Süddeutsche Zeitung

Archäologie:War das biblische Israel ein Königreich oder Bergdorf?

  • Archäologen streiten darüber, ob es vor etwa 3000 Jahren tatsächlich ein blühendes, vereintes Königreich Israel gab, wie es im Alten Testament beschrieben wird.
  • Nun wird die Diskussion durch neue Erkenntnisse zur üblichen Datierungsmethode befeuert.
  • Die Radiokarbonmethode ist bei Fundstücken aus der fraglichen Region möglicherweise nicht so zuverlässig wie gedacht.

Von Andrea Hoferichter

Über die Bibel lässt sich trefflich streiten, besonders wenn es um den historischen Wahrheitsgehalt geht. Einer der Streitpunkte ist, ob es vor rund 3000 Jahren tatsächlich ein blühendes, vereintes Königreich Israel gab, wie es im Alten Testament beschrieben wird, lediglich ein Reich Juda oder gar nur ein paar Bergdörfer. Auf der Suche nach Hinweisen graben Archäologen nach Siedlungsresten und durchforsten sie nach verbrannten Olivenkernen, Getreidekörnern oder verkohltem Holz. Denn das Alter von Materialien biologischen Ursprungs lässt sich mit der sogenannten Radiokarbonmethode bestimmen.

Allerdings könnte die Datierungsmethode hier in die Irre führen, denn sie gründet auf einer für die betroffene Region ungeeigneten Kalibrierkurve. Das jedenfalls berichteten Forscher um Sturt Manning von der US-amerikanischen Cornell University kürzlich im Fachblatt PNAS. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich in der südlichen Levante, zu der neben Israel auch Südjordanien und Ägypten zählen, zeitliche Verschiebungen von bis zu mehreren Jahrzehnten hin zu jüngeren Daten ergeben können", sagt Manning. Gerade in der Königreichdiskussion könnten solche Zeitintervalle einen entscheidenden Unterschied machen.

Auf der Südhalbkugel muss anders gerechnet werden als auf der Nordhalbkugel

Bei der Radiokarbonmethode geht es um den Anteil der sehr seltenen, radioaktiven Kohlenstoffvariante "C14". Menschen, Tiere und Pflanzen nehmen sie zusammen mit normalem Kohlenstoff auf, zum Beispiel über die Nahrung. Dabei halten sich Nachschub und radioaktiver Zerfall in etwa die Waage. Doch nach dem Tod versiegt der Nachschub, der C14-Anteil schrumpft und wird zum Maß für das Alter eines Fundstücks. Allerdings müssen entsprechende Messungen kalibriert werden, denn der Gehalt an radioaktivem Kohlenstoff in der Atmosphäre schwankt. Die Grundlage dafür liefern C14-Anteile, die aus Jahresringen uralter Bäume ermittelt wurden.

"Aktuell gibt es weltweit zwei Kalibrierkurven, eine für die nördliche und eine für die südliche Hemisphäre", berichtet Manning. Die Kurve für die Nordhalbkugel fußt auf Jahresringanalysen von Eichen, Mammutbäumen oder Tannen, die in Nordamerika, Zentral- und Nordeuropa wachsen. Doch deren Gehalt an radioaktivem C14 stimmt offenbar nicht mit dem von Bäumen der südlichen Levante überein, wie Mannings Untersuchungen an Jahresringen von Phönizischem Wacholder aus Jordanien zeigen. Die Forscher haben dafür historisches Wacholderbauholz analysiert und die C14-Anteile für die Jahre 1610 bis 1912 ermittelt. Sie gehen davon aus, dass die daraus resultierenden Verschiebungsmuster für Radiokarbondatierungen auch für die späte Bronze- und frühere Eisenzeit um 1000 v. Chr. von Bedeutung sind.

Ralph Schneider von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist von den Ergebnissen nicht überrascht. "Die Genauigkeit von C14-Datierungen auf Zeitabstände von weniger als ein oder zwei Dekaden ist unter Radiokarbonforschern schon lange in der Diskussion", sagt er. Gleichwohl hat die Studie in Archäologenkreisen für Furore gesorgt, wie Katharina Streit von der Hebräischen Universität Jerusalem berichtet. "Es wurde wild hin und her telefoniert und alte Daten wurden neu durchgerechnet." Auch sie selbst habe einen eigenen Datensatz noch einmal geprüft, aber nur kleine, vernachlässigbare Unterschiede gefunden. Gleichwohl zweifele sie nicht, dass es einen Effekt gebe. Welchen Beitrag die Radiokarbonmethode leisten kann, um das Geheimnis um die biblische Geschichte vom Königreich Israel zu lüften, bleibt wohl vorerst eher eine Glaubensfrage.

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SZ vom 06.09.2018/hach
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