"Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels spürt", sagte Barack Obama kürzlich. Was den menschengemachten Klimawandel betrifft, stimmt die Aussage natürlich - dass der Mensch eine Klimaveränderung diesen Ausmaßes erlebt, die er auch noch selbst verursacht hat, ist einmalig in der Geschichte. Was die Menschheitsgeschichte betrifft, ist die Aussage leicht daneben.
Tatsächlich durchlebten die Menschen bereits mindestens einmal eine Erderwärmung - das Ende der letzten Eiszeit vor 20 000 bis 10 000 Jahren. Die Landschaft Europas sah da noch völlig anders aus als heute: Große Rentierherden, Pferde und Bisons streiften durch Deutschland und große Teile Westeuropas. Die Steppenjäger der Magdalénien-Kultur verfolgten die Tiere auf ihren Wanderungen. Angepasst an harte, kalte Winter, lebten diese Menschen in großen Gemeinschaften und folgten strengen Regeln. Aus ihrer Beute holten sie das letzte heraus. Sie zerschlugen die Knochen erlegter Rentiere und kochten sie auf, um an das Knochenfett zu kommen. Disziplin sicherte das Überleben. "Die Gesellschaft war stark vernetzt, es gab grundlegende Verhaltensregeln. Alles war auf Sicherheit in der rauen, kalten Umgebung ausgelegt" sagt Sonja Grimm, Archäologin am Forschungsinstitut für Archäologie des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Neuwied. Fatal wäre es gewesen, hätten die Menschen beispielsweise die Rentierwanderung verpasst.
Als die Gletscher anfingen zu schmelzen, mussten die Menschen mit dramatischen Umweltveränderungen fertigwerden, und das ziemlich plötzlich. Der Klimawandel dauerte zwar rund zehn Jahrtausende, doch es wurde nicht gleichmäßig wärmer. Messungen an uralten Eisbohrkernen weisen darauf hin, dass die Durchschnittstemperatur zumindest in Zentralgrönland zwei Mal in wenigen Jahrzehnten um mehr als zehn Grad Celsius stieg. Für Europa ist es sehr schwierig, verlässliche Temperaturdaten aus der Zeit zu finden - global stieg die Durchschnittstemperatur wohl um rund ein Grad pro Jahrtausend. "Es war eine klimatisch sehr bewegende Zeit", sagt der Archäologe Stephan Heidenreich vom baden-württembergischen Landesamt für Denkmalpflege. Zwischendurch stürzten die Temperaturen aber auch wieder um mehrere Grad ab, Eis überzog erneut große Teile Europas.
Radikaler Wandel in der Kunst
"In diesem Zeitraum findet die Besiedlung Europas statt", sagt Heidenreich. Doch die Magdalénien-Jäger hatten ihre Blüte hinter sich. Die Zeichen ihrer Kultur verschwanden, etwa Speerspitzen oder Harpunen aus Rentiergeweihen. Fortan keilten die Jäger ihre Speerspitzen aus Stein. Die Archäologen nennen diese Nachfolgekultur "Federmesser-Gruppen", nach der typischen Form ihrer Waffen. Um herauszufinden, welche Rolle der Klimawandel für den kulturellen Übergang spielte, brachte die Archäologin Sonja Grimm Fundstücke von 25 Ausgrabungsstellen mit chemischen Überbleibseln zusammen. So ist teilweise der Blütenstaub aus dieser Zeit in Ablagerungen enthalten, der wichtige Hinweise auf die Umwelt enthält. Grimm analysierte so einen Zeitraum von 3000 Jahren, beginnend 14 000 vor Christus.
Demnach lösten sich die strengen Verhaltensregeln der Magdalénien-Kultur mit den milderen Wintern etwas auf. "Funde zeigen, dass die Menschen die Knochen erlegter Tiere nicht mehr zersplitterten und aufkochten", sagt Grimm. "Sie holten weniger aus ihrer Beute raus."
Der Wandel in der Kunst fiel Grimm besonders auf. Die Jäger der Eiszeit erschufen Skulpturen und Gravuren, ihre Höhlenmalereien und Schieferplatten zeigen naturgetreue Tierabbildungen. Die Federmesser-Gruppen zeichneten dagegen abstrakt. Anstatt wie ihre Vorgänger Frauen mit all ihren Rundungen darzustellen, "beschränkten sie sich auf einen Strich für den Oberkörper und ein Dreieck für den Po", sagt Grimm. "Die Kunst des Magdalénien war vorzüglich", bestätigt Stephan Heidenreich. Die künstlerischen Darstellungen seien bei den Federmesser-Gruppen völlig zurückgegangen, "übrig bleiben nur bearbeitete Kiesel und Gerölle."
Zu gestresst für Kreativität?
Grimm glaubt, dass dieser Komplexitätsverlust mit dem Klimawandel zusammenhängt. Mit den höheren Temperaturen verschwanden die Rentiere Richtung Norden, in Mitteleuropa sprossen Wälder. Elche und Rothirsche standen nun auf dem Speiseplan. Diese Tiere leben in kleinen Verbünden und bieten daher nicht so lange ausreichend Nahrung. Daher mussten die Menschen häufiger ihren Siedlungsort wechseln, womöglich waren sie gestresster. "Die archäologischen Fundplätze sind kleiner, man findet keine großen Zeltanlagen mehr", sagt Grimm. Die Menschen seien in kleineren Gruppen unterwegs gewesen, waren mobiler als früher. Für die Kunst sei da wenig Zeit geblieben.
Es ist jedoch noch eine andere Deutung denkbar: Möglicherweise malten die Federmesser-Gruppen ihre schönsten Darstellungen einfach auf Holz, das ihnen im Übermaß zur Verfügung stand. Diese Werke sind für die Nachwelt verloren, das Holz hat sich längst zersetzt. "Wir wissen eben nicht, welche wunderbaren Kunstformen außerhalb des archäologischen Fundus existierten, wie Gesänge oder Erzählungen", sagt Brian Wygal von der New Yorker Adelphi University.
"Ein Zeitalter voller Tumulte"
Doch die große Frage dürfte sein, wie die Völker den Klimawandel insgesamt verkrafteten, besonders die plötzlichen Temperatursprünge zwischendurch. Denn vor etwa 14 000 Jahren wurde es nochmal richtig kalt in Europa. Hirsche und Elche verschwanden, plötzlich kehrten die Rentiere zurück. Einige Fundstellen weisen auf eine deutliche Mangelernährung hin. "Das war ein Zeitalter voller Tumulte, mit schnellen Wechseln zwischen warm und kalt", ist sich Wygal sicher. "Während einige Kulturen sich sehr gut anpassten und florierten, sind andere wahrscheinlich gescheitert." Gerade aus der klimatisch turbulentesten Zeit gibt es in Europa nur sehr wenige Fundstellen, die Deutung darüber dürfte deshalb die Forscher noch lange beschäftigen.
Heidenreich vermutet aber, dass die Jäger und Sammler "absolut gut in der Lage waren, auf Umweltveränderungen zu reagieren". So glauben viele Forscher, dass die Federmesser-Gruppen bereits mit Pfeil und Bogen auf die Jagd gingen - das wäre ein deutlicher Fortschritt zu ihren Vorgängern. Wenn eine archäologische Kultur verschwinde, so wie nach der Eiszeit das Magdalénien, bedeute das zudem nicht, dass auch die Menschen verschwänden, sagt Heidenreich. "Man muss sich das eher als fließenden Übergang vorstellen, ein Kommen und Gehen."
Letztlich ist die Besiedlung Europas der beste Beweis, dass die Kulturen den Umweltveränderungen am Ende trotzen konnten. Ihre Technik, ihre Kunst und ihre Lebensweise hatten sich jedoch völlig verändert.
Alpen:Nahrung für die Eisriesen
Viele Gletscher in den Alpen sind 2013 weniger stark geschrumpft sind als in den zehn Jahren zuvor. Von einem langfristigen Trend aber kann keine Rede sein.
Anmerkung: In einer ersten Version des Artikels hieß es, die Temperatur sei Ende der Eiszeit zwei Mal sprunghaft über zehn Grad angestiegen. Diese Messungen beziehen sich jedoch nur auf Zentralgrönland, für Mitteleuropa ist die Datenlage schwieriger. Wir haben diesen Sachverhalt im Text konkretisiert.