Ski und Bindung aus ferner Vergangenheit: Auf solchen Brettern rutschten Menschen vor etwa 1300 Jahren über den Schnee.
(Foto: Museum of Cultural History/Oslo University/V.Vike)Das ist auch an den Funden des Nordens so faszinierend. Jahr für Jahr schmilzt das Eis, und gibt wie im Zeitraffer Jahrhundert für Jahrhundert frei. "In diesem Sommer war es hektisch", erzählt Martin Callanan. Das Jufvonne-Eis zog sich um 30 Meter zurück, so viel wie in den vergangenen fünf Jahren zusammen. "Wir haben hier bereits 700 Objekte gefunden", sagt der Archäologe Atle Nesje von der Universität Bergen. "Unsere Studien zeigen, dass das älteste Eis dort etwa 6600 Jahre alt ist." Dass die Schichten so weit zurückreichen, ist für die Archäologen ein Schatz. Er ermöglicht eine fast lückenlose Zeitreise von den Jägern und Sammlern bis zu den Wikingern.
Wenn die Schmelze im August ihr Maximum erreicht, campen die Forscher nahe den Eisflecken von Jotunheinen oder 100 Kilometer weiter nördlich bei der Ortschaft Oppdal. Dann ziehen sie Tag für Tag los, laufen über die nassen Felsen, vermessen jeden Fund per GPS und bringen ihn so schnell wie möglich ins Tal. "Am meisten Artefakte haben wir bislang aus der Zeit zwischen 100 und 800 nach Christus entdeckt", sagt Nesje. Damals zogen hier viele Jäger den Rentierherden hinterher, offenbar zu Pferd.
2011 tauchte im Lendbreen-Eisflecken nahe Jotunheinen beispielsweise ein gewobener Umhang eines Jägers auf. Das Kleidungsstück ist etwa 1700 Jahre alt und wurde immer wieder repariert. Marianne Vedeler, Kuratorin am Museum für Kulturgeschichte an der Universität Oslo, konnte eine spezielle Webtechnik bestimmen, den sogenannten Diamantköper.
Intakte Jagdwaffen statt Bruchstücke und Splitter
Es mag speziell klingen, doch erst solche Details gestatten den Archäologen einen tieferen Einblick in den technischen Entwicklungsgrad einer Gesellschaft und weisen auf mögliche kulturelle Einflüsse hin. So deutet die Nutzung des Diamantköpers auf einen kulturellen Austausch zwischen Nordeuropa und dem römischen Reich hin.
Gleiches gilt für die Machart von Pfeilen. Den bislang mit 5900 Jahren ältesten Pfeil fand der Gletscherarchäologe Lars Pilø im Eisfeld von Langfonne. Oft spüren Archäologen bei normalen Ausgrabungen in Höhlen oder Gräbern nur Bruchstücke weitgehend verwitterter Dinge auf. In den Eisflecken können sie die kompletten Jagdwaffen mit intaktem Holzschaft und umwickelter Tiersehne studieren.
Daraus lässt sich viel besser ablesen, wie sich handwerkliche Fertigkeiten entwickelten, seit wann die Jäger Birkenpech zum Kleben verwendeten, wann sie von Stein- oder Hornspitzen auf Metalle umstiegen und woher mögliche technologische Einflüsse kamen.