Klimapolitik:Die Zustimmung für Klimaschutz wird unterschätzt

Klimapolitik: Manche Menschen finden den Anblick von Windrädern unerträglich - aber längst nicht alle.

Manche Menschen finden den Anblick von Windrädern unerträglich - aber längst nicht alle.

(Foto: Uwe Umstätter/IMAGO/Westend61)

Eine neue Studie zeigt, wie unterschiedlich Maßnahmen für den Klimaschutz in Deutschland regional gesehen werden - und dass die Menschen oft viel weiter sind, als selbst Politiker denken.

Von Vera Schroeder

Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss Deutschland im großen Stil umgebaut werden. Ganz konkret geht es dabei um Windräder vor dem Fenster, neue Fahrradwege auf dem Weg zur Arbeit, Solaranlagen, den Kohleausstieg, die CO₂-Steuer oder das Tempolimit. Die Zustimmung zu oder die Ablehnung von umfassenden Klimaschutzmaßnahmen ist für den Erfolg der Transformation entscheidend, auch weil sich die Politik stark an dem orientiert, was sie denkt, dass die Menschen denken. Dabei ist der sogenannte Wählerwille oft eine undurchsichtige und durch unterschiedlichste Stimmen verzerrte sowie sich selbst ständig verändernde Sache, weshalb es umso wichtiger ist, auch einen wissenschaftlichen Blick darauf zu wagen.

Genau das haben Forschende der Kopernikus-Projekte (Energie-Forschungsprojekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung) nun gemacht. Für ihre Analyse schätzten sie auf Basis zweier in den Jahren 2017 bis 2021 bundesweit durchgeführter Panel-Umfragen die Zustimmung in der Bevölkerung zu 26 verschiedenen Klimaschutzmaßnahmen auf regionaler Ebene. Dabei wurden deutliche geographische und zeitliche Unterschiede sichtbar. Und etwas, das die Forschung "pluralistische Ignoranz" nennt: Das wissenschaftlich belegte Phänomen, dass in Gemeinschaften oft eine falsche Vorstellung davon herrscht, wie andere denken oder sich verhalten.

"Unsere laufenden Analysen bestätigen, dass die Bürgerinnen und Bürger die allgemeine Befürwortung von Klimaschutzmaßnahmen in der deutschen Bevölkerung deutlich unterschätzen", erklärt Ingo Wolf vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit RIFS, einer der Autoren der Analyse.

Es gibt Unterschiede zwischen Ost und West sowie zwischen Stadt und Land

Die regionalen Unterschiede in der Zustimmung zu Klimaschutzmaßnahmen sind laut der Analyse erheblich, sie variieren teilweise um bis zu 60 Prozentpunkte. Vor allem unterscheiden sich die Einstellungen zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung. Ganz grob gesehen stehen Stadtmenschen den Maßnahmen positiver gegenüber als Menschen in ländlichen Kreisen. Auch zwischen Ost- und Westdeutschland zeigen sich Unterschiede: In der Gesamtbilanz befürworten Menschen im Westen Klimaschutzmaßnahmen eher als Menschen im Osten, was vor allem auf strukturelle Unterschiede zurückgeführt werden kann. Während etwa in einer kohlefernen Stadt wie Tübingen die Zustimmung zum Kohleausstieg bei 93 Prozentpunkten liegt, sind es in der ehemaligen Kohle-Stadt Cottbus nur 31.

Ingo Wolf warnt allerdings davor, die Ergebnisse als einfachen Ost-West- oder Stadt-Land-Konflikt zu lesen: "Die regionale Differenzierung zeigt eine große Heterogenität. Wir sehen zum Beispiel, dass die Zustimmung in Regionen, in denen Windräder oder Solaranlagen ausgebaut wurden, über den zeitlichen Verlauf überproportional stark wächst - während die öffentliche Meinung zu anderen Maßnahmen wie dem Kohleausstieg im Laufe der Jahre je nach Region stark polarisiert." Die Fragen danach, welche persönlichen, aber vor allem auch kollektiven Folgen die Transformation für die Menschen vor Ort hat, müsse jeweils spezifisch betrachtet werden und könne bei der Entwicklung von Lösungsansätzen politisch gar nicht überschätzt werden.

Die Analyse widmet sich außerdem der Frage, wie stark Meinungen zu Klimaschutzmaßnahmen vom sozialen und regionalen Umfeld beeinflusst werden. Die Autoren weisen etwa bei der Windkraft nach, dass eine positive Meinungsänderung in einem Landkreis über die Zeit auch die Nachbarkreise ansteckt. "Positive räumliche Diffusion ist somit einer der größten, signifikantesten und konsistentesten Prädiktoren für die Zustimmung zu emissionsarmen Technologien auf Kreisebene", heißt es im Text.

Grundsätzlich zeigen die Daten über alle Regionen hinweg, dass die Akzeptanz von Maßnahmen insgesamt wächst. Und auch, dass die Menschen Förderungen und Infrastrukturausbau lieber mögen als Einschränkungen und Steuererhöhungen. Mehr Fahrradwege finden in jedem Fall mehr Zustimmung als das Verbrenner-Aus, Anreize werden besser angenommen als Verbote.

Die meisten Menschen sehen die Umgestaltung positiv, bewerten aber die Umsetzung kritisch

Als Fazit sieht Ingo Wolf drei zentrale Aspekte, die dazu beitragen können, dass Maßnahmen lokal akzeptiert werden: Sie müssen als wirksam im Sinne des Klimaschutzes erkannt werden. Sie dürfen nicht als ungerecht empfunden werden, die finanziellen, aber auch sozialen und immateriellen Kosten müssen also gerecht verteilt sein. Und bei der Umsetzung müssen durch Mitsprache- und Teilhabemöglichkeiten das zivilgesellschaftliche Engagement gestärkt und die lokale Wertschöpfung gesteigert werden. Das ist zum Beispiel bei bürgereigenen Solarparks der Fall.

"Unsere Analysen zeigen, dass die meisten Menschen die klimafreundliche Umgestaltung unseres Energiesystems grundsätzlich positiv sehen, aber wenn man sich die Bewertung der Umsetzung ansieht, finden wir durchgehend kritische Betrachtungen", sagt Wolf. "Das betrifft unterschiedliche Aspekte vor allem zu hohe Kosten, zu langsames Vorankommen, mangelnde Bürgernähe und unzureichende Transparenz."

Um den Schritt in die praktische Politik zu erleichtern, haben die Forscherinnen und Forscher ihre Analyse mit einem Online-Dashboard ergänzt, mit dem man sich einen Überblick über die Zustimmung zu verschiedenen Klimaschutzmaßnahmen in einer Region verschaffen kann. Dort lässt sich zum Beispiel herausfinden, dass die Zustimmung für ein Tempolimit auf Autobahnen 2021 mit 62 Prozent in Hamburg am größten war, und im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit 41 Prozent am kleinsten.

Das ist auch explizit als Werkzeug für Politikerinnen und Politiker gedacht. "Die wahrgenommene soziale Norm hat massiven Einfluss darauf, wie sich Menschen gerade in unsicheren Situationen verhalten. Da diese Wahrnehmungen von allerlei mentalen Verzerrungen beeinflusst sind, sind wissenschaftliche Daten hier so wichtig" erklärt Ingo Wolf. "Die Positionen einer kleinen, aber lauten Minderheit wird schnell als Mehrheitsmeinung wahrgenommen und hat sehr viel mehr Einfluss, als es eigentlich angemessen wäre. Auf Privatpersonen, aber auch auf politische Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen", sagt der Psychologe.

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