Archaeopteryx-Fossilien:Stelldichein der Urvögel

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Weltweit gibt es nur zehn Versteinerungen eines Archaeopteryx. Nicht von allen weiß man, wo sie sich befinden. Doch sechs der Fossilien sind jetzt in Deutschland zu sehen.

Patrick Illinger

"Freies Geleit" - das klingt wie ein Begriff aus längst vergangenen Zeiten. Martin Luther bekam es einst zugesichert, als er 1521 seine Lehre auf dem Reichstag von Worms rechtfertigen sollte. Auch der Revolutionär Lenin reiste mit freiem Geleit aus der Schweiz in einem plombierten Zug durch Deutschland, um das russische Zarenreich in den Sozialismus zu führen.

Gibt es so was heute noch? Oh ja, erst in dieser Woche hat die Bayerische Staatsregierung ein freies Geleit zugesichert. Erstaunlicherweise gilt es einem Urvogel, der vor 150 Millionen Jahren gestorben ist. Ein Archaeopteryx, halb Reptil, halb Vogel, dessen Überreste in einer Kalkplatte versteinert sind.

Wenn also an diesem Wochenende dessen Besitzer, ein Fossiliensammler namens Burkhard Pohl, mit dem Schieferkalk im Handgepäck am Münchner Flughafen eintrifft, hat er die juristische Gewissheit, dass er das Fossil auch wieder aus dem Freistaat ausführen darf.

Selbstverständlich war das nicht, denn Pohls Fossil, eines der besterhaltenen Exemplare der weltweit nur zehn bekannten Archaeopteryxe, ist einst auf merkwürdige Weise von seinem Fundort im bayerischen Altmühltal in Pohls Hände und dann in ein Museum in einer amerikanischen Kleinstadt gelangt.

Ein Schweizer Sammler soll es in den 1970er-Jahren gefunden haben. 2001 wurde es über einen Mittelsmann dem Frankfurter Senckenberg-Museum angeboten. Doch die Kuratoren brachten den geforderten Kaufpreis nicht auf.

Da kam Burkhard Pohl ins Spiel, ein Spross der gleichnamigen Kosmetik-Dynastie (Marke Wella) und Fossilienfanatiker. Ihm gelang es, angeblich mit einem anonymen Spender im Hintergrund, das Stück zu kaufen und für eine Weile überließ er es dem Senckenberg-Paläontologen Gerald Mayr der es wissenschaftlich untersuchte. Doch dann flog der Archaeopteryx davon - in das 3000-Einwohner-Städtchen Thermopolis in Wyoming, wo Pohl ein Dinosaurier-Museum betreibt.

Stippvisite in München

Das Entschwinden der "Nummer 10" erboste damals Teile der Fachwelt. Reinhold Leinfelder, seinerzeit noch Chef-Paläontologe der Bayerischen Staatssammlung und heute Leiter des Naturkundemuseums in Berlin, beklagte in der Zeitschrift Science, dass es nicht gelungen sei, das Exemplar mit öffentlichen Mitteln zu kaufen oder zum nationalen Kulturgut zu erklären.

Wissenschaftler fürchten, dass es nun jederzeit in den Privatgemächern eines wohlhabenden Sammlers verschwinden könnte. Dass die "Nummer 10" nun auf Stippvisite nach München kommt, ist insofern ein bemerkenswerter Vorgang.

Doch damit nicht genug: Pohls Fossil ist nur einer von sechs Archaeopteryxen, die an diesem Wochenende in den Räumen der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie erwartet werden. Den Fachleuten bietet das die einmalige Chance, sechs Exemplare des Urvogels direkt zu vergleichen.

Unter ihnen wird auch ein bislang unbekanntes Exemplar sein, das noch nie im Original zu sehen war. Zu diesem Stelldichein der Urvögel haben sich ein Dutzend namhafter Experten angekündigt, unter ihnen Mark Norell vom American Museum of Natural History in New York.

"Wir können zum ersten Mal direkt untersuchen, ob es sich bei den verschiedenen Exemplaren um ein und dieselbe Art handelt, oder ob es womöglich verschiedene Archaeopteryxe gab", sagt Oliver Rauhut, Wirbeltierexperte und zuständiger Kurator bei der Bayerischen Staatssammlung.

Rätsel des Urvogels

Als eine Ikone der Evolution hat der Archaeopteryx allgemeine Berühmtheit erlangt. Ausgestattet mit Federn und Flügeln, aber einem Reptilienkopf und langem Schwanz scheint er das Bindeglied zwischen Dinosauriern und heutigen Vögeln zu sein. Doch es gibt auch Rätsel. Saurier und Vögel haben ein knöchernes Brustbein. Bei Archaeopteryx besteht das entsprechende Körperteil aus Knorpel.

Bildet er doch nur eine ausgestorbene Seitenlinie der Evolution? Und kann es sein, dass alle heutigen Vögel ausgerechnet aus Mittelbayern stammen, dem weltweit bislang einzigen Fundort von Archaeopteryxen? Gab es vor 150 Millionen Jahren keine ähnlichen Tiere in anderen Erdteilen? Das sind hochaktuelle und ungeklärte Fragen, auch 148 Jahre nach dem ersten Archaeopteryx-Fund.

Möglich gemacht hat die Zusammenkunft in der kommenden Woche kein Wissenschaftler, sondern der Münchner Fossilienfan Christoph Keilmann. Er ist der Sohn von Johannes Keilmann, der seit 46 Jahren die Münchner "Mineralientage" organisiert. In einer Sonderschau während der diesjährigen Steine-Messe will Keilmann die sechs Archaeopteryxe vom 30. Oktober bis zum 1. November auch der Öffentlichkeit präsentieren.

Dass die Urvögel dort im Umfeld von Edelsteinen, Designerschmuck und Wellness-Kristallen zu sehen sein werden, zeigt den Zwiespalt zwischen dem Interesse der Wissenschaft und der Tatsache, dass Fossilien eben auch Handelsware sind.

In Deutschland sind Tausende Privatsammler und Fossiliensucher angetrieben von der Hoffnung, einmal einen wertvollen Fund zu machen. Entsprechend werden die allermeisten Fossilien nicht von Wissenschaftlern gefunden, sondern von ambitionierten Sammlern. Oft sind es auch Arbeiter auf Steinbrüchen, die Fossilien über Zwischenhändler an Sammler weitergeben.

Wissenschaftler stehen vor dem Dilemma, dass ohne die Sammler, wie man sie täglich auf Steinbrüchen rund um Solnhofen antrifft, nicht genügend Fossilien auftauchen würden. Andererseits sind die meisten Sammler wie Schatzsucher von der Hoffnung auf einen wertvollen Fund angetrieben. Ein guter Archaeopteryx ist heute mehr als drei Millionen Euro wert. Klar, dass so etwas nicht unbedingt in den Händen der Wissenschaft landet.

Forderung nach dem Gesetzgeber

So war das auch bei einigen der in den vergangenen Jahrzehnten bekannt gewordenen Archaeopteryx-Fossilien. Das fünfte Exemplar zum Beispiel wurde erst 22 Jahre nach seinem Fund bekannt. Um den sechsten, 1985 entdeckten Urvogel entbrannte ein jahrelanger Rechtsstreit, weil ein Steinbruchbesitzer behauptete, das Fossil sei von einem seiner Arbeiter unter der Hand verkauft worden.

Die skurrilste Geschichte rankt sich jedoch um das so genannte Maxberg-Exemplar. 1956 entdeckten Arbeiter es auf einem Steinbruch zwischen Solnhofen und Langenaltheim, erkannten aber die Bedeutung nicht und stellten die Plattenteile in eine Hütte, wo sie zwei Jahre lang blieben.

Erst 1958 zeigte es der Besitzer des Steinbruchs, Eduard Opitsch, einem Paläontologen, woraufhin die Versteinerung korrekt identifiziert wurde. Der Besitzer versuchte zunächst sein Fossil meistbietend zu verkaufen, doch dann schlug er alle Angebote aus und überwarf sich mit Interessenten wie der Bayerischen Staatssammlung.

Opitsch, den Zeitgenossen als "schwierige Persönlichkeit" beschrieben, stellte seinen Fund zwar noch einige Jahre lang im Museum von Maxberg aus, verweigerte jedoch Wissenschaftlern den Zugriff. 1974 nahm er das Fossil schließlich aus der Ausstellung und verwahrte es in seinen Privathaus in Pappenheim.

Nach seinem Tod im Jahr 1991 war der Archaeopteryx dann spurlos verschwunden. Unter seinem Bett, wo es Zeugen noch vor seinem Tod gesehen haben wollen, war es nicht. Eine dem Fossil nachempfundene Gravur ziert Opitsch Grabstein, was bis heute das Gerücht nährt, er habe die Versteinerung mit ins Grab genommen.

Seit diesem Verlust fordern Forscher eine gesetzliche Regelung zum Umgang mit Fossilien. Versteinerungen sind Ländersache, doch in Bayern gibt es kein Gesetz dazu. Ein entsprechender Vorstoß der Landtags-SPD wurde vor einigen Jahren von der regierenden CSU abgelehnt.

Die Fossilien-Szene

Fossilienhändler argumentieren unterdessen mit den selbstreinigenden Kräften des Marktes. "Irgendwann landet jedes Fossil bei der Wissenschaft", sagt Raimund Albersdörfer aus Schnaittach, einer der größten Fossilienhändler Europas, und liefert gleich das beste Beispiel für seine These.

In den vergangenen Wochen hat er ein seit Jahren verborgenes Archaeopteryx-Exemplar gekauft, die sogenannte "Nummer 8". Von wem und zu welchem Preis, das will Albersdörfer nicht sagen, nur so viel: Das Exemplar wurde vor rund 20 Jahren bei Daiting gefunden. Der Finder muss sich ausgekannt haben, denn er klopfte den Fund nicht sofort auf, sondern erkannte die Brisanz an braunen Punkten auf der Kante einer Kalkplatte.

Danach befand sich die "Nummer 8" in einer Privatsammlung. 1996 war kurzzeitig ein Abguss im Bamberger Naturkundemuseum ausgestellt, seither kursierten nur Fotografien. Vor zwei Monaten habe er das Stück erstmals zu sehen bekommen, sagt Albersdörfer, und es "absolut legal" erworben.

Nun stellt er es als eines der sechs Exemplare dem Münchner Treffen zur Verfügung, damit die Wissenschaftler es untersuchen können. Irgendwann, da ist Albersdörfer sicher, wird auch das sagenumrankte Maxberg-Exemplar auftauchen, "in dem Grab liegt es jedenfalls nicht". Das sagt auch Christoph Keilmann. Er deutet sogar an zu wissen, wer das Fossil hat. "Die Szene ist so klein", sagt Keilmann, "da kennt jeder jeden."

© SZ vom 24.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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