Süddeutsche Zeitung

Arktis: Permafrostböden und der Klimawandel:Es taut

Sibirien schrumpft: Wieso die Landmassen am Polarkreis besonders empfindlich auf den Klimawandel reagieren.

Angelika Jung-Hüttl

Die Küsten um das Nordpolarmeer reagieren besonders empfindlich auf den globalen Klimawandel. Um durchschnittlich fünf Meter pro Jahr weichen die Meeresränder zurück. Das ist das Ergebnis einer soeben veröffentlichten Studie mit dem Titel "State of Arctic Coast 2010" (Zustand der arktischen Küsten 2010), an der 30 Wissenschaftler aus zehn Ländern mitgearbeitet haben. Unter ihnen waren auch Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven sowie des Helmholtz-Zentrums Geesthacht, ehemals GKSS.

Ursache für diesen massiven Rückzug der Küsten ist das Schwinden der Meereisdecke, welche die Küsten bisher vor dem Ansturm der Wellen geschützt und über Jahrtausende hinweg stabilisiert hat. Jetzt kann die Brandung des Nordpolarmeeres vor allem während der Sommermonate das Land, das dort das ganze Jahr über gefroren ist, stärker angreifen. Zwei Drittel der insgesamt 400 000 Kilometer langen, arktischen Küsten bestehen nicht aus robustem Fels, sondern aus gefrorenem Erdreich - aus Permafrostboden. Dagegen haben die Wellen ein leichtes Spiel.

Während sie ständig an die von Eis durchsetzte Küste schwappen, tauen sie diese auf. Zurück bleibt ein weicher Schlamm, der vom Meer weggespült wird. Besonders betroffen ist Sibirien entlang der Laptev-, der Ostsibirischen und der Beaufortsee. Dort geht die Küstenlinie bis zu acht Meter im Jahr zurück.

Schon seit vielen Jahren ist zu beobachten, dass sich der Klimawandel im hohen Norden viel stärker bemerkbar macht als in den mittleren Breiten. Um zwei bis drei Grad Celsius ist die jährliche Durchschnittstemperatur in manchen Gebieten Alaskas und Sibiriens in den vergangenen 50 Jahren gestiegen. Zum Vergleich: In den mittleren Breiten ist es weniger als ein Grad Celsius. Auch in großen Teilen Alaskas, Kanadas und Sibiriens, wo der Untergrund Jahrtausende lang vom Permafrost geprägt war, verändern sich ausgedehnte Landschaften auf dramatische Weise. Wälder und Tundra-Regionen versumpfen, Seen versickern, der Untergrund sackt ein oder legt sich in Wellen. Straßen reißen auf, Eisenbahnschienen werden verbogen, Häuser neigen sich zur Seite und auch die Stützen der großen Ölpipelines können in Schieflage geraten. Im Norden Russlands gibt es Städte, deren Häuser mit Stahlmanschetten zusammengehalten werden müssen.

Die meisten Wissenschaftler vermuten, dass der auftauende Permafrostboden den Klimawandel in einem teuflischen Kreislauf noch beschleunigen könnte. Denn in dem dauergefrorenen Boden sind große Mengen des Treibhausgases Methan gespeichert, das, gelangt es in die Atmosphäre, 20 bis 30 Mal so stark wirkt wie das bekannte Kohlendioxid.

Dieses unterirdische Methan stammt aus verschiedenen Quellen. Ein Teil davon wird im Sommer in der obersten, saisonal auftauenden Schicht des Permafrostbodens von speziellen Mikroorganismen produziert (siehe Bericht unten).

Der weitaus größere Teil steckt jedoch im tieferen Untergrund. Es handelt sich dabei einerseits um mikrobiell erzeugtes Gas aus alten, längst überlagerten Schichten von Tundravegetation, andererseits um Methangas-Hydrate, um eisähnliche Methan-Wasser-Verbindungen. Manche Wissenschaftler befürchten sogar heftige Methanausbrüche aus dem submarinen Permafrost, dem gefrorenen Meeresboden unter den flachen Schelfmeeren vor der sibirischen Nordmeerküste (siehe Interview).

Erst seit gut einem Jahrzehnt arbeiten die Wissenschaftler in oft international zusammengesetzten Forschungsgruppen daran, die Prozesse, die sich im auftauenden Permafrost abspielen, detailliert zu erfassen. Sie wollen vor allem das Methanproblem quantifizieren, damit es in die Modelle zur künftigen Klimaentwicklung einbezogen werden kann.

Das Foto von den "Pingos" wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Bernhard Edmaier.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2011/jab
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