Niemand konnte Sir John Franklin vorwerfen, er habe sich nicht auf seine Reise durch die Arktis vorbereitet. Lebensmittel für drei Jahre, Silberbesteck und 1000 gebundene Ausgaben der Satirezeitung Punch ließ er an Bord der Schiffe HMS Erebus und HMS Terror laden. Sein Ziel: die Entdeckung der Nordwestpassage durch die Arktis, die die Welthandelsrouten um ein Vielfaches verkürzen würde. Im Mai 1845 stachen 24 Offiziere und 110 Seeleute in England an der Themsemündung in See. Keiner kehrte zurück. Das Schicksal der beiden Schiffe und ihrer Besatzung war 170 Jahre lang ein Rätsel. Dann lokalisierten Forscher der kanadischen Arctic Research Foundation (ARF) vor zwei Jahren die HMS Erebus. Jetzt haben sie offenbar auch die Terror gefunden. Doch das Rätsel ist damit längst nicht gelöst. Beide Schiffe liegen viel weiter südlich als bisher angenommen.
Das Mysterium begann, als zwei Jahre lang keine Nachricht von Franklin in England eintraf. Seine Frau Lady Franklin sprach bei der Admiralität vor und bat um eine Suchexpedition - die erste von etwa hundert vergeblichen Aktionen. Die Suchenden wurden selbst Teil des Mythos. Die Hartnäckigkeit von Franklins Ehefrau war 1850 Inspiration für die Ballade "Lady Franklin's Lament" (Lady Franklins Klage), die auch in jüngerer Zeit noch zum Repertoire der Sänger Bob Dylan oder Sinead O'Connor gehörte. Und aus dem Holz des Schiffes HMS Resolute, das im Jahr 1852 auf die Suche ging, ließ Queen Victoria später Schreibtische schreinern - einen davon nutzt heute Barack Obama im Oval Office des Weißen Hauses.
Inuit berichteten, dass eine Gruppe weißer Männer am Back River verhungert sei
1850 fand eine Suchmannschaft auf Beechey Island im Norden des kanadisch-arktischen Archipels die Gräber dreier Angehöriger der Expedition, doch keinen Hinweis auf die Schiffe oder den Rest der Besatzung. Eine erste wichtige Quelle für das, was tatsächlich geschehen war, wurden mündliche Zeugnisse der auf den Inseln lebenden Inuit: 1854 erzählten sie im Südosten des Archipels, auf der am Festland hängenden Simpson-Halbinsel, dem Arktisforscher John Rae von einer Gruppe von 35 bis 40 weißen Männern, die nahe der Mündung des Back River verhungert seien. Die Inuit berichteten von Kannibalismus und zeigten Rae zahlreiche Objekte aus der Ausrüstung Franklins, die bewiesen, dass sie Kontakt mit der Mannschaft hatten.
Als die Admiralität das Interesse an der Suche verlor, finanzierte Lady Franklin ein eigenes Schiff. Und es war dessen Mannschaft, die 1859 ein entscheidendes Zeugnis für die Rekonstruktion der Geschehnisse fand: Mitglieder der Franklin-Expedition hatten es selbst verfasst und in einem Steinhaufen an einer Landspitze namens Victory Point deponiert. Offizier James Fitzjames hatte unter dem Datum 28. Mai 1847 zunächst die Position der Schiffe und ein "allen geht es gut" notiert. Ein auf April 1848 datierter Zusatz vermerkt jedoch den Tod Franklins sowie neun Offizieren und 15 Seeleuten. Die 105 verbleibenden Männer hätten die beiden Schiffe zurückgelassen. Und dann ist da eine letzte hinzugekritzelte Zeile: "Und morgen, am 26., brechen wir zum Back's Fish River auf."
Zusammen mit den Aussagen der Inuit und den sukzessiven Funden einiger weniger weiterer Gräber galt fortan als wahrscheinlichstes Szenario, dass die Männer, nachdem ihre Schiffe mehr als eineinhalb Jahre im Eis feststeckten, zu Fuß entlang der Westküste von King William Island nach Süden marschierten, um zu einem Pelzjäger-Posten am Back River zu gelangen. Auf dem Weg seien dann alle an Entkräftung, Kälte und Krankheiten gestorben. Die im Jahr 1992 auf King William Island zusammen mit Objekten aus Franklins Ausrüstung gefundenen menschlichen Knochen scheinen die Überlieferung der Inuit zu bestätigten: Einige von ihnen weisen Schnittspuren auf - möglicherweise ein Hinweis auf Kannibalismus.
Das Wrack scheint ausgezeichnet erhalten zu sein
Die - bislang - am weitesten südlich gefundenen Skelette von Mitgliedern der Franklin-Expedition fanden sich jedoch auf der Adelaide-Halbinsel. Und nicht allzu weit von der Halbinsel entfernt spürte die seit 2010 suchende, vom kanadischen Staat unterstützte ARF im Jahr 2014 die Erebus auf. Das beschädigte Wrack liegt in nur elf Meter Tiefe, die geborgene Schiffsglocke identifiziert es eindeutig.
Das gleiche Team ging diesen Sommer auf die Suche nach der Terror. Den entscheidenden Hinweis soll wieder ein Inuk gegeben haben. Sammy Kogvik habe dem Leiter der Mission, Adrian Schimnowski, von einem Erlebnis erzählt, dass er vor einigen Jahren hatte. Auf der Jagd sei er mit dem Schneemobil über das Eis in einer Bucht gefahren und habe dort einen aus dem Eis ragenden Pfahl gesehen. Den Mast eines Schiffes? Kogvik habe den Pfahl sogar fotografiert, die Kamera jedoch auf dem Rückweg verloren. Schimnowski habe sich dann entschieden, der Erzählung Glauben zu schenken und die Bucht anzusteuern, die kurioserweise Terror Bay heißt.
Und dort, fast 100 Kilometer südlich des Punktes, an dem das Schiff aufgrund der schriftlichen Nachricht von James Fitzjames vermutet wurde, fand sich tatsächlich ein Wrack in 24 Meter Tiefe auf dem Meeresgrund liegend. Ein Tauchroboter brachte Bilder nach oben, die zeigten, dass das Schiff unbeschädigt und aufrecht am Boden aufgekommen ist. Alle Klappen sind geschlossen - geradeso, als sei es winterfest gemacht und verlassen worden und nicht plötzlich, sondern eher langsam zu Boden gesunken. Die ARF verkündete, sie habe die Terror gefunden.
Michael Bravo, der am Scott Polar Research Institute der Universität Cambridge zur Geschichte der Entdeckung der Polarregionen forscht, hält das für glaubwürdig. "Sie stützen sich auf eine Reihe von Hinweisen", sagt er. "Da wäre zum Beispiel ein senkrechtes Auspuffrohr, das aus dem Deck ragt - in viktorianischer Zeit wurden einige Schiffe für Entdeckungsfahrten mit Dampfmaschinen ausgestattet." Allerdings warnt er zur Vorsicht, was den angeblichen Hinweis eines Inuk angeht.
Spektakulär ist nach Angaben der ARF der hervorragende Zustand des Wrackes. Der Guardian zitiert Schimnowski mit den Worten, die Bilder zeigten Weinflaschen, Tische und leere Regale sowie einen Schreibtisch mit offenen Schubladen. "Es ist die perfekte Zeitkapsel", sagte er der Nachrichtenagentur AP. Doch wie ist die Terror so weit nach Süden geraten? "Eher unwahrscheinlich ist es, dass ein Schiff in diesen flachen arktischen Gewässern so eine weite Strecke treibt", sagt Bravo. Und: "Gut möglich, dass die Terror gesegelt wurde, seit Fitzjames seine Nachricht hinterließ."
Haben sich Franklins Männer also trotz ihrer Erschöpfung nach dem Aufbruch von Victory Point noch einmal zurück zu ihren Schiffen gekämpft, haben die Eisschmelze erwartet und sind nach Süden gesegelt, wo sie dann die Terror zurückließen und auf der Erebus weiterfuhren?