Archäologie:Römische Betonmeister

Colloseum

Für römische Bauwerke der Antike wie das Kolosseum in Rom wurde auch ein betonähnlicher Stoff verwendet: Opus caementitium

(Foto: AP/Gianni Foggia)

Auf der Suche nach neuen Rezepturen entdecken Zementhersteller ein antikes Vorbild: Die alten Römer mischten einen härteren Baustoff, als er in modernen Wolkenkratzern steckt.

Von Andrea Hoferichter

Wenn Marie Jackson über Beton spricht, geht es nicht um Keller, Lärmschutzwände oder Wolkenkratzer, sondern um eine Reise in die Vergangenheit, zu den Betonbauwerken des Römischen Reichs, zu Tempeln und Theatern - und zu einem haushohen Betonklotz vor der Küste Italiens nahe Neapel.

"Dieser Wellenbrecher ist noch intakt, obwohl er mehr als 2000 Jahre lang Meerwasser und Wellen ausgesetzt war", sagt die Forscherin der University of California, Berkeley. Sie zeigt eine Probe des Materials vom Format einer Konservendose und mit einer Oberfläche, die an eine glattgeschliffene Waschbetonplatte erinnert. "Das ist das beständigste Material der Welt", schwärmt sie. Und es ist deutlich klimafreundlicher herzustellen als Beton von heute.

Ursprünglich haben Phönizier und Griechen den Beton erfunden, aber die Römer haben den Baustoff im zweiten oder dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung technisch und wirtschaftlich zur Perfektion getrieben. Ihr "Opus caementitium" war eine Mischung aus Kalk, Sand, Vulkanasche (Puzzolane) sowie Kieseln und härtete mit Wasser zu einem steinharten Material aus.

Aus archäologischen Untersuchungen und zeitgenössischen Schriften verschiedener Baumeister wissen Historiker und Materialforscher heute einiges über die antiken Rezepturen und Bautechniken. Der Architekt Vitruv etwa beschreibt in seinem Werk "De Architectura" unter anderem den Bau eines Wellenbrechers, nennt Materialien und skizziert sogar den Aufbau der kastenförmigen Unterwasser-Holzverschalung.

Römischer Beton

Schnitt durch ein antikes Betonstück aus dem Meer vor Neapel

(Foto: Carol Hagen)

"Aber wir wissen noch längst nicht alles", sagt Jackson. So war bis vor Kurzem unklar, was genau den altrömischen Beton physikalisch und chemisch so widerstandsfähig macht. Deshalb haben die Forscher aus Kalifornien ihre Wellenbrecherprobe mit Teilchenbeschleunigern, Röntgenstrahlern, Spektroskopen und Mikroskopen gründlich durchleuchtet.

Beteiligt waren auch Wissenschaftler aus New York, Italien, Frankreich, Deutschland, Saudi-Arabien und der Türkei. Das internationale Team hatte dabei vor allem Kristalle im Visier, die man Jackson zufolge nur im römischen, nicht aber im modernen Beton findet: Aluminium-Tobermorit.

Wie die Forscher im Fachblatt Journal of the American Ceramic Society berichten, sind diese Kristalle deutlich druckfester als vergleichbare Strukturen im konventionellen Beton. "Das Material scheint außerdem eine bindende Funktion zu haben und ist fest in die zementierende Matrix integriert", berichtet Jackson.

Geeignet, radioaktives Material zu binden

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Beton nach Römerart sogar geeignet wäre, radioaktive Stoffe zu binden und Betonhüllen, beispielsweise für die Lagerung von Atommüll, noch langlebiger zu machen. Als nächstes wollen die Forscher prüfen, wie Chloride und Sulfate im Material gebunden sind, denn gerade diese Minerale sind Schwachstellen des modernen Betons. "Das Verständnis der Materialeigenschaften ist wichtig, um gezielt neue Betonmischungen mit vulkanischen Aschen herzustellen und ihre Langlebigkeit und Festigkeit vorherzusagen", sagt die Forscherin.

Tatsächlich ändern Zementproduzenten derzeit weltweit ihre Rezepturen. Das liegt auch an der schlechten Kohlendioxidbilanz ihres Produkts, dem Portlandzement, der vor allem aus Kalk, Ton, Sand und Eisenerz hergestellt wird. "Pro Tonne Kalkklinker entstehen 0,85 Tonnen Kohlendioxid", sagt Horst-Michael Ludwig von der Bauhaus-Universität Weimar. Insgesamt ist die Zementindustrie für etwa fünf Prozent der menschengemachten Kohlendioxidemissionen verantwortlich und produziert damit mehr Treibhausgas als die Stahlindustrie oder der Flugverkehr.

Die Emissionen sind dabei nur zu 30 Prozent die Folge der Energie, die nötig ist für den Abbau und das Mahlen von Kalkstein. Der Rest wird direkt aus dem Rohstoff freigesetzt, wenn beim Kalkbrennen aus Kalziumkarbonat Kalziumoxid wird. Zwar mussten auch die Römer für ihren Beton Kalkstein abbauen, mahlen und brennen. Sie brauchten dafür aber nur Temperaturen um 900 statt 1450 Grad Celsius. Und der römische Betonkleber enthielt höchstens zehn statt bis zu 25 Prozent Kalk.

Die Zementhersteller ersetzen nun immer mehr Kalk zum Beispiel durch Flugasche, ein Abfallprodukt aus Kohlekraftwerken, oder durch Hochofenschlacke aus der Eisenerzaufbereitung. In Deutschland kommt auch das natürliche Vulkangestein Trass und in Italien beispielsweise natürliche Vulkanasche wieder verstärkt zum Einsatz.

Das Ziel der Hersteller ist, etwa 40 Prozent des Kalks auszutauschen. So wird der moderne Beton dem römischen Urtyp wieder ein Stück ähnlicher. Komplett auf die alten Rezepte umzusteigen, kommt für Ludwig aber nicht in Frage. "Moderne Zemente liefern viel gleichmäßigere Ergebnisse", sagt er. Sie härten schneller als die antike Variante aus Kalk und Asche, und sie lassen sich durch diverse Zusätze für verschiedenste Anwendungen maßschneidern, von filigranen Designermöbeln bis zu Wolkenkratzern.

Dennoch arbeitet auch die Ausgründung Celitement des Karlsruher Instituts für Technologie an ganz neuen Betonbindemitteln, die ebenfalls mit weniger Kalk auskommen und in Autoklaven bei hohem Druck und höchstens 300 Grad Celsius erhitzt werden. Bis diese auf den Markt kommen, werden aber noch einige Jahre vergehen.

Ganz gleich welche Rezepturen sich durchsetzen werden, ein Ende des Betons ist nicht in Sicht. Die Internationale Energieagentur rechnet mit einer Weltjahresproduktion von rund viereinhalb Milliarden Tonnen Zement im Jahr 2050. Zurzeit sind es gut dreieinhalb Milliarden Tonnen.

Von so einer Entwicklung konnten die Römer nur träumen. Nach dem Untergang des Römischen Reiches bliebe ihr Baustoffwissen jahrhundertelang ungenutzt. Erst im 19. Jahrhundert, mit der Entwicklung des Portlandzements, wurde Beton wieder zu einem beliebten Baumaterial.

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