Süddeutsche Zeitung

Archäologie:Wird Troja zum Disneyland?

Die türkische Regierung setzt zunehmend auf touristisch attraktive Rekonstruktionen antiker Stätten - dafür gibt es immer weniger Geld für die Forschung, warnt der deutsche Archäologe Ernst Pernicka. Er weiß, wovon er spricht, schließlich war er Leiter der Troja-Ausgrabungen. Eine Bilanz von 25 Jahren Arbeit am Schauplatz der Ilias.

Hubert Filser

In Troja geht eine Ära zu Ende: Seit 1988 graben Tübinger Archäologen an diesem Ort im Nordwesten der Türkei, wo sich wahrscheinlich vor mehr als 3000 Jahren der von Homer in der Ilias beschriebene Krieg abgespielt hat. 2006 hatte Ernst Pernicka die Grabungsleitung von seinem verstorbenen Vorgänger Manfred Korfmann übernommen. Im kommenden Jahr werden vermutlich amerikanische Forscher die Grabungslizenz erhalten.

SZ: Sie kommen gerade von Ihrer letzten Troja-Grabung zurück. Mit welchem Gefühl haben Sie das Gelände verlassen?

Pernicka:Ich bin nicht betrübt gegangen, weil wir unseren Beitrag geleistet haben, so gut wir konnten. Schon als ich die Aufgabe von meinem Kollegen Manfred Korfmann übernommen habe, war klar, dass es ein begrenztes Projekt sein würde. Ich bin auch erleichtert, weil ich nun mehr Zeit für andere Arbeiten habe. Die große Aufmerksamkeit für Troja ist Segen und Fluch zugleich, das Projekt hat viel mehr Zeit eingenommen, als ich dachte - auch aufgrund der öffentlichen Resonanz.

Was ist Ihr Fazit aus 25 Jahren Troja-Forschung?

Troja ist ein Referenzort der Archäologie. Wie mein Vorgänger bin ich der Meinung, dass Troja einer der wichtigsten Ausgrabungsorte der Ostägäis ist, es war von 3000 vor Christus bis ins Mittelalter besiedelt. Troja war auch nie ganz verlassen, wie oft geschrieben wurde. Die Stadt ist nach der in der Ilias verewigten Phase bereits in der Antike zu einer Art Wallfahrtsort geworden.

Was meinen Sie mit Wallfahrtsort?

Die Menschen in der Antike wussten, wo das Troja der Ilias liegt, die sich auf ein Ereignis in der Bronzezeit bezieht, circa 1200 vor Christus. Es war ein Ort mit hoher symbolischer Bedeutung, so wie heute vielleicht Jerusalem. Die Menschen haben Troja als Erinnerungsort besucht und dabei die von Homer beschriebene Szenerie vorgefunden.

Die Menschen der Antike besuchten Troja als Touristen?

Ja, wir haben Hinweise auf antiken Massentourismus gefunden, die ganze Region hat von den Besuchern profitiert. Im Athena-Heiligtum auf der Zitadelle wurden bereits in der Antike Fundstücke der Schlacht von Troja gesammelt. Alexander der Große hat zum Beispiel seinen Schild gegen einen im Tempel aufbewahrten ausgetauscht.

Dass Troja tatsächlich die Szenerie in der Ilias abbildet, ist aber immer noch umstritten. Wie ist der aktuelle Stand der Beweisführung?

Für mich ist klar, dass wir uns im Troja der Ilias befinden. Wir haben eine strukturierte Stadt mit Unterstadt und kultischem und/oder administrativem Zentrum, wir haben eine Verteidigungsanlage, wir finden topografische Beschreibungen der Ilias in der Umgebung wieder und es ist die größte Ansiedlung im Umkreis von 80 Kilometern. Die von uns untersuchte bronzezeitliche Unterstadt hat eine nachgewiesene Ausdehnung von mehr als 30 Hektar. Mit dem äußeren Graben würde sie vielleicht am Ende gegen 40 Hektar gewachsen sein. Damit ist die Größe von Troja etwa mit Mykene vergleichbar, es war auf jeden Fall ein regionales Machtzentrum. Mit neuen Techniken sind die Funde absolut sicher datiert. Leider konnten wir bislang keine Gräber finden. Wir wissen aber heute, dass wir danach außerhalb der nunmehr gefundenen Stadtgrenze suchen müssen.

Welche weiteren Fragen sind zu klären?

Wir haben ja in deutlichem Abstand zur Zitadelle einen vier Meter breiten und zwei Meter tief in den Felsen geschlagenen Graben gefunden, der in Verbindung mit einem Wall wohl als Verteidigungsanlage diente. Später haben die Trojaner den Graben zugeschüttet und etwa 100 Meter weiter entfernt einen neuen Graben ausgehoben, vermutlich weil die Stadt gewachsen ist. Meiner Ansicht nach würde es sich lohnen, diesen Graben genauer zu untersuchen, um diese entscheidende Frage nach der Ausdehnung des bronzezeitlichen Trojas besser beantworten zu können. Bislang haben wir von der Unterstadt nur etwa drei Prozent erforscht.

Warum enden nun ausgerechnet jetzt Ihre Grabungen?

Natürlich wäre es reizvoll, hier weiterzuarbeiten. Aber wir graben heute nicht mehr wie einst Heinrich Schliemann und räumen die jüngeren Schichten aus der griechisch-römischen Zeit einfach weg, um zur Bronzezeitbebauung zu gelangen. Wir müssen das alles sorgfältig ausgraben, und das ist eben aufwendiger. Dazu haben wir nicht das Geld.

Offenbar können amerikanische Archäologen wie William Aylward, der als möglicher Grabungsleiter immer wieder genannt wird, die nötigen Gelder organisieren. Er will den antiken Marktplatz der Unterstadt freilegen.

Das halte ich auch für sinnvoll. Nur dort, oder unter dem derzeitigen Besucher-Parkplatz, haben wir eine Chance, an die darunterliegenden Bronzezeit-Schichten zu kommen.

Aylward möchte den Marktplatz sogar in Teilen wiederaufbauen. Was halten Sie denn davon, wenn antike Trümmerfelder wieder zu dekorativen Bauten aufgerichtet werden? Schafft man da ein archäologisches Disneyland?

Schon jetzt besuchen 500 000 Menschen im Jahr allein Troja. Die türkische Kulturverwaltung verlangt, dass sich die Forscher mehr um Restaurierung und das Wiederaufrichten von Bauten kümmern sollen als um die wissenschaftlichen Fragen. Es gibt das Gerücht, dass alle Archäologen in der Türkei im kommenden Jahr nur noch eine Aufarbeitungs- und Restaurierungsgenehmigung bekommen werden. Dies macht die Situation für Forschungsprojekte künftig schwieriger. Die Präsentation verschlingt zudem viel Geld.

Was sagt der Forscher in Ihnen zu dieser Entwicklung?

Der Forscher sagt, dass ich Forschungsgelder nicht für Restaurierungszwecke verwenden darf. Wenn das nicht anders möglich ist, muss man mit der Forschung aufhören. Die Archäologie steht in der Türkei an einem Scheideweg.

Übt die türkische Regierung denn Druck aus auf Forscher?

Ein Beispiel: Das Penn-Museum in Philadelphia hatte 1966 aus der Türkei stammende Goldobjekte angekauft, zuvor aber offiziell in der Türkei angefragt, ob sie Interesse an den Objekten hätte. Die Regierung verneinte. Als die türkischen Verantwortlichen nun mitbekommen haben, dass unsere Untersuchungen von Sedimentresten an diesem Schatz eine Herkunft aus der Region Troja nahelegen, haben sie die Rückgabe der Funde gefordert. Dieses Gold ist nun Anfang September als Dauerleihgabe nach Ankara gekommen.

Was ist daran falsch?

Die Objekte sind legal gekauft worden. Museumsdirektor Brian Rose wollte einen jahrelangen Streit vermeiden, das Museum ist auch bei künftigen Ausstellungen auf türkische Kooperation bei Leihgaben angewiesen. Ich sehe da ein gewisses Erpressungspotenzial.

Wer wird im kommenden Jahr die Grabungslizenz für Troja erhalten?

Die Tendenz haben die Verantwortlichen in der Türkei klar formuliert. Troja soll als internationales Projekt weitergeführt werden, unter türkischer Leitung. Die bestehende Kooperation könnte also erhalten bleiben. An Tübingen soll es nicht liegen. Wir werden weiterhin das Troja-Archiv und unsere Erfahrung gerne einbringen und uns bei Bedarf mit einem kleinen Team weiterhin an der Erforschung der bronzezeitlichen Unterstadt beteiligen. Die Entscheidung des amerikanischen Teams steht noch aus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1467696
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.09.2012/hmet
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.