"Arche Noah" für Pflanzensamen:Tauwetter in der Körnerbank

In der "Weltsamenbank", dem Global Seed Vault auf Spitzbergen, werden Samen bei minus 18 Grad für die Ewigkeit konserviert. Doch das Eis schmilzt.

Birgit Lutz-Temsch

Ein schwacher blauer Schimmer über dem Eingang des Stollens lässt den Wind noch kälter wirken als er ist. Und die Dunkelheit scheint das wenige Licht förmlich aufzufressen.

"Arche Noah" für Pflanzensamen: Weil die nordischen Permafrostböden wie hier auf Spitzbergen aufweichen, ist ein weltweites Projekt zur Bewahrung von Pflanzensamen in Gefahr geraten.

Weil die nordischen Permafrostböden wie hier auf Spitzbergen aufweichen, ist ein weltweites Projekt zur Bewahrung von Pflanzensamen in Gefahr geraten.

(Foto: Foto: dpa)

Schon vor Wochen hat sich die polare Nacht über die Insel Spitzbergen gelegt, die Temperatur ist auf 25 Grad unter Null gesunken. Eine Schneedecke auf dem baumlosen Hang oberhalb des Flughafens von Longyearbyen verbirgt, dass dort vor noch nicht langer Zeit ein Bunker der besonderen Art gebaut wurde.

Dessen fest verschlossener Eingang, vom fahlen Licht einer Kunstinstallation beschienen, führt zu einem der am besten abgeschirmten Orte der Welt: dem Global Seed Vault, der "Weltsamenbank", in der einst Keime aller Nutzpflanzen der Welt konserviert werden sollen.

Mit großem Tamtam ist das Lager im vergangenen Februar eröffnet worden. Cary Fowler, Chef des Global Crop Diversity Trusts, der das Lager betreiben soll, präsentierte die in den Berg gefräste Kammer stolz der Öffentlichkeit. Die Medien nannten die Körnerbank "Arche Noah" oder "Doomsday Vault".

Die ersten Samen wurden im Frühjahr angeliefert, mehr als 320.000 sind es bis heute, von 2938 Pflanzenarten aus 220 Ländern. Fest verschlossen lagern die Keime 135 Meter weit im Inneren des Berges, bei minus 18 Grad.

Doch dann kam der Sommer. Der Berg rund um den Seed Vault geriet in Bewegung. In den Stollen tropfte Wasser. Der Bau, der die Nutzpflanzen der Erde für die Ewigkeit bewahren sollte, begann schon im ersten arktischen Sommer zu lecken. Spricht man Cary Fowler darauf an, hört man ein tiefes Seufzen. "Es ist zum Glück nicht viel passiert", sagt er, "die Kammern, in denen die Samen aufbewahrt werden, sind sicher." Das Problem sei nur im Bereich des Zugangsstollens aufgetreten.

Ursache ist der Permafrostboden Spitzbergens. Die jährliche Durchschnittstemperatur des Archipels liegt bei minus 6,7 Grad, das Erdreich an den Küsten ist bis zu 100 Meter tief gefroren. Im Innern der Inseln reicht der Frost bis 500 Meter tief.

Im Sommer taut nur eine dünne Schicht der Oberfläche auf. Zumindest war dies bisher so. Bohrungen im Adventfjorden unweit der Samenbank haben jedoch gezeigt, dass sich der Permafrost während der vergangenen 80 Jahre von vormals minus vier auf fast minus zwei Grad Celsius erwärmt hat - wohl weil die Lufttemperaturen seit einigen Jahren deutlich über dem Durchschnitt der Vergangenheit liegen.

Siedlungen in Gefahr

Viele nordische Gemeinden fürchten das Tauen des Permafrosts. Sie sind auf dem eisigen Untergrund gebaut. Sollte er tauen, befänden sich viele Siedlungen plötzlich auf Sümpfen ohne stabilen Untergrund. Fowler verneint allerdings den Zusammenhang zwischen den Schäden am Stollen und der Erwärmung des Permafrostbodens.

"Wir dachten, die Erde würde nach den Bauarbeiten schneller wieder frieren und sich festigen - das hat sie aber nicht getan." Und so sei das matschige Geröll rund um den Eingang der Weltkörnerbank in Bewegung geraten. Der Tunnel musste freigelegt und komplett erneuert werden. Anschließend wurde zusätzlich gekühlt, um das Erdreich auf seine alte Temperatur zu bringen.

"Auch wenn man ein Haus baut, passieren überraschende Dinge", rechtfertigt Fowler die Nachbesserungen, "wir haben noch nicht viele Seed Vaults in Permafrostboden gebaut. Es war unmöglich, vorherzusagen, wie schnell der Permafrost zurückkommen würde."

Tauwetter in der Körnerbank

Die Samenbank soll eine Art Sicherungskopie jeder Nutzpflanze der Welt aufnehmen. Die Idee entstand nach dem 11.September 2001 und konkretisierte sich nach dem Hurrikan Katrina. Die im Sommer aufgetretenen Schwierigkeiten sind für Fowler kein Grund, das Konzept in Frage zu stellen: "Wir haben gar keine andere Wahl", sagt er.

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(Foto: SZ-Karte: M.Wolf)

"Bauern betreiben keine Gen-Museen"

"Das globale Klima ändert sich, und wir müssen die Vielfalt der Kulturpflanzen erhalten, um adäquat auf diese Änderungen zu reagieren. Bauern können diese Aufgabe nicht leisten - sie betreiben keine Gen-Museen." Tatsächlich prognostizieren Klimaforscher, dass allein im südlichen Afrika in den kommenden Jahrzehnten 30 Prozent aller Pflanzenarten verloren gehen werden. Ein Übriges leistet der weltweite Trend zur Monokultur.

Fowler suchte also einen Ort, der drei Kriterien erfüllte: Er musste kalt sein und sicher, aber trotzdem erreichbar. Spitzbergen schien geeignet zu sein. Ein Fehler? Fowler sieht die Stabilität des Permafrosts nicht als Bedrohung. "Die Kammern mit den Samen liegen sicher unter solidem Felsgestein." Und auch die steigende Temperatur sei kein Problem: "Kein Ort der Welt ist kalt genug, um die internationalen Standards zur Einlagerung von Samen zu erfüllen. Wir müssen immer künstlich kühlen, ob von minus zwei oder von minus vier auf minus 18 Grad macht kaum einen Unterschied."

Damit überhaupt Samen in das Lager kommen, wird ein gewaltiger Aufwand betrieben. In dem um elf Uhr Vormittags in tiefe Dunkelheit eingehüllten Gebäude des Universitätszentrums von Svalbard sitzt Direktor Gunnar Sand, und geht mit der Biologin Pernille Bronken Eidesen die Liste der auf Svalbard gesammelten Pflanzen durch.

"Svalbard darf als einzige Region Samen einlagern, die nicht von Nutzpflanzen sind", sagt Sand, "wir haben um diese Ausnahme gebeten, da mit der globalen Erwärmung viele unserer hocharktischen Pflanzen verschwinden werden. Das hat viel zur Akzeptanz der Bank bei der hiesigen Bevölkerung beigetragen."

Von den 170 Pflanzenarten, die auf Svalbard wachsen, haben die Biologen bereits 88 gesammelt. "Das ist viel Arbeit", sagt Eidesen. "Man muss genügend Pflanzen mit Samen finden, dann muss man sie nach Longyearbyen bringen, zählen und in Tüten zu 50 Stück verpacken.

Außerdem müssen wir erst prüfen, ob sich die Pflanzen für diese Art der Einlagerung eignen, ob sie hinterher noch austreiben können." Also werden in regelmäßigen Abständen Samen aus dem Lager entnommen und getestet. Diese Tests wurden mit den eingelagerten Nutzpflanzen bereits gemacht, die ebenfalls in regelmäßigen Abständen erneuert werden. Für die nächsten 10.000 Jahre seien die Samen sicher, sagt Cary Fowler.

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