leisten, und Nachzucht rentiert sich nicht, weil das Einfangen zu billig ist." Im vergangenen Jahr hat sie einen Bericht über Arten veröffentlicht, die trotz Gefährdung und Schutz in ihrer Heimat durch das Cites-Raster fallen (siehe Grafik), und oft auch in Deutschland gehandelt werden.

In Neuseeland hält inzwischen der Herbst Einzug, aber die Schmuggelsaison ist noch nicht vorbei. "Reptiliensammler in Europa sollten nur legal erlangte Arten kaufen, und keine gefährdeten Arten aus Neuseeland, die noch nie legal exportiert wurden", sagt Carey Knox. "Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie sonst zur Wilderei beitragen, und damit zum Rückgang der Tiere am wilden Ende von Neuseeland." Wenn es nach ihm ginge, würde die Messe in Hamm abgeschafft. Oder so streng kontrolliert, dass dort wirklich nur noch legale Tiere gehandelt werden.

Die Schmuck-Grüngeckos aus Otago, die über Mönchengladbach in den Kölner Zoo kamen, haben das vergangene Jahr dort verbracht, man hat sich alle Mühe gegeben, es ihnen bequem zu machen, was vor allem eine Frage der Heizung ist - nicht zu kalt, nicht zu warm. Das Weibchen ist trächtig. Am vergangenen Donnerstag haben die Tiere nun endlich die lange Rückreise nach Neuseeland angetreten. Dort könnten sie schließlich zurück in das Gebüsch gebracht werden, aus dem man sie verschleppt hat. Vielleicht wird Carey Knox einen der Geckos irgendwann im Wald von Otago wiedersehen. Oder auf einem neuen Bild aus Deutschland.

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SZ vom 18.04.2015
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