Artenschutz:Die Rettung der Riesen

Giant Weta

Ein Riesen-Weta der Art Deinacrida heteracantha bei der Fütterung.

(Foto: Mark Moffett/dpa/picture alliance)

Die Insekten wachsen zu erstaunlicher Größe heran, müffeln und sind für viele Menschen ein Albtraum. Warum Artenschützer auf Neuseeland trotzdem versuchen, die vom Aussterben bedrohten Weta zu bewahren.

Von Eliszabeth Pennisi

An einem kühlen, feuchten Morgen diskutieren David Wallace und Corinne Watts, wie sie in einem 16 Hektar großen Reservat in der Waikato-Region auf der Nordinsel Neuseelands am besten jene Tiere und Pflanzen abschotten können, deren Überleben ihnen am Herzen liegt. In Neuseeland gibt es viele Raubtiere, die ursprünglich gar nicht hierher gehören und die aus dem Warrenheip-Reservat herausgehalten werden müssen. Ein 2,3 Meter hoher Zaun, der weit unter die Erde reicht, soll Ratten, Mäuse, Katzen und Wiesel fernhalten, die sonst Flora und Fauna im Reservat zerstören würden. Innerhalb des Zauns befindet sich ein Ausschnitt aus Neuseelands Vergangenheit: üppige Kauri-Fichten, Baumfarne und Fünf-Finger-Sträucher; auch der Kiwi, ein flugunfähiger Laufvogel, lebt hier. Nur ein Wesen, das eigentlich zu seinem eigenen Schutz im Reservat bleiben sollte, klettert immer wieder über den Zaun: das Mahoenui-Riesen-Weta (Deinacrida mahoenui), ein riesiges Insekt.

Weta bedeutet in der Sprache der Maori "Gott der hässlichen Dinge"

Der Größe und dem Verhalten nach ist das Riesen-Weta eine Maus in Gestalt einer Grille. Das Wesen hat nicht den Charme anderer hier einheimischer Arten, etwa des Kiwis. Immer wieder melden sich Anwohner aus der Nachbarschaft des Reservats und verlangen, dass einer der Ausreißer aus ihrem Haus entfernt wird. Aber die Weta, deren Name in der Sprache der Maori soviel bedeutet wie "Gott der hässlichen Dinge", haben zu Urzeiten wahrscheinlich eine Schlüsselrolle im Ökosystem Neuseelands gespielt. Das mahagonifarbene, faustgroße Mahoenui-Riesen-Weta zum Beispiel geht nachts auf Futtersuche und versteckt sich tagsüber vor seinen Feinden, genau wie eine Maus. Sogar sein Kot ist klein und rund wie der von Mäusen.

Aber anders als die Nager sind die Weta von allen möglichen Feinden stark dezimiert worden. Weil sie weder davonfliegen noch stechen können sind die stark riechenden Insekten eine leichte Beute für Ratten und sogar für Mäuse. "Ihr Geruch ist so intensiv, dass sämtlichen Nagern schon von Weitem das Wasser im Maul zusammenläuft", sagt Danny Thornburrow, der am Forschungsinstitut Landcare Research im neuseeländischen Hamilton arbeitet. Deshalb sind mehrere Weta-Arten vom Aussterben bedroht. Und aus diesem Grund machen sich David Wallace, der Besitzer des Warrenheip-Reservats, und die Ökologin Corinne Watts Sorgen um jedes Weta, das über den Zaun klettert. Theoretisch gäbe es einen besseren Zaun, der das verhindern könnte, doch der ist momentan zu teuer.

Warrenheip ist Teil eines ungewöhnlichen Insekten-Schutzprogramms in Neuseeland. Das Reservat hat bereits mehrere Weta-Arten vor dem Aussterben bewahrt. 16 von 83 bekannten Weta-Arten sind in Neuseeland als schutzbedürftig eingestuft. Die Insekten werden auf kleinen Inseln behütet, auf denen es keine Säugetiere gibt. Auf dem Festland schaffen Artenschützer sichere Lebensräume für die Insekten, die wie Warrenheip von Spezialzäunen umgeben sind. Die Menschen entfernen alle Säugetiere aus dem Inneren dieser Reservate und beobachten, wie sich die Zahl der Weta entwickelt.

Das hat sich bereits ausgezahlt. "Aus Sicht des Artenschutzes sind die Weta eine Erfolgsgeschichte", sagt David Pearson, Ökologe an der Arizona State University in Tempe. Ziel ist es, verschiedene Populationen aufzubauen, die sich selbst erhalten können. In einer Welt, in der es immer weniger Insekten gibt, sind die Weta eine Ausnahme, die hoffen lässt.

Vor etwa 65 Millionen Jahren begannen kleine, behaarte, vierbeinige Wesen den Planeten zu bevölkern: die ersten Säugetiere. Als die Dinosaurier ausstarben, vermehrten sich die Säuger explosionsartig. Aber Neuseeland, das sich 15 Millionen Jahre früher abgespalten hatte, blieb säugetierfrei und die Arten entwickelten sich dort anders. Weil es keine räuberischen Säuger gab, konnten sich dort Vögel und Insekten ohne Flügel entwickeln.

Elf Weta-Arten wurden im Lauf der Zeit immer größer und besetzten Nischen, in denen anderswo Nagetiere lebten. Andere Spezies, die Baum-Weta (Hemideina), lebten in Baumhöhlen, in denen Männchen mit großen Köpfen einen ganzen Harem von Weibchen beschützten. Weta mit einer Art von Stoßzähnen (Motuweta, Anisoura), bleiben tagsüber unter der Erde und kommen nachts an die Oberfläche, um kleine wirbellose Tiere zu jagen. Wieder andere Weta (Macropathinae) entwickelten grashüpferartige Beine, die es ihnen ermöglichten, bei Gefahr rasch wegzuspringen.

Doch dann - vor etwa 800 Jahren - landeten mit den ersten Polynesiern auch Pazifische Ratten auf Neuseeland. Andere Plagen, wie Wanderratten und Schiffsratten, die auf Bäume klettern können, kamen später mit den Europäern. Die Eindringlinge richteten innerhalb kürzester Zeit immensen Schaden unter den flügellosen Vögeln und den wehrlosen Wirbellosen an. Die Riesen-Weta wiegen manchmal mehr als 30 Gramm und sind zu schwer, um schnell vor den Nagern zu fliehen.

Biologen entdeckten die letzten vier Exemplare auf einer winzigen Insel

Ausgerechnet eine Pflanze, die es auf Neuseeland ursprünglich gar nicht gab, hat dem Mahoenui-Riesen-Weta geholfen zu überleben. Im Jahr 1962 wurden einige dieser seltsamen Insekten gefunden, die sich im Stechginster versteckt hatten, einem dornigen, gelbblühenden Busch, der um 1800 als Heckenpflanze nach Neuseeland eingeführt worden war. Stechginster bildet im Lauf der Zeit ein undurchdringliches Dickicht, in das die Ratten nicht hineinkommen - das perfekte Weta-Rückzugsgebiet. Artenschützer haben dann versucht, die Weta auch anderswo wieder zu etablieren. Im Jahr 2000 gab es drei Populationen: Die Weta im Stechginster, in dem sie als Erstes wiederentdeckt worden waren; eine Population auf einer kleinen Insel, zu der Nager aber leider hinschwimmen können, und die Weta im Warrenheip-Reservat. Mittlerweile ist die Population im Stechginster geschrumpft, weil die ursprüngliche Vegetation die Büsche nach und nach wieder verdrängt. "Wir sind besorgt", sagt Watts. "Die Original-Population könnte aussterben." Das mache die Weta in dem winzigen Warrenheip-Reservat zu einer Schlüsselpopulation, aus der neue Populationen in anderen säugetierfreien Reservaten hervorgehen könnten, sagt sie.

Durch die Umsiedelung auf Inseln, auf denen die Weta keine Feinde haben, konnten Artenschützer auch andere Spezies retten. Zum Beispiel Motuweta isolata, das etwa so groß ist wie eine Maus und kleinere Insekten und andere Wirbellose frisst. Im Jahr 1993 haben Entomologen die letzten Exemplare auf einer nur 13 Hektar großen Insel entdeckt. Die drei Weibchen und das einzige Männchen wurden eingefangen und in Gefangenschaft vermehrt. Ihre Nachkommen wurden dann auf einer anderen Insel ausgesetzt, welche die Artenschützer zuvor mithilfe von Giftködern rattenfrei gemacht hatten. Obwohl es die Tiere auf der kleinen Insel, auf der die letzten Exemplare entdeckt wurden, jetzt nicht mehr gibt, ist die Art auf diese Weise vor dem Aussterben gerettet worden.

Der Schutz von Insekten hat weltweit geringe Priorität. Ein paar Zoos züchten Totengräber und lassen die Käfer im Mittleren Westen der USA frei. Im Nordosten der USA steht die Rostbraungefleckte Hummel (Bombus affinis) seit diesem Jahr unter Schutz. Auf der Roten Liste der gefährdeten Arten der Weltnaturschutzunion stehen 1268 Insekten. Doch über die meisten der weltweit etwa eine Million bekannten Insekten weiß man zu wenig, um eine klare Aussage darüber machen zu können, ob sie gefährdet sind oder nicht. "Wir müssen etwas schützen, das wir gar nicht kennen", beklagte 2015 ein Kommentator in der Fachzeitschrift Current Opinion in Insect Science. Außerdem gibt es kaum Geld für den Schutz von Insekten. Doch wenn Insekten aussterben, könnten andere Arten, die sich von diesen Tieren ernähren, folgen.

Kleine Kinder sind von den großen Insekten fasziniert, die meisten Teenager ekeln sich

Ein Teil des Problems ist, dass Insekten - mit Ausnahme einiger bunter Schmetterlinge - nicht dieselbe Anziehungskraft haben wie süße Säugetiere und Vögel. Besonders die müffelnden und albtraumhaft großen Weta haben ein Imageproblem. "Viele Menschen hier sind anti-Weta", sagt der neuseeländische Entomologe George Gibbs. Kleine Kinder sind von diesen Insekten fasziniert, sagt Watts, "aber spätestens im Teenageralter finden sie die Tiere nur noch gruselig". Weil es insgesamt wenig Geld für den Artenschutz gibt, macht Watts sich Sorgen, dass die Weta zugunsten anderer Arten außen vor bleiben und dass der erzielte Fortschritt wieder verloren geht. "Die nächsten fünf bis zehn Jahre sind für die Weta sehr kritisch", sagt sie.

Während Artenschützer darum kämpfen, die Insekten zu retten, versuchen einige Wissenschaftler, mehr über die außergewöhnlichen Wesen zu lernen. "Ich wollte etwas erforschen, das alle anderen schrecklich finden", sagt etwa die Evolutionsbiologin Mary Morgan-Richards. Sie und ihr Mann Steven Trewick untersuchen an der neuseeländischen Massey University, ob und wie der Klimawandel die noch existierenden Weta-Populationen beeinflusst. Die Ökologen Daniel Howard und Carrie Hall von der University of New Hampshire in Durham versuchen hingegen herauszufinden, wie Weta miteinander kommunizieren. Dass manche der Rieseninsekten Geräusche machen, ist schon länger bekannt. Aber erst vergangenen Januar entdeckten Howard und Hall, dass das Mahoenui-Riesen-Weta Vibrationen durch Blätter und Äste schickt, um Rivalen abzuschrecken, um Weibchen anzulocken und um seine Anwesenheit kundzutun. Niemand wusste, wie die Insekten kommunizieren, sagt Howards. "Sie sind nur stumm, wenn man auf dem falschen Kanal zuhört."

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: tiba. Weitere Informationen: www.aaas.org

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