Süddeutsche Zeitung

Chemie:Die Farben der Vergangenheit

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Von Andrea Hoferichter

Vor mehr als 2000 Jahren waren Stoffe in der Regel komplett bioabbaubar. Schließlich bestanden sie aus Wolle, Seide oder Pflanzenfasern, verschönert mit Farben aus Wurzeln, Blättern, Schnecken oder Läusen. Gut für die Umwelt, aber schlecht für die Arbeit von Archäologen und Historikern, denn nur wenig Textiles von damals ist noch erhalten. Und bei manchen Fundstücken lässt sich selbst unterm Mikroskop nicht mehr erkennen, aus welchem Material sie sind und welche Farbe sie ursprünglich hatten. "Dabei kann man wichtige Rückschlüsse aus historischen Textilfunden ziehen. Zum Beispiel, welche Ressourcen verfügbar waren, ob Handel betrieben wurde, welchen Status der Besitzer hatte und wie weit Textil- und Färbetechniken entwickelt waren", sagt Annemarie Kramell von der Universität Halle.

Die Chemikerin untersucht schon seit einigen Jahren Farbstoffe aus Textilproben, die zum Teil mehr als 2000 Jahre alt sind. Bisher mussten die farbigen Substanzen für die Analysen aber erst aus den Fasern herausgelöst werden. Eine Variante der Massenspektrometrie kommt ohne diesen Zwischenschritt aus und liefert den Chemikern aus Halle nun erstmals ein Bild, wie Farbstoffe räumlich in Textilproben verteilt sind. "Damit können wir sehen, wie unterschiedlich gefärbte Fäden im Material verlaufen und welche Farben miteinander gemischt wurden", erklärt Kramell.

Eine der Proben stammt aus einem Bleisarg im Magdeburger Dom

Die meisten Proben für die Untersuchungen sind mehr als 2000 Jahre alt, wie das Team kürzlich im Fachblatt Scientific Reports berichtete. Sie stammen von Trockenmumien aus der Autonomen Region der Uiguren Xinjiang in China und aus Peru. Das Team nahm aber auch jüngere Fundstücke unter die Lupe, etwa Stoffe aus der Bestattung von Königin Editha, die auf das zehnte bis 13. Jahrhundert nach Christus datiert sind und einem Bleisarg im Dom zu Magdeburg entnommen wurden. "Die Farben von manchen Kleidungsstücken der Trockenmumien sind zum Teil noch überraschend brillant, die Proben aus dem Dom hingegen sehen eher braun in braun aus", berichtet die Forscherin.

Für die Messungen mit dem Massenspektrometer, etwa so groß wie ein Kleinwagen, haben die Forscher die Proben in Kunstharz gebettet und dann in haardünne Scheibchen geschnitten. Nacheinander untersucht liefern die Scheibchen ein 3-D-Bild verschiedener Farben im Stoff. Dazu wird jedes Scheibchen mit einem Laser beschossen, um einzelne Moleküle aus der Probe freizusetzen. Diese Teilchen werden dann in eine elektrisch geladene Form überführt, durch eine praktisch luftleere Röhre beschleunigt und an deren Ende detektiert. Wie schnell sie fliegen, hängt unter anderem von ihrer Masse ab und verrät, um welchen Farbstoff es sich handelt.

Kramell und ihr Team haben die Textilproben auf bläuliche Indigo- und rote Anthrachinon-Farbstoffe geprüft. "Die Methode lässt sich aber auf beliebige Textilproben anwenden", erklärt die Forscherin. Die Farbstoffe seien ein Indikator für die technischen Kompetenzen einer Kultur. Es sei keineswegs trivial, etwa aus den Blättern und Stängeln der Indigopflanze ein schönes Blau zu machen. Der blaue Farbstoff bildet sich nämlich erst durch Enzyme und Luftoxidation und ist nicht in Wasser löslich. Ähnliches gelte für teures Purpur, gewonnen aus dem Drüsensekret von Stachelschnecken. Beizenfarbstoffe, etwa rotes Alizarin und Purpurin aus Pflanzenwurzeln, oder das Karminrot aus Cochenille-Läusen, lassen sich wiederum nur mithilfe von Metallsalzen auf Textilfasern fixieren. Viele der alten Rezepte für Naturfarben und -stoffe sind heute wieder modern, denn sie gelten als besonders umweltfreundlich.

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SZ vom 30.08.2019
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