Süddeutsche Zeitung

Archäologie:Die Göttin aus dem Graben

Ausgräber haben in Unterfranken eine Tonstatuette gefunden, die womöglich eine Wassergöttin darstellen soll. Der Fund ist für Mitteleuropa bislang einzigartig.

Von Jakob Wetzel

Sie sei erst auf einer völlig falschen Fährte gewesen, sagt Oberkonservatorin Stefanie Berg vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Im März 2021 hatten Archäologen in der Nähe von Mönchstockheim bei Schweinfurt im Zuge von Straßenbauarbeiten eine Tonstatuette aus dem Boden gezogen. Die Figur maß 19 Zentimeter, hatte ein filigran gearbeitetes Gesicht und jeweils fünf Mal durchlöcherte Ohren. Als Berg erste Fotos sah, dachte sie an Bulgarien: Tonfiguren mit solchen Löchern kenne man aus der westlichen Schwarzmeerregion, aber aus dem fünften Jahrtausend vor Christus, sagt sie. Wie um alles in der Welt kam eine solche Figur ins heutige Unterfranken?

Tatsächlich hat die Statue mit Bulgarien wohl nichts zu tun, sie ist deshalb aber nicht weniger rätselhaft. Wissenschaftler datierten per Radiokarbonmethode ein Stück Holzkohle und ein verbranntes Getreidekorn, die direkt neben der Figur lagen, und stellten fest: Beides stammte aus dem 8. bis 6. Jahrhundert vor Christus. Laut dem Landesamt für Denkmalpflege könnte es sich um die Statue einer Wassergottheit handeln. Einen solchen Fund habe es in Mitteleuropa bisher nicht gegeben, sagt Mathias Pfeil, der Leiter des Landesamts. Am Mittwoch hat das Amt die Statue in München vorgestellt.

Die Statue stammt aus der sogenannten Hallstattzeit, also aus der frühen Eisenzeit in Mitteleuropa. Anders als aus der vorangegangenen Urnenfelderkultur sind aus dieser Zeit teils sehr reich ausgestattete Gräber erhalten, was dafür spricht, dass es lokale Eliten gab. Zudem ist belegt, dass die Menschen Handel bis in die Toskana trieben, sowie nach Griechenland und ans Schwarze Meer.

Wurde die Figur bewusst deponiert, um Wasser zu erbitten?

Die Statue ist deshalb aber nicht unbedingt ein Importgut. Es sei möglich, dass diese Art der Gestaltung an verschiedenen Orten unabhängig voneinander erfunden worden sei, meint Stefanie Berg. Doch was die Statue darstellt, ist unklar. Mehrere Stellen im Gesicht sind abgebrochen; die Figur hatte einst wohl eine Hakennase und vergrößerte Wangenknochen, wobei Letztere auch Hörner gewesen sein können oder eine Art Ring um den Kopf. Die Nase erinnere daran, wie damals Wasservögel dargestellt wurden, sagt Berg. Und die Löcher in den Seiten erinnerten an mit Ringen verzierte Hauben, wie man sie aus Frauengräbern aus der Hallstattzeit kenne. Vermutlich sei die Figur also weiblich.

Die Figur sei raffiniert gemacht, sagt der Restaurator Clemens Köhler. Sie sei aus einem Stück geformt und habe anfangs auch Beine gehabt. Hergestellt haben sie wohl Menschen einer nahen Siedlung; neben der Figur wurden Tonscherben gefunden, darunter ein ungewöhnlicher Stempel aus Ton, mit dem einst wohl Brotteig verziert wurde. Und es lagen knöcherne Werkzeuge im Boden, was auf eine nahe Werkstatt schließen lässt.

Dafür, dass es sich um eine Wassergottheit handeln könnte, spricht vor allem der Fundort. Die Figur lag an der tiefsten Stelle einer Wasserrinne, aus der die Menschen in der Eisenzeit wohl Wasser schöpften. Dort war sie wohl bewusst deponiert worden. Wäre sie zufällig dorthin geschwemmt worden, hätte das Spuren hinterlassen. Und womöglich habe sie mit einer Dürre zu tun, meint Berg: Denn im Boden über der Rinne gebe es keine Hinweise mehr auf Wasser, der Wasserlauf sei verlandet. Dann hätten die Menschen die Figur vielleicht in ihre alte Wasserquelle gelegt, um göttlichen Beistand gegen die Trockenheit zu erbitten.

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