Es begann mit einem unscheinbaren Stollen - und mit dem Gedanken, dass hier irgendwas nicht stimmen konnte. Unter der Siedlung Zeraqōn im heutigen Jordanien hatten ihn Archäologen entdeckt.
Zunächst dachten sie, er stamme wie die Siedlung selbst aus dem dritten Jahrtausend vor Christus. Es war der deutsche Wasserbauexperte Mathias Döring, dem im Jahr 2004 auffiel, dass seine Kollegen irrten. Denn der Tunnel war aus einem Gestein herausgehauen worden, das zu hart für die Werkzeuge aus Bronze war, die es im dritten Jahrtausend vor Christus gab.
Er musste also aus einer späteren Zeit stammen. Die großzügige Bauweise und der Putz an den Wänden erinnerten Döring gleich an ein Aquädukt, wie es die Römer bauten.
Was aber machte eine Wasserleitung, geeignet für die Versorgung mehrerer Großstädte, mitten in der Wüste? Döring, heute emeritierter Professor für Wasserbau an der Hochschule Darmstadt, entwickelte eine Hypothese, die manche ungeheuerlich fanden. Er glaubte, dass der Tunnel ein Bruchstück eines viel größeren Systems sei.
Mit Studenten und weiteren Forschern suchte er wochenlang die Gegend ab - und entdeckte schließlich die Überreste des längsten Tunnels der Antike. Er misst 106 Kilometer - und ist damit etwa fünfmal so lang wie der zweitlängste antike Tunnel, der ebenfalls im heutigen Jordanien verläuft.
Ein gigantisches Bauprojekt
Wie Döring herausfand, gehört er zu einem insgesamt etwa 170 Kilometer langen Aquädukt. Die Einheimischen nennen es Qanat Firaun, den Kanal der Pharaonen. Auch wenn ihn eben die Römer errichtet haben. Sie erzählen sich, dass in seinen Tiefen ein Goldschatz versteckt sein soll.
Gold hat Döring in all den Jahren seit der Entdeckung des Kanals nicht gefunden. Den Verlauf der Wasserleitung aber hat er recht genau rekonstruieren können. Der Kanal begann in der Nähe des Dorfs Dille im heutigen Syrien, wo man einen Fluss anzapfte.
Von dort verlief er zunächst überirdisch, vorbei an Adra'a (heute Dara'a), der Stadt, in der 2011 der Syrische Bürgerkrieg ausbrach. Später verlegte man den Kanal unter die Erde. Das Wasser floss so bis nach Gadara (heute Umm Quais), einer Stadt, die schon in der Bibel erwähnt ist. Jesus soll dort Besessenen Dämonen ausgetrieben haben - Dämonen, die sich schließlich in Gestalt von Schweinen einen Abhang hinuntergestürzt haben sollen.
Archäologie-Serie:Die rätselhafte Scheibe aus der Bronzezeit
Der Diskos von Phaistos ist ein einziges Rätsel: Die in Ton gestanzten Zeichen trotzen bislang allen Übersetzungsversuchen. Die erste Folge der Archäologie-Serie "Was steht denn da?"
Zu dem gigantischen Bauprojekt hatten sich die Römer nicht aus einer Laune heraus entschieden, sondern schlicht aus Wassermangel. Unter ihrer Herrschaft hatten es Gadara und die umliegenden Städte zu einigem Wohlstand gebracht. Das lag vor allem am Handel mit der Hauptstadt Rom, wo das Bürgertum nach Exklusivem verlangte, nach Gewürzen aus Indien etwa oder nach Seide aus China.
Gadara war ein zentraler Umschlagplatz für die Waren aus dem fernen Osten. Und so wuchsen die Stadt und die umliegenden Orte - und damit auch der Wasserverbrauch. Wie auch in anderen Gegenden üblich ließen die Römer Thermen und Springbrunnen errichten. Man badete schließlich ausgiebig und häufig.
Nach Schätzungen wurden in Gadara bald schon die für römische Städte üblichen 300 bis 400 Liter pro Kopf verbraucht (zum Vergleich: in Deutschland liegt der Wasserverbrauch pro Person heute bei 123 Litern).
Die Quellen um Gadara aber konnten so viel nicht liefern. Also machte man sich gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus an den Bau des gigantischen Kanals. Er sollte etwa 120 Jahre dauern und den Baumeistern schier unlösbare Probleme bereiten.
Immer wieder galt es, in dem zerklüfteten Gelände Berge und Schluchten zu überwinden. Für den ersten, oberirdisch verlaufenden Teil der Leitung mussten die römischen Ingenieure oft etliche Kilometer an Umweg in Kauf nehmen.
Noch schwieriger wurde es im unterirdischen Teil des Kanals. Nur mit Muskelkraft mussten die römischen Legionäre den Tunnel aus dem Felsen hauen. In dem schmalen Stollen konnten aber immer nur vier von ihnen gleichzeitig arbeiten. Mehr als zehn Zentimeter pro Tag kamen sie nicht voran - und wären bei diesem Tempo vermutlich heute noch nicht fertig.
Archäologie und Erster Weltkrieg:Wie ein Deutscher das legendäre Babylon ausgegraben hat
Im Ersten Weltkrieg endet der deutsche Versuch, die antike Metropole zu rekonstruieren. Es ist das Projekt eines Forschers, dem der orientbegeisterte Kaiser vor Aufregung an den Westenknöpfen zupft.
Wie die Römer dieses Problem lösten, hat Döring weitgehend entschlüsselt. Überall auf der Strecke, wo der Tunnel verlaufen sollte, schlugen sie zunächst schräge Schächte in den Felsen.
Dann versahen sie diese mit Treppen. So konnten die Arbeiter an vielen Stellen gleichzeitig mit dem Tunnelbau beginnen. Die einzelnen Abschnitte verbanden sie dann später unterirdisch.
Ein Rätsel aber ist den Forschern bis heute, wie es den Baumeistern gelingen konnte, bei der Arbeit an so vielen Stellen gleichzeitig immer auf die nahezu gleiche Tiefe zu kommen - und dabei stets ein geringes Gefälle einzuhalten.
Wurde eine Maschine eingesetzt?
Das war notwendig, damit das Wasser bis nach Gadara floss. Wie dies über so weite Strecken ohne moderne Vermessungstechnik gelingen konnte, das wissen sie nicht.
Geheimnisvoll bleiben auch manche Spuren, die noch heute in den Tiefen zu sehen sind. An einigen Stellen sind die Schrammen, die die Meißel der Arbeiter in dem Kalkstein hinterlassen haben, sehr regelmäßig.
Döring vermutet, dass hier eine Art Maschine eingesetzt wurde - eine Vorrichtung vielleicht, an der ein Balken mit einem Meißel befestigt gewesen sein könnte, den man im immergleichen Rhythmus auf den Stein niedersausen ließ. Überreste einer solchen Maschine aber hat man nicht gefunden. Wie genau die Römer das Wasser nach Gadara und in die anderen Städte brachten, wird man vielleicht nie ganz herausbekommen.