Süßwasser im Arktischen Meer:Wulst im Ozean

Im Arktischen Meer sammeln sich enorme Mengen Süßwasser - der Ozean ist dort auf rätselhafte Weise geradezu angeschwollen. Wie kommt es dazu - und was hat es zu bedeuten?

Christopher Schrader

Teile des Arktischen Ozeans sind in den vergangenen Jahren auf rätselhafte Weise angeschwollen. Satellitenaufnahmen zeigen, wie sich seit 2002 die Meeresoberfläche in der Beaufortsee nördlich von Alaska um etwa 15 Zentimeter gehoben hat.

Das Video der Esa zeigt, wie sich Frischwasser im Arktischen Ozean über die vergangenen 15 Jahre angesammelt hat.

Forscher um Katharine Giles vom University College London sehen einen Zusammenhang mit den dort vorherrschenden Winden. Diese wehen über der Beaufortsee mit zunehmender Heftigkeit im Uhrzeigersinn und lösen eine kreisförmige Meeresströmung aus, die das Wasser im Inneren nach oben drückt, zurzeit um etwa zwei Zentimeter pro Jahr.

Dieses Wasser ist offenbar vergleichsweise salzarm und damit leichter als das Salzwasser darunter; es stammt aus Flüssen und hat sich offenbar kaum mit dem Meerwasser vermischt. 8000 Kubikkilometer Frischwasser steckten in der windgetriebenen Erhebung, haben die Forscher berechnet: 166-mal so viel wie der Bodensee enthält.

Die Messung des Wasserstandes in diesem Bereich der Arktis ist nicht einfach, schließlich ist sie von Packeis bedeckt. Die Auswerteprogramme für die Messungen aus dem Weltall sind darum so ausgelegt, dass sie die Höhe nur dort messen, wo sich gerade Risse und Lücken zeigen; hier ist das Radarecho klarer als über dem oft zerklüfteten Eis.

Der Anstieg der vergangenen zehn Jahre hat demnach zu einem Zeitpunkt begonnen, als der Meeresspiegel in der Beaufortsee gerade sieben Zentimeter unter dem langjährigen Mittel lag. Bis 2010 wuchs er acht Zentimeter über den Mittelwert.

Was aus all dem zu folgern ist, wissen die Forscher noch nicht recht. Es kann sein, dass die Zunahme der Kreisströmung und das Wachsen des Wasserbergs dadurch ausgelöst werden, dass das Eis dünner und brüchiger wird und der Wind mehr Einfluss auf die Meeresströmung gewinnt.

Sollte sich das fortsetzen, wofür einiges spricht, könnte die Vermischung des relativ salzarmen, kalten Oberflächenwassers mit dem salzigeren, dichteren und wärmeren Meerwasser aus der Tiefe zunehmen. Das wiederum würde die Eisbildung zusätzlich schwächen und die Kreisströmung ebenso wie die Erwärmung des Meeres verstärken.

Sollten hingegen die Winde abflauen und irgendwann sogar wieder gegen den Uhrzeigersinn wehen, wie es nach Aussagen der Forscher Mitte der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre der Fall war, so würde der Frischwasser-Überschuss in der Beaufortsee davonfließen und sich verteilen.

Wie damals könnte dann auch das auf der anderen Seite der Arktis liegende Nordmeer zwischen Grönland und dem russischen Nowaja Semlja etwas süßer werden.

Dieser Gedanke weckt bei Forschern unangenehme Assoziationen: Frischwasser östlich von Grönland könnte den Golfstrom stören, der Europa mit Wärme versorgt. Aber dafür gibt es zurzeit keine Hinweise. Doch der im April 2010 gestartete, speziell für die Arktis-Beobachtung gebaute Esa-Satellit Cryosat-2 soll die Weltgegend nun weiter beobachten.

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