Archäologie:Unterhachings China-Connection

Im oberbayerischen Unterhaching handelten die Mächtigen schon im 5. Jahrhundert mit Preziosen aus Indien und China - wie die Auswerung von Grabfunden ergab.

Hans Kratzer

Vor vier Jahren sind beim Bau eines Bauernhofs im Münchner Nachbarort Unterhaching zehn Gräber aus dem 5. Jahrhundert zum Vorschein gekommen. Schnell ahnten die Archäologen, dass sich dieser Fund als außergewöhnlich erweisen könnte. Die Gräber waren von Plünderern verschont geblieben, die Beigaben fielen aus dem gewohnten Rahmen.

Archäologie: Vogelfiebeln werden diese Umhangspangen genannt, die aus der Zeit um 500 nach Christus stammen.

Vogelfiebeln werden diese Umhangspangen genannt, die aus der Zeit um 500 nach Christus stammen.

(Foto: Foto: Archäologische Staatssammlung München)

Nach jahrelangen Untersuchungen und Analysen stellte sich nun heraus, dass tatsächlich ein Sensationsfund vorliegt, der ein strahlendes Licht auf eine ziemlich im Dunklen liegende Zeit wirft. "Die Grabbeigaben stellen alle bisherigen Funde in Bayern aus dieser Zeit in den Schatten", sagt Jochen Haberstroh vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege.

Noch längst ist der Fundkomplex nicht vollständig ausgewertet, aber eines steht fest: Einige Familien, die vor 1500 Jahren am Hachinger Bach gewohnt haben, importierten bereits damals Stoffe und Schmuck aus China und Indien. Noch bevor sich also die ersten Bajuwaren breitmachten, sind in Oberbayern bereits Spuren einer frühen Globalisierung und weitreichender Handelsbeziehungen erkennbar. Außerdem lassen die Grabbeigaben keinen Zweifel daran, dass die Toten aus Unterhaching Christen waren - lange bevor iro-schottische Wandermissionare ins Land reisten, um die Bayern zu bekehren.

Vieles deutet darauf hin, dass der Raum um München lange vor der Gründung der Landeshauptstadt eine größere Bedeutung besaß, als bisher vermutet wurde. Die Region Unterhaching könnte neben den großen Römerstädten Augsburg, Regensburg und Salzburg ein weiteres bedeutendes weströmisches Machtzentrum gewesen sein. "Der Hachinger Bach war wohl wichtig, auch wenn man ihm das heute nicht mehr zutraut", folgert Haberstroh.

Viele Jahrhunderte lang stand das heutige Südbayern unter der Herrschaft der Römer. Im Jahr 488 löste sich das römische Weltreich auf, die Soldzahlungen an die Truppen wurden eingestellt, die Beamten verließen das Land. Um 550 taucht dann Garibald auf, der erste namentlich bekannte Herzog der Bajuwaren, die wie aus dem Nichts in die Geschichte eintreten.

Was in den Jahrzehnten dazwischen geschah, ist rätselhaft, ebenso sind es die Bajuwaren. Da die zehn Toten genau in dieser Zeit, also zwischen 480 und 520, bestattet wurden, öffnen sie und ihre Grabbeigaben ein Fenster in eine weitgehend unbekannte Welt. Vielleicht waren sie Angehörige der römischen Restbevölkerung, die im Land geblieben war und sich mit den aus allen Richtungen herbeiströmenden Germanen vermischte. Es war die Zeit der Völkerwanderung. "Hier verkehrte eine Art Multikulti aus allen Richtungen", sagt Brigitte Haas-Gebhard von der Archäologischen Staatssammlung in München. Sie hat die Untersuchung des Fundes federführend geleitet.

Goldborten, Glasperlen, Spangen

Die Toten haben allem Anschein nach einer reichen und mächtigen Familie angehört. Zwar lebten jene vier Männer, fünf Frauen und ein kleines Mädchen in kriegerischen Zeiten, aber sie waren vor bewaffneten Angriffen offenbar geschützt. Jedenfalls weisen die Skelette keine Spuren von Verletzungen auf.

Die Gräber der Männer waren eher spärlich ausgestattet, sagt Frau Haas-Gebhard, im Vergleich zum Mittelalter also mickrig. Umso üppiger aber waren die Frauengräber bestückt. Dort kamen einzigartige Objekte zum Vorschein, die schon damals von unschätzbarem Wert gewesen sein müssen. Der Leiche einer jungen Frau hatte man einen Schleier mit golddurchwirkter Borte aufs Haupt gelegt. Im Halsbereich lagen zwei Vogelfibeln neben den Glasperlen einer Halskette. Die größte Sensation aber sind die beiden identisch gearbeiteten Scheibenfibeln, die auf dem Steißbein der Toten lagen. Dargestellt sind auf ihnen vier sich jeweils paarweise anblickende Raubvögel mit ausgebreiteten Schwingen.

Als völlig neu für diese Zeit gelten goldbesetzte Stirnbänder und Fibeln, die mit Edelsteinen aus Indien besetzt sind und frühe Christussymbole wie Fisch und Adler tragen. Auch die Reste von feinster Seide sind ungewöhnlich. "Wir haben aus dieser Zeit zwischen 480 und 520 keine Hinweise auf solch hochwertige Textilien", sagt Frau Haas-Gebhard.

Die im Hachinger Tal ansässige Familie war also in der Lage, sich mit Seide aus China, Edelsteinen aus Rajahstan und Schmuckstücken aus den Goldschmiedewerkstätten des Südens zu versorgen. Seide war bislang in Bayern kaum nachzuweisen, erst vor wenigen Jahren wurde in einem Grab bei Ergolding/Landshut aus dem 7. Jahrhundert erstmals überhaupt im bayerischen Raum der Nachweis dafür erbracht.

Der Fund von Unterhaching gibt den Archäologen und Historikern Hoffnung, das geheimnisvolle frühe 6. Jahrhundert in Bayern doch noch zu enträtseln. Die Familie hatte offenbar eine hohe Machtstellung in der Zeit der Wirrnisse nach dem Untergang des Römerreichs. War sie noch reströmischer Provenienz, oder hatte sie mit Theoderich (493-526) zu tun, der in Altbayern Germanen aus allen Himmelsrichtungen ansiedelte? Oder gehörte sie zu dem Verbund, aus dem die bajuwarischen Herrschaftsträger hervorgingen, die zusammen mit den aus dem Frankenreich kommenden Agilofingern die früheste Spitze des Bajuwarenstammes bilden sollten - und damit den Grundstein legten für den ältesten Staat Europas, als der sich die Bayern noch heute gerne rühmen?

Die Fundstücke werden gerade für eine große Ausstellung vorbereitet, die im kommenden Januar in der Archäologischen Staatssammlung zu sehen sein wird. Und zwar zusammen mit ähnlich spektakulären Funden aus aller Welt wie der ostgotischen Adlerfibel von Domagnano, einem Symbol der Völkerwanderugnszeit, einem koptischen Grabstein aus Ägypten und alter Seide aus China.

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